Wer auf der Südseeinsel Atiu abends etwas erleben will, der geht auf ein Bier in den Dschungel. In Verschlägen aus Palmenblättern, sogenannten Tumunus, treffen sich die Inselbewohner, um selbst gebrautes Bier aus Orangen und wildem Honig zu trinken. Fremde sind willkommen und werden mit Ukulelespiel und lauten Gesängen begrüßt.
Es dauert nicht lange, bis man sich auf der 460-Einwohner-Insel willkommen fühlt. Am kleinen Flughafen mit Holzhütte bekommt jeder Besucher einen Blumenkranz, auf der Straße winken einem die Menschen von ihren Mopeds aus zu.
Auch die Deutschen Andrea und Jürgen Eimke hatten sofort das Gefühl, angekommen zu sein, als sie 1982 mit einer kleinen Propellermaschine auf der Insel landeten. "Ein Jahr später kamen wir wieder und blieben für immer. Uns gefiel der Gedanke, in einer kleinen Welt innerhalb einer großen Welt zu leben", erzählt Andrea Eimke, während sie auf ihrer Terrasse eine Tasse des Arabica-Kaffees serviert, den das Ehepaar auf der Insel anbaut.
1984 hatten die Dolmetscherin aus Düsseldorf und der Hamburger Betriebswirt damit begonnen, die überwucherten Kaffeefelder von Atiu wieder freizulegen. Hier hatten bereits die ersten Missionare Kaffee angebaut. "Atiu bot uns die Möglichkeit, etwas zu fördern und zu schaffen, was der gesamten Insel zugutekommt", erklärt Jürgen seine Motivation.
Zusätzlich betreiben die beiden eine Touristenunterkunft und ein Kunstatelier, in dem Andrea Schmuck und Quilts herstellt. "Klar, manchmal fehlen einem die Gespräche mit alten Freunden und das kulturelle Angebot großer Städte", sagt sie. "Aber dafür bekommen wir Besuch von Menschen aus der ganzen Welt." Außerdem könne man selbst auf einer kleinen Insel wie Atiu ständig etwas Neues entdecken. "Der Urwald sieht jeden Tag anders aus und riecht immer unterschiedlich", sagt Andrea.
Nur alle zwei Monate kommt das Versorgungsschiff
In der Tat steckt der letzte naturbelassene Regenwald der Cookinseln voller Sinneseindrücke. Bunte Rubinloris fliegen von Baum zu Baum, es duftet nach wilden Orchideen, ab und zu schnaubt ein Hausschwein durch das Gebüsch. Durch das dichte Blätterdach dringt kaum Sonnenlicht, aber zur Seeseite hin blitzen immer wieder Strände mit schneeweißem Sand und hellblauem Meer hervor. 28 Buchten verstecken sich entlang der Küste von Atiu - die meisten davon sind menschenleer und noch immer so unberührt wie 1777, als James Cook am Orovaru Beach vor Anker ging.
Von Juli bis September kann man von hier aus Buckelwale beobachten und mit etwas Glück sogar sehen, wie sie ihre Kälber gebären. Hier spürt man noch viel stärker, wie es ist, auf einer Insel zu leben, als auf Rarotonga, der Hauptinsel der Cookinseln. Über dessen internationalen Flughafen werden die 14.000 Einwohner mit allen Annehmlichkeiten der Zivilisation versorgt.
Nach Atiu hingegen fliegen lediglich Flugzeuge mit Platz für zehn Personen, nur alle zwei Monate bringt ein Schiff neue Lebensmittel. Die Menschen sind es gewohnt, mit dem auszukommen, was die Insel ihnen zu bieten hat. Sieben kleine Shops preisen auf ihren Werbetafeln nur das an, was gerade wächst: Melonen, Kartoffeln und Zwiebeln - und verkaufen sonst hauptsächlich Konserven.
In Neuseeland ist alles leichter
Was es im Überfluss gibt, sind Kirchen. Entlang der Hauptstraße reiht sich ein weiß getünchtes Gotteshaus an das nächste, das erinnert an die Zeit vor 30 Jahren, als auf Atiu noch 1200 Menschen lebten. "Heute verlassen immer mehr Menschen die Insel, weil sie in Neuseeland ein bequemeres Leben mit höheren Gehältern finden", sagt Jürgen. Weil die Cookinseln in freier Assoziierung zu Neuseeland gehören, können sie dort sofort Arbeitslosengeld bekommen. "Das Leben hier ist dagegen hart. Ein junger Mann muss wissen, wie man ein Haus baut, einen Baum fällt, Fische fängt und eine Straße instand hält."
Wer trotzdem bleibt, muss sich mit dem Freizeitangebot der Insel begnügen. Gerade findet im Gemeindehaus die wöchentliche Zumba-Stunde statt. Weil es keinen Fitnesstrainer gibt, tanzt die Gruppe aus Kindern und Erwachsenen zu einem YouTube-Video, das auf eine Wand des Saals projiziert wird. Vor der Tür döst ein Hund unter einem Baum, nur ab und zu knattert auf der Straße mal ein Motorrad vorbei.
Viel ist nicht los auf Atiu. Die meisten Einheimischen können nicht verstehen, warum hier jemand Urlaub machen möchte. "Hier gibt es doch gar nichts!", meint die junge Verkäuferin im Centre Store. Und doch ist ihre Heimat für gestresste Großstädter, Vogelbeobachter und Einsame-Insel-Romantiker ein Paradies.
Touristenzahl: überschaubar
Das erkannte schon Roger Malcom, der 1978 die ersten Gästeunterkünfte auf der Insel baute. Zu einer Zeit, als hier der einzige Kontakt zur Außenwelt ein Morsegerät war, baute er mit dem, was auf Atiu verfügbar war, seine ersten Bungalows und etablierte so den Tourismus auf der Insel. Seine sechs "Atiu Villas" aus Palmenholz mit Strohdächern halten bis heute und sind noch immer die größte Unterkunft der Insel. "Mehr als zwölf Touristen sind selten gleichzeitig hier", sagt Roger, der auch den einzigen Bartresen der Insel betreibt.
Hier trinken Jürgen und Andrea gern abends ein Bier und tauschen sich mit den anderen Inselbewohnern aus. Meist lehnen die selben Leute am Tresen, was mal schön und mal anstrengend sein kann. "Wenn wir einen Inselkoller bekommen, reichen zwei Tage auf Rarotonga, um wieder zu schätzen, was wir an Atiu haben", sagt Andrea.
Die Menschen arbeiten teils mit einfachsten Werkzeugen, doch niemand beschwert sich. Das Paar hat diese Lebenseinstellung übernommen. Beide strahlen eine Leichtigkeit aus, die in Deutschland vielen Menschen ihres Alters längst abhandengekommen ist.
Sie können sich nicht vorstellen, je in ihre Heimat zurückzukehren. Als Jürgen 2011 das letzte Mal dort war, fiel ihm auf, dass die Menschen noch mehr nörgeln, als er es in Erinnerung hatte. "Wenn man bedenkt, in welchem Überfluss die Deutschen leben, dann macht mich das sehr traurig", sagt er.
Aus Datenschutzgründen wird Ihre IP-Adresse nur dann gespeichert, wenn Sie angemeldeter und eingeloggter Facebook-Nutzer sind. Wenn Sie mehr zum Thema Datenschutz wissen wollen, klicken Sie auf das i.