Wer wenig Geld hat, bewegt sich zweckgebunden. Einfach so wegfahren: Luxus. Der Berliner Bezirk Neukölln schickt klamme Senioren ins Umland. Unser Autor saß mit im Bus.
Am Nachmittag steht Peter mit der Kapitänsmütze auf dem Oberdeck des Ausflugsdampfers Uckermark, schaut aufs buchenbestandene Ufer des Fährsees und erzählt von Panama. Wie sie damals in Balboa anlegten, wie die Militärs an Bord kamen, Bajonette im Anschlag, gefolgt vom Hafenkommandanten. Die Besatzung schwieg und schaute, auch er, der Schiffskoch. Nachdem der Kommandant wieder von Bord gegangen war, Schnapsflaschen unterm Arm, durften sie die Ladung löschen.
Ja, so war das. Peter klappt eine Metallbox auf, fasst einen Klumpen Tabak, drückt ihn ins Blättchen, rollt, steckt sich die Kippe an. Unter ihm tuckert der 100-PS-Motor der Uckermark, ein Polo hat mehr Power. Dit hier?, sagt er und atmet Rauch in den Herbstnebel, wär höchstens 'n Rettungsboot jewesen. Und irgendwie ist es das ja auch, einen Nachmittag lang. Schließlich ist er mitgekommen nach Templin, saß zwei Stunden in einem Reisebus voller Senioren. Neben ihm sein alter Kumpel Giancarlo aus Italien, mit dem er zur See gefahren ist damals, über alle sieben Weltmeere und zurück.
Morgens um halb neun haben sie sich am Rathaus Neukölln getroffen, vorm Eingang zum Bürgeramt. Jeder hatte sein Ticket dabei, zwei Kreuze drauf, eins für den Sitzplatz, das andere fürs Mittagessen, Kabeljau oder Pute. Als die Rollatoren verstaut waren und man davon ausgehen konnte, dass ein gewisser Lehmann nicht mehr auftauchen würde, fuhr der Bus los, Richtung Osten: 47 Trockenshampoofrisuren im morgendlichen Gegenlicht und eine dunkelblaue Kapitänsmütze.
Den Tagesausflug nach Templin hat der Bezirk Neukölln organisiert. Um teilnehmen zu können, mussten die Senioren ihren Grundsicherungs- oder Wohngeldbescheid vorlegen. Das Geld für den Ausflug stammt aus dem Millionenerbe eines Berliners, der verfügt hatte, dass es bedürftigen Senioren zu Erholungszwecken zugutekommt. 2017 ist das achte und letzte Jahr, in dem Neukölln und andere Bezirke jemanden mit diesem Geld auf Reisen schicken, danach ist der Topf leer.
Im Nachbarbezirk Treptow, ehemals Ostberlin, fährt der Bus über eine Spreebrücke, dann in weitem Bogen um die Großbaustelle am Bahnhof Ostkreuz. Hier war ich noch nie, sagt jemand. Ein paar Baustellen später verlässt der Bus das Stadtgebiet.
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