Die Minsker Architektin Galina Lewina hat die Gedenkstätte für ein Vernichtungslager nahe der belarussischen Hauptstadt konzipiert. Um die Gedenkstätte zu errichten, haben Deutschland und Belarus eng zusammengearbeitet.
Zur Person Die Architektin Galina Lewina leitet das Minsker Architekturbüro „Leonid Lewin", das nach ihrem Vater benannt und auf Gedenkbauten spezialisiert ist. Diese prägen seit Ende der Sowjetunion vielerorts den öffentlichen Raum in Belarus. Auf Leonid Lewin gehen auch die ersten Entwürfe für die Gedenkstätte an der ehemaligen Erschießungsstätte Blagowtschina des deutschen Vernichtungslagers Maly Trostinez zurück.
Heute im Osten: Frau Lewina, unter ihrer Leitung entsteht gerade die Gedenkstätte "Letzter Weg"an der Erschießungsstelle "Blagowschtschina". Was ist das für ein Ort?
Galina Lewina: Hier in der Nähe wurden zwischen 1942 und 1944 zehntausende Menschen per Güterzug hingebracht. Unter ihnen Juden aus dem Minsker Ghetto, aus dem nahen Lager Trostinez, aber auch aus Deutschland, Österreich, Tschechien und anderen Ländern.
Am Gleis wurden sie separiert und die "arbeitsunfähigen" - also Frauen, Kinder und Alte - in den nahen Wald bei der Ortschaft Blagowschtschina gebracht und dort erschossen, schätzungsweise 60.000 Menschen. Der Weg dahin ist nur 700 Meter lang. Und an dem entlang hat unsere Gruppe von Architekten und Bildhauern die Gedenkstätte konzipiert, die jetzt gebaut wird.
Was erwartet die Besucher dort nach der Eröffnung am 28. Juni?
Die Gedenkstätte repräsentiert zwei Punkte im Lebens dieser Menschen: Der Platz der Hoffnung steht für die Hoffnung bei der Separierung, der Platz des Todes dafür, wie alle Hoffnungen zerstört werden. Dazwischen liegen wenige hundert Meter. Die Besucher beschreiten diesen letzten Weg. Zuerst laufen sie durch die symbolischen Güterwagons, um deren Enge zu spüren.
Danach betreten sie den Platz des Paradoxes, wo symbolische Plastiken die Sinnlosigkeit dieses Mordens repräsentieren. Denn es ist absurd, was in 1930er und -40er Jahren mit der Welt passiert ist. Menschen haben einander getötet, weil sie glaubten, bestimmen zu können, wer ein Recht zu leben hat und wer nicht.
Dass der Krieg ein Paradox ist. Ein Mensch tötet einen Menschen ohne irgendeinen Sinn. Und der Platz dieses Todes steht inmitten der schönen belarussischen Natur. Dort fühlt man sich eigentlich wohl, geborgen. Aber alles kann sich sehr schnell ändern, so wie vor 75 Jahren. Deswegen soll dieser Ort warnen: Nie wieder!
Zu Sowjetzeiten gab es zwar ein Gedenken, aber ein verzerrtes?
Naja, es gibt das erste Denkmal, einen Obelisken, der in den 1950er Jahren geschaffen wurde. Ja, der steht am falschen Ort. Aber zumindest gab es dadurch diese Botschaft, hier ist etwas passiert.
Aber die aktiven Diskussionen haben in Belarus und Deutschland erst nach der Perestroika-Zeit begonnen, da hat man angefangen, über diesen Ort zu reden. Und dank der Mühen von Belarus und Deutschland entsteht jetzt dieser Ort.
Zur Eröffnung sollen auch der deutsche und der österreichische Bundespräsident kommen - denn ein Großteil der Opfer kam aus Wien. Was bedeutet das für die Aufarbeitung?
Es wäre genug Material für einen Film, welchen Weg es brauchte von der Tragödie, die in diesem Ort passiert ist, bis zur ersten Gedenkminute.
Aber nun ist die Zeit einfach da für dieses Gedenken. Dieses Projekt ist ein seltenes, richtiges und verlässliches Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen gesellschaftlichen Organisationen und Regierungen aus verschiedenen Staaten.
Dass wir dann zusammen an einem Ort sind, an dem früher die Grenze zwischen Leben und Tod gezogen wurde - das ist ein sehr emotionaler Moment für uns alle, egal aus welchem Land wir kommen. Und es ist auch eine Botschaft an die künftigen Generationen.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 23.03.2018 | 17:45 Uhr
Zuletzt aktualisiert: 29. März 2018, 15:54 Uhr