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Polens Polit-Popstar: Warten auf Robert

"Noch sollte niemand Polen verlassen. Es wird besser, daran glaube ich fest", dahinter ein errötendes Smiley: Mit dieser Beschreibung versah Robert Biedroń im April auf Facebook einen seiner unzähligen Post mit Artikeln über die Frage, welche politischen Ambitionen der Oberbürgermeister der 90.000-Einwohner-Stadt Słupsk wirklich hat. Der Satz richtete sich aber auch an die zigtausend junge Polen, die das Land jedes Jahr verlassen.

Meister des politischen Teasings

Der Post war ein typischer Biedroń: nonchalant und zweideutig spielt der 42-jährige mit den Erwartungen seiner Landsleute: Kandidiert er im Herbst erneut als Bürgermeister von Słupsk? Oder hat er sogar Ambitionen, Staatspräsident zu werden? Und wenn ja, wann? Schon bei der nächsten Präsidentschaftswahl in zwei Jahren oder erst 2025? Oder macht er ganz etwas anderes?

Seit Monaten stürzen sich die polnischen Medien auf jeden Satzfetzen, der etwas über Biedrońs politische Zukunft aussagen könnte. Und wie ein erfahrener Liebhaber auf der Balz lässt der seine Landsleute und die Medien mit unverbindlichen Zweideutigkeiten im Ungewissen und steigert deren Verlangen ins Unermessliche.

Biedroń kann es sich leisten. Er ist der Popstar junger linksliberaler Polen und hat alle Zeit der Welt, seine Anhänger und Gegner in den Wahnsinn zu treiben. Der parteilose Oberbürgermeister ist jung, erfolgreich und beliebt. Und während seine politischen Gegner noch brüten, wie genau sie ihm beikommen wollen, sammelt Biedroń fleißig weiteres politisches Kapital.

Schwul? Egal!

Biedrońs medialer Aufstieg begann 2014 mit seinem Sieg als Gemeinschaftskandidat eines linken Parteienbündnisses bei der Bürgermeisterwahl in der Ostseestadt Słupsk: "Erster schwuler Bürgermeister Polens" war damals die Schlagzeile, die innerhalb und außerhalb des katholischen Polens für Aufsehen sorgte. Die Reaktionen auf die Wahl des offen homosexuellen Biedrońs waren eine erwartbare Mischung aus Beleidigungen, Drohungen und Arroganz.

Zu diesem Zeitpunkt war Biedroń bereits eine feste Größe in der polnischen Politik. Seit 2011 saß er für die liberale Kleinpartei "Deine Bewegung" im Sejm und konnte sich damals landesweite Beliebtheit - ebenso wie landesweite Feinde - erarbeiten. Doch gegen Ende der Legislaturperiode war klar, dass "Deine Bewegung" in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken wird, weswegen Biedroń in die Lokalpolitik wechselte. Nach seiner "Flucht" aus Warschau würde es ihm genau wie seiner Partei ergehen, dachten - und hofften wohl auch - damals viele.

Und die erzkonservativen, christlichen Aktivisten, die bis heute jeden Monat vor seinem Amtssitz demonstrieren, würden ihm schon den Rest geben. Doch Biedroń lässt Kritik und Häme an sich abtropfen: "Sie beten gegen das Sodom und Gomorrha in Słupsk, sie beten für mich, dass ich von meiner 'Krankheit' geheilt werde. Vielen Dank dafür. Wir sind eine freie Stadt, hier kann jeder beten, wie er will", kommentierte er kürzlich in einem MDR-Interview.

Erfolgreich und sendungsbewusst

Vor allem liefert der Oberbürgermeister Biedroń aber, was der Kandidat Biedroń versprochen hatte. Innerhalb weniger Jahre brachte er die am höchsten verschuldete Stadt Polens in die schwarzen Zahlen, besetzte offene Arbeitsplätze mit ukrainischen Migranten und baute Radwege, die er selbst täglich auf dem Weg zur Arbeit nutzt. Słupsk wird regelmäßig zu einer der lebenswertesten Städte Polens gewählt. Falls Biedroń im Herbst noch einmal in Słupsk als Oberbürgermeister antritt, ist ihm die Wiederwahl so gut wie sicher.

Nebenbei kultiviert Biedroń sein mediales Image als coolster Politiker Polens. Immer gut frisiert, modisch gekleidet und zufrieden strahlend fotografiert er sich mit Bürgern, Prominenten und seinem Lebensgefährten Krzysztof Śmiszek und postet die Bilder auf Instagram und Facebook. Auf Facebook folgen ihm mehr als 450.000 Menschen, doppelt so viele wie der Regierungspartei PiS.

Der Anwalt Śmiszek und Biedroń, die seit 16 Jahren ein Paar sind, posierten sogar innig für das Cover der liberalen Wochenzeitung "Newsweek" und setzen sich vehement für eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein. Dass das Thema im konservativen Polen überhaupt öffentlich diskutiert wird, kann er schon als Erfolg verbuchen.

Gefahr für die Regierung?

Biedroń verkörpert alles, was die konservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ablehnt und der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński 2015 als "Polen der schlimmsten Sorte" stigmatisierte. Biedroń ist ein schwuler Atheist, der vehement eine linke und grüne Wirtschaftspolitik verfolgt und liberale, pro-europäische Werte vertritt. Bislang galt solch eine Mischung in der konservativ-christlich geprägten polnischen Gesellschaft als politisches Nischenprodukt. Doch Biedrońs Umfragewerte steigen kontinuierlich.

Im April ergab eine Umfrage im Auftrag der Boulevardzeitung "Super Express", dass der Słupsker Überbürgermeister bei der Präsidentschaftswahl 2020 aus dem Stand Platz drei belegen könnte, hinter Amtsinhaber Andrzej Duda (PiS) und dem EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk. Der ehemalige Premierminister Tusk steht jedoch bis heute für die Versäumnisse und Vefehlungen der liberal-koservativen "Bürgerplattform" (PO), die 2015 die Regierung und das Präsidentenamt an die PiS verloren hat.

Der unabhängige Biedroń ist frei von derlei politischen Altlasten. Und so schauen sowohl die Regierung als auch die Opposition mit wachsender Unruhe auf Biedrońs Popularität. Die PO befürchtet, Biedroń könnte ihren Kandidaten schwächen oder sogar überholen. Und in der PiS macht sich die beunruhigende Erkenntnis breit, dass ein Wahlkampf gegen den erfolgreichen und unverbrauchten Biedroń schwieriger werden könnte, als gegen Tusk. Außerdem würden in dem Fall Angriffe aufgrund seiner Sexualität nicht ausreichen, um den populären Biedroń zu diskreditieren.

Baldige Entscheidung?

Und Biedroń? Der stiftet unbekümmert weiter Unruhe und greift beide Parteien gleichzeitig an "Die Abgeordneten der PO unterscheiden sich kaum von denen der PiS" kritisierte er kürzlich in einem Interview mit dem privaten Radiosender RMF FM und wiederholte seinen Vorwurf gleich in drei weiteren Radiosendungen, in denen er an dem Tag zu Gast war. Der größten Oppositionspartei PO unterstellte er außerdem, persönliche Interessen über das Wohl des Landes zu stellen: "Denen geht es nur um ihre Posten".

Er selbst sei hin- und hergerissen: Er wolle nicht noch eine weitere Legislaturperiode unter der PiS erleben, weshalb er überlege, in die gesamtpolnische Politik zurückzukehren, erklärte Biedroń vage. Doch falls er im Herbst in Słupsk antrete, werde er definitiv durchregieren. Damit wäre eine Präsidentschaftskandidatur vom Tisch. "Oder ich kandidiere gar nicht. Das ist vielleicht die rationalste Entscheidung", fügte er im RMF FM-Interview hinzu.

Man hat das kurze Atemstocken seiner Anhänger beim Lesen des Interviews fast vor Augen - ebenso Biedrońs verschmitztes Grinsen dazu. Doch auch er muss bald erklären, um welchen Posten es ihm nun wirklich geht. Denn jeder erfahrene Liebhaber weiß: spannt man seinen gegenüber zu lange auf die Folter, kann die Anziehungskraft auch ganz schnell verpuffen.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 05.02.2016 | 17:45 Uhr

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