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Wie die Messenger-App "Telegram" die russische Politik beeinflusst

57 Wörter lang war der Schachtelsatz, mit dem der russische Inlandsgeheimdienstes FSB im Juni 2017 die vorerst finale Runde im Kampf gegen "Telegram" einleitete. Zusammengefasst besagte dieser Satz: Die Drahtzieher des Bombenanschlags auf die Metro von Sankt Petersburg im April 2017 hätten sich über den Messenger koordiniert. "Terroristen nutzen Telegram", titelten kurz darauf fast wortgleich diverse Medien rund um den Globus.

Langjähriger Clinch zwischen Behörden und IT-Unternehmer

Mit der knackig zusammengestutzten Geheimdiensteinschätzung verbreiteten sich auch die Forderungen der russischen Behörden. Denn die wollten schon lange Zugang zur Verschlüsselungssoftware von "Telegram", dazu die Kundendaten und die Speicherung aller Nachrichten, die über die App ausgetauscht werden - aus Sicherheitsgründen. Vor der Terror-Meldung hatten sie sich damit aber die Zähne am "Telegram"-Gründer Pawel Durow ausgebissen - nicht zum ersten Mal.

Durow ist der vielleicht bekannteste IT-Unternehmer Russlands. 2006 gründete der heute 33-Jährige die Plattform "VKontakte" (VK), das russische Facebook. Als 2011 russlandweit Hunderttausende junge Menschen gegen die, in ihren Augen, manipulierte Parlamentswahl demonstrierten, geriet Durow erstmals mit dem FSB aneinander. Der forderte den Unternehmer auf, die Protestgruppen auf VK zu schließen. Durow jedoch weigerte sich.

Auch "Telegram" im Visier der Staatsmacht

Zwei Jahre später gründete Durow "Telegram", um dem Marktführer "WhatsApp" Konkurrenz zu machen. Im Gegensatz zu diesem setzte "Telegram" auf anonymen Zugang und eine "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung". Durch diese können Geheimdienste private Konversationen nicht mitlesen. 2014 versprach Durow ein Preisgeld von 300.000 US-Dollar, sollte jemand die Verschlüsselung knacken. Nach mehreren Monaten wurde der Wettbewerb ohne Sieger eingestellt.

Die Behörden wiederum begannen bereits vor der Terrormitteilung damit, "Telegram" unter Druck zu setzen. Im Mai 2017 wurde der Dienst von der staatlichen russischen Internetaufsicht "Roskomnadzor" aufgefordert, sich in ein Zentralregister für "Informationsverteiler" einzutragen. Damit hätte sich "Telegram" den strengen russischen Online-Regeln unterwerfen müssen.

Gesichtswahrender Deal für beide Seiten

Zu denen gehört, dass der Dienst seine Daten auf russischen Servern für Monate speichern und den Ermittlungsbehörden zugänglich machen müsste. Auch anonyme Accounts wären so nicht mehr möglich. Sollte sich "Telegram" der Aufforderung widersetzen, würde der Dienst in Russland gesperrt, drohte der "Roskomnadzor"-Chef Alexander Zharow in einem offenen Brief an Durow.

"Ein solcher offener Brief eines Behördenleiters ist eine große Seltenheit", sagt Dmitrij Kononenko, Digitalexperte der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer (AHK) in Moskau. Zwei Tage nach der Terror-Meldung am 28. Juni 2017 stellte "Telegram" den Behörden zumindest die Unternehmensdaten für das Register zur Verfügung. Mit dem teilweisen Zugeständnis nahm sich "Telegram" vorerst aus der Schussbahn, hat Kononenko beobachtet:

"Seitdem wird in den russischen Medien zwar regelmäßig darüber berichtet, dass 'Telegram' vom 'Islamischen Staat' dazu benutzt wird, Selbstmordattentäter in Russland zu rekrutieren, von einer Sperrung des Dienstes in Russland ist offiziell allerdings nicht mehr die Rede, was sich aber jederzeit wieder ändern kann."

"Telegrams"-Kanäle leaken Daten aus dem Kreml

Wieviel Zugriff die Geheimdienste heute auf Nutzerdaten haben, ist umstritten. Jedoch dürfte er sich in Grenzen halten, sonst würden Kanäle wie "Metoditschka" wohl nicht existieren. Denn "Telegram" erlaubt es, neben den normalen Chats auch anonym Kanäle zu gründen, die Nutzer abonnieren können. Und diese Kanäle haben mittlerweile einen wachsenden realen Einfluss auf die russische Politik.

Metoditschka etwa leakt fast täglich Informationen aus höchsten politischen Kreisen: aus Behörden, dem Parlament und dem Kreml selbst. 40.000 Menschen folgen dem anonymen Kanal. Noch erfolgreicher ist "Niesygar", der seine 90.000 Follower mit politischen Analysen und vermeintlichen Enthüllungen versorgt, die es immer wieder auch in die Schlagzeilen klassischer Medien schaffen.

Der Kreml liest mit

Wahrheitsgemäß sind diese Nachrichten nicht immer. Etwa die, dass die FIFA Russland die WM 2018 entziehen würde. Auch die Quellen der Kanäle bleiben oft genauso im Dunkeln, wie die Identitäten der Betreiber. Dennoch werden die Kanäle sehr genau beobachtet. Politiker und Journalisten sollen zu den fleißigsten Abonnenten der anonymen Newskanäle zählen.

Ein Sprecher des Präsidenten Putin räumte im September ein, dass auch der Kreml die Veröffentlichungen von "Niesygar" und Co. genau verfolgt, als Abonnent. Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste machen das sowieso. Und das Außenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft betreiben gleich eigene offizielle Kanäle auf "Telegram".

"Telegram" über Russlands Grenzen hinaus erfolgreich

Pawel Durow, der Gründer des Messengers, folgt dem nur noch aus der Ferne. Bereits vor drei Jahren hat er Russland verlassen und beabsichtigt nach eigenen Aussagen nicht mehr, in seine Heimat zurückzukehren. Auch "Telegram" selbst hat sich mittlerweile weit über die Grenzen Russlands hinaus verbreitet. In großen Schritten nähert sich der Dienst der Marke von 200 Millionen Nutzern weltweit.

Besonders beliebt ist er in Ländern, in denen Onlinekommunikation streng reglementiert ist. Die dortigen Behörden reagieren: So wurde "Telegram" bereits im Juli 2015 in China komplett gesperrt, nachdem über den Dienst Kritik an der Kommunistischen Partei verbreitet worden war. Eine weitere Blockade hat Anfang dieses Jahres erst der Iran erlassen, als dort Hunderttausende Menschen gegen das Mullah-Regime auf die Straßen gingen. Organisiert hatten sich viele der Aktivisten im Internet - anonym und verschlüsselt über "Telegram".

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: Radio | 18.08.2017 | 13:45 Uhr

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