Paketbote in Frankfurt
Liberio Valenza arbeitet seit elf Jahren bei der Post und trägt dabei jeden Tag schwere Pakete bis in den vierten Stock hinauf.
Der Morgen beginnt für Liberio Valenza mit schwerer Last. Ein Paket nach dem anderen hebt der Mann mit dem schmalen Gesicht und dunklen Kinnbart vom Gepäckband und trägt es zu seinem Wagen. 113 sind es an diesem Tag. „Das ist echt nicht viel, an manchen Tagen sind es bis zu 200 Päckchen", sagt der 36-Jährige. Nachdem alle Pakete im DHL-Wagen verstaut sind, schaltet Valenza den Motor ein und fährt los. Er ist an diesem Tag für das Gebiet rund um den Westbahnhof zuständig. Es sind nur wenige Straßen, die er abzufahren hat - dennoch muss er alle paar Meter anhalten.
Bereits am zweiten Stopp kommt eine junge Frau auf den Wagen zu, zeigt ihren Ausweis und fragt nach einem Paket für sich. Weil Valenza die Frau kennt, überreicht er ihr das Paket, und sie strahlt über das ganze Gesicht. „Sie haben meinen Tag gerettet", sagt sie. Für ihn sei es so, als würde er andere beschenken, sagt Valenza. Das sei das Schönste an seinem Beruf. „Jeder Arbeitstag fühlt sich für mich ein bisschen wie Weihnachten an."
Doch es gibt auch Schattenseiten. Beispielsweise würden viele Betrüger mit ausgeklügelten Tricks versuchen, ihn zu beklauen. „Manche wissen, dass jemand ein Handy oder andere Wertsachen bestellt hat, und kommen dann mit falschen Ausweisen an meinen Wagen oder kleben falsche Namen an die jeweiligen Klingelschilder", sagt Valenza. Deshalb übergebe er Pakete für Menschen, die er nicht kenne, grundsätzlich nur an deren Wohnungstür.
Paketdienst DHL35
Valenza ist in Frankfurt geboren und im Stadtteil Rödelheim aufgewachsen - ganz in der Nähe des DHL-Paketzentrums, in dem er heute arbeitet. Seine Eltern, beide Italiener, sind vor 45 Jahren aus Sizilien nach Deutschland eingewandert. Seitdem wohnen sie in Frankfurt. Valenza lebt allein in einer Hochhauswohnung im Stadtteil Höchst.
Für ihn sollte der Job bei der Post zunächst nur eine Übergangslösung sein. Nach dem Abitur auf einem Abendgymnasium ist er über seinen Onkel zur Post gekommen. Seitdem sind elf Jahre vergangen. Seit sieben Jahren arbeitet er bereits als Zusteller. „Eigentlich wollte ich studieren oder Grafikdesigner werden. Das mache ich dann im nächsten Leben", sagt er, zündet sich eine Zigarette an und kurbelt beiläufig das Fenster runter.
In den Bezirken, die er mit Paketen beliefert, kennt Valenza jede Straße und jedes einzelne Haus. Was er allerdings nicht verstehen kann, ist, dass viele Menschen nichts für ihre Nachbarn annehmen - selbst, wenn sie auf demselben Flur wohnen. „Es gibt ganze Straßenzüge von Mehrfamilienhäusern, in denen niemand bereit ist, für jemand anderen ein Päckchen anzunehmen", sagt er. Das erschwere oftmals die Arbeit. Denn die DHL dürfe nur einen bestimmten Prozentsatz an Paketen in Filialen abgeben, für alles was den Satz übersteige, müsse der Dienstleister Strafe zahlen.
Valenza geht nicht, er sprintet vielmehr - und das im Rekordtempo. Vom parkenden Wagen über die Straße, hoch in den vierten Stock eines Mehrfamilienhauses und wieder zurück, manchmal sogar mit einem bis zu 15 Kilogramm schweren Paket voller Weinflaschen unter dem Arm. Wofür andere Paketboten sieben Stunden brauchen, schafft er meist in nur vier. „Das liegt einfach daran, dass ich sehr gut organisiert bin", sagt er.
Eine Frau um die 70 Jahre öffnet die nächste Tür. Sie trägt eine ausgewaschene rosa Schlafanzugshose und hat einen beigen Cardigan über die Schultern gelegt. „Ach, ich hab gedacht, heute kommt nichts mehr", sagt sie und schaut überrascht. „Die Dame bekommt jeden Tag ein Paket", sagt Valenza leise, nachdem sich die Tür geschlossen hat, und schmunzelt dabei. Auch wenn in einer Stadt wie Frankfurt die Menschen häufig umziehen, kennt er viele seiner Kunden schon seit Jahren.
Um zwei Uhr mittags ist für Valenza Feierabend. Er lehnt sich auf dem zerfledderten Sitz seines Wagens zurück und atmet tief durch. „Jeder Tag ist immer gleich gut oder gleich schlecht; es kommt immer auf die Perspektive an, aus der man das, was vor einem liegt, betrachtet", sagt er und zündet sich seine letzte Zigarette an. Der Rauch weht aus dem Fenster und kalte Luft zieht herein.
Autorin: Alexandra Dehe