Die Multimedia-Reportage "Unterwegs mit der Linie 5" habe ich in Kooperation mit einer Onlinekollegin und einem Fotografen der Rhein-Zeitung gestaltet. Das Konzept der Serienteile (Text und Videos) und die Interviews mit den Protagonisten stammen von mir. Das Tool Atavist, ein Storytellingtool, ermöglicht es eine, Infografiken, Bilder und Videos einzubetten. Am besten schaut man sich das Werk im Original an. In Print ist es in der Rhein-Zeitung als fünfteilige Serie erschienen. https://rhein-zeitung.atavist.com/unterwegs-mit-der-linie-5
Einleitung: Koblenz ist vielfältig und bunt. Das sieht man daran, wie unterschiedlich die verschiedenen Stadtteile sind. Wir sind mit der Buslinie Nummer 5 einmal quer durch die Stadt gefahren und haben uns angeschaut, wie sich die Viertel im Laufe der Route verändern - und ob sich die Eigenheiten anhand von Zahlen zur Bevölkerung, Wohnsituation und Infrastruktur belegen lassen, die die Statistikstelle der Stadt Koblenz herausgibt. Die Tour geht von Oberwerth nach Metternich, zwischendrin fährt der Bus durch die Südliche Vorstadt, am Rande der Altstadt entlang und über die Mosel nach Lützel.
In jedem der Stadtteile wollten wir von den Bewohnern wissen, warum sie dort gerne wohnen. Fünf Koblenzer sind mit uns in den Bus eingestiegen und durch ihr Viertel gefahren. Sie geben uns einen Einblick in ihr Leben und erzählen, was der Stadtteil für Vorteile bietet, aber auch, was nicht so gut läuft. Unsere Protagonisten skizzieren, wie sich das Viertel in den vergangenen Jahren verändert hat und und was ihre Gegend ausmacht. Einsteigen bitte!
Erster Stadtteil: Oberwerth
Wer durch Oberwerth fährt, dem fällt vor allem die Ruhe auf, die auf der Halbinsel herrscht. Die genießt Hortense Martin auch sehr. Regelmäßig geht die Seniorin spazieren, ihre Lieblingsstrecke geht unter anderem durch die Schillerstraße mit ihren Plantanen und am Rhein entlang. "Das Grün, die vielen Bäume", schwärmt Martin. "Ich bin sehr dankbar, dass ich hier bleiben kann."
Oberwerth ist der kleinste Stadtteil, den die Buslinie 5 auf ihrer Fahrt durchquert. Er ist Anfang oder Ende - je nachdem, von wo aus man startet. Martin wohnt ihr Leben lang auf dem Oberwerth, die jetzige Wohnung mit Blick auf die alten Herrenhäuser ist ihre vierte Bleibe. Als die 88-Jährige geboren wurde, wohnten ihre Eltern auf dem Areal des Gärtnereibetriebs des Großvaters. Heute gibt es den nicht mehr. Martin zeigt vom Bus aus mit dem Finger auf einige Häuser hinter dem Stadion Oberwerth. Dort muss es gewesen sein.
Im 19. Jahrhundert war Oberwerth bis auf ein mittelalterliches Kloster, das aber bereits 1794 aufgegeben worden war, kaum besiedelt. Feld und Wiese prägten das Bild. Große Teil der Insel gehörten der Familie Pfaffenhofen-Chleodowski. Noch heute kann man an der Villa, die Ludwig Freiherr von Pfaffenhofen-Chleodowski errichten ließ, vorbeiflanieren. Als die Familie Ende des 19. Jahrhunderts anfing, Grundstücke zu verkaufen, war das Areal, auf dem der Großvater von Hortense Martin seine Gärtnerei betrieb, eins der ersten Grundstücke, die den Besitzer wechselten. Sogar das erste, betont Martin.
Seitdem wird viel gebaut, aktuell entstehen auf dem Areal der ehemaligen Uni neue Eigentumswohnungen. Wer dort wohnen möchte, muss tief in die Tasche greifen: Die Quadratmeterpreise für Wohnbauflächen auf dem Oberwerth sind mit die höchsten in ganz Koblenz. Hortense Martin schaut nachdenklich auf die Baustelle. "Das wird das Bild vom Oberwerth prägen", ist sie sich sicher. Mehr Bewohner, mehr Autoverkehr. Bislang sind die Einwohner privilegiert, was Parkraum betrifft. Man muss nicht bezahlen oder zehnmal ums Eck fahren, um eine Parklücke zu erwischen, wie beispielsweise in der Vorstadt. Es sei denn natürlich, es ist schönes Sommerwetter und die Koblenzer strömen ins Freibad - dann wird es eng auf den Oberwerther Straßen. Hortense Martin erinnert sich an ihre Kindheit: Wie es damals nur zwei Autos in ihrem Viertel gab und alle Kinder auf der Straße spielten: "Ganz Oberwerth gehörte uns", sagt sie verschmitzt.
Auf das Auto angewiesen ist man heutzutage auf jeden Fall. "Früher gab es hier einen Frisör, eine Bäckerei, einen Schuster, zwei Feinkostgeschäfte, einen Metzger, einen Milchmann und drei bis vier Briefkästen", zählt die ehemalige Lehrerin auf. Und jetzt? Ein Briefkasten steht noch am Mozartplatz, und es gibt ein kleines Geschäft, wo man Obst und Brot bekommt, sagt Martin. Für alles andere muss man in die Vorstadt oder ins Zentrum, ärgert sich die 88-Jährige. Das belegen auch die Statistiken der Stadt Koblenz: Oberwerth hat eine sehr schlechte Nahversorgung, im Gegensatz zu Stadtteilen wie der Vorstadt oder der Altstadt.
Die Menschen auf dem Oberwerth sind statistisch gesehen durchaus traditionell geprägt: Rund 56 Prozent der Einwohner sind verheiratet, kann man im Stadtteilsteckbrief nachlesen, der jährlich von der kommunalen Statistikstelle der Stadt Koblenz herausgegeben wird. Als Vergleich: In der Altstadt hat sich noch nicht mal jeder Dritte das Jawort gegeben.
Der Nahversorgungsindex auf dem Oberwerth ist einer der niedrigsten in ganz Koblenz. Die Halbinsel ist mehr oder weniger eine reine Wohngegend. Laut Statistiken der Stadt Koblenz gibt es zwar genügend Bushaltestellen und Kindertagesstätten, aber es fehlt an weiterer Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten, Geldautomaten, Spielplätzen oder Arztpraxen.
Bei der letzten Landtagswahl hatte Oberwerth die höchste Wahlbeteiligung von ganz Koblenz: 86 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Im Vergleich: In Lützel lag die Wahlbeteiligung bei 50 Prozent. Gewählt haben die Oberwerther eher konservativ. Die CDU holte mit 37 Prozent ein recht hohes Ergebnis. Auch die FDP wurde auf dem Oberwerth häufiger gewählt als in manch anderen Stadtteilen (10,4 Prozent).
Zweiter Stadtteil: Südliche Vorstadt
Quirlig, gut gelaunt, engagiert: Anna Balthasar ist der Prototyp eines Vorstädters und liebt ihr Viertel, die Gegend links und rechts der Hohernzollernstraße, um den Schenkendorfplatz und die St.-Josef-Kirche herum. "Es fragen sich viele: Wo beginnt eigentlich die Vorstadt und wo hört sie auf?", hat die 25-jährige Lehramtsstudentin beobachtet. "Die Vorstadt ist ein Zwischending." Zwischen Zentrum und Oberwerth, nicht Innenstadt und dennoch nicht außen vor: Vorstadt eben. Man ist schnell am Wasser, in den Rheinanlagen, sagt die Lehramtsstudentin, und durch den Hasenpfad kommt man rasch auf die Karthause und in den Stadtwald. Abends kann man nach dem Feiern in der Altstadt mit dem Rad nach Hause fahren. Also zentral, findet Anna Balthasar, aber noch familiär genug, dass man sich kennt und beim Bäcker grüßt. In ihrer Lieblingsbäckerei hat sie sich gerade einen Kaffee gegönnt - schwarz.
Lebensmittelgeschäfte gibt es hier sowieso reichlich: Edeka, Lidl, Bioläden. Die Vorstadt hat eine sehr gute und umfassende Nahversorgung. Praktisch alles, was man zum täglichen Leben braucht, findet sich vor der Haustür. Was fehlt, bemängelt Anna Balthasar, ist ein Wochenmarkt. Der würde hier gut hineinpassen, ist sie überzeugt. Kurze Wege sind ein Vorteil dieses Viertels: "Man muss nur sein Haus verlassen, und schon ist man da", sagt Balthasar. Bei Freunden, Bekannten oder bei einem Event, die es in der Vorstadt immer häufiger gibt. Anna Balthasar selbst hat das Festival "Confluentes" mitinitiiert, und in einer regen Community kommen viele Ideen zusammen, was man noch auf die Beine stellen könnte. "Die Kulturschaffenden sind gut vernetzt", sagt Balthasar und hofft, dass die Südliche Vorstadt noch mehr zusammenwächst und sich zu einem richtigen Künstlerviertel mausert. Die Eventkultur, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ist ihrer Meinung nach auch Teil des Lebensgefühls der Vorstadt, dessen Herz am Schenkendorfplatz schlägt.
Aber der Stadtteil blüht auch oder gerade im Verborgenen auf, zum Beispiel in den vielen Hinterhöfen, wo regelmäßig Veranstaltungen wie Flohmärkte organisiert werden. Anna Balthasar durchquert eine Einfahrt und steht vor einer grünen Fläche, mit Blick auf die Hinterfassaden der Häuser. Sie gerät ins Schwärmen, wenn es um diese Höfe geht: "Wie in Italien", sagt sie begeistert.
"Bunt und alternativ" sind Worte, mit denen Anna Balthasar die Zusammensetzung der Bevölkerung charakterisiert. "Ein Mix aus jungen Familien, Alteingesessenen und Studenten", analysiert die 25-Jährige. "Die Studenten haben sich die Vorstadt erobert", meint sie schmunzelnd.
Anna Balthasar, die ihr Leben lang in der Vorstadt gelebt hat, sieht natürlich, dass auch in der Vorstadt die Mieten steigen und immer mehr kleine Geschäfte aussterben.
Dennoch fühlt sie sich sehr wohl und erzählt begeistert von den Bewohnern: der Frau, die jeden Morgen um 8 Uhr Tai Chi in den Rheinanlagen macht. Oder von Schuster Jury mit seinem Lädchen, der einem die Schuhe repariert, auch wenn sie „schon ganz abgelaufen sind". Familiär, bunt, alternativ. Vorstadt eben.
Das Viertel ist sehr dicht bebaut, das schlägt sich auch in den Statistiken der Stadt Koblenz nieder: Die Südliche Vorstadt hat einen sehr hohen Mehrfamilienhaus-Anteil, 96,3 Prozent aller Wohnungen befinden sich in Mehrfamilienhäusern. Ein- oder Zweifamilienhäuser sieht man selten (3,7 Prozent).
Die Südliche Vorstadt ist politisch gesehen eher links. Bei der letzten Landtagswahl konnten die Grünen hier ein sehr gutes Ergebnis von allen Koblenzer Stadtteilen einfahren: 12,2 Prozent der Vorstädter machten ihr Kreuz bei der Ökopartei. Ein zweistelliges Ergebnis für die Grünen war grundsätzlich in Koblenz eher eine Ausnahme. Doch auch die SPD ist hier stark: 38,1 Prozent wählten die Sozialdemokraten. Die CDU holte in der Vorstadt nur ein vergleichsweise bescheidenes Ergebnis: Mit 24,9 Prozent wählte die Konservativen nur knapp jeder Vierte. Das kann nur noch Lützel toppen: Hier wählten lediglich 22,4 Prozent die CDU.
Dritter Stadtteil: Altstadt
„Wer in die Altstadt zieht, weiß, dass es nicht ruhig ist", sagt Mark Neugebauer. Er wirft einen Blick aus seinem Erkerfenster auf den Jesuitenplatz: So zentral wohnt sonst in Koblenz keiner. Der Lärmpegel und der Trubel machen dem 44-Jährigen aber nichts aus. Sein Schlafzimmer geht nach hinten raus, und wenn er die Tür zumacht, stört kaum ein Geräusch aus den Gassen seinen Schlaf. Und sowieso: Unter der Woche empfindet er die Altstadt als sehr familiär. "Dann gehört die Altstadt uns Altstädtern", sagt Neugebauer.
Dass es Ecken in der Altstadt gibt, die man lieber meidet, ist ihm bewusst. Von Ausschreitungen und Prügeleien bekommt er aber kaum etwas mit, und wenn dann nur durch seinen Beruf. Für seine Anwaltskanzlei ist er vor elf Jahren von Frankfurt nach Koblenz gezogen - und hat sich bewusst für eine Wohnung in der Altstadt entschieden. Denn die vereint beides laut dem gebürtigen Hessen: Das Laute, Bunte, ein wenig Großstadtfeeling eben - aber auch das Heimelige, Vertraute. Die Gastronomen und Geschäfteinhaber um die Ecke kennen einen mit der Zeit.
Am Donnerstag geht das Nachtleben los, und am Wochenende fluten Partywillige und Nachtschwärmer nicht nur aus Koblenz, sondern aus dem kompletten Umland die Kneipen, Restaurants und Discos. „Am Wochenende ist es sehr partylastig hier", räumt Mark Neugebauer ein. Aber wer hier wohnt, ist selbst gern unterwegs. Bei großen Veranstaltungen wie Schängelmarkt, Sommerfest oder Karneval gibt es zwei Optionen, sagt Neugebauer: Zwingend mitmachen - oder wegfahren. Es gibt tatsächlich einen Tag im Jahr, an dem vom Lärm und der Musik die Scheiben vibrieren, dass selbst der gesellige Anwalt Reißaus nimmt. Am Rosenmontag, gibt er zu, packt er seine Tasche und fährt weg.
Die Gegend zeichnet sich statistisch gesehen durch eine junge, ungebundene Bevölkerung aus. Das leuchtet dem 44-Jährigen sofort ein: „Für Familien mit Kindern ist das hier nicht der ideale Wohnort." Hier gibt es weder ausreichend Platz mit Ein- oder Zweifamilienhäusern, noch genügend Gärten - allenfalls mal eine Dachterrasse. Auffällig ist in der Altstadt die hohe Quote an Einpersonenhaushalten und Ledigen. Mit Werten von fast 68 Prozent an Singlehaushalten und fast 54 Prozent an ledigen Einwohnern belegt die Altstadt damit einen hohen Wert. „Wir haben hier eine starke Singlestruktur", bestätigt Neugebauer, der ebenfalls - ganz der typische Altstädter - nicht verheiratet ist. Diese Struktur erklärt sich ganz leicht: Wenn man in Koblenz grundsätzlich jemanden kennenlernen möchte, abseits von Vereinen beispielsweise, dann ist das in der Altstadt am leichtesten, ist Neugebauer überzeugt.
Politisch gesehen ist das Viertel mittig-links. Auffällig sind überdurchschnittliche Werte für die Linken und die Grünen - aber ebenfalls für die FDP: Wie passt das zusammen? „Grundsätzlich ist das politische Klima hier offen, tolerant, die Leute sind politisch interessiert und alles andere als fremdenfeindlich", betont Mark Neugebauer. Die hohen Werte für die Liberalen erklärt er sich dadurch, dass sich in der Altstadt auch besser verdienende Bürger ansiedeln. Es wohnen hier viele Ärzte, Anwälte und Architekten, hat er beobachtet. Das zeigt sich in recht hohen Mietpreisen: So ein saniertes Altbau-Appartement kostet schon etwas. Doch es leben ja immer noch genügend Studenten und Alteingesessene in der Altstadt, sodass man von Gentrifizierung keinesfalls sprechen kann, ist der Anwalt überzeugt. Aber das Schmuddelimage, was die Altstadt nach Erzählungen früher gehabt haben soll, gab es schon zu der Zeit, wo Neugebauer hinzog, nicht mehr, sagt der gebürtige Nordhesse.
Die Altstadt: Hauptanziehungspunkt vieler Touristen, quirliges und lautes Partyviertel. Die Bewohner? Tendenziell eher jünger, leben allein und denken nicht daran, sich ehelich zu binden. Die Altstadt einen sehr hohen Anteil an "jungen Haushalten" - so definiert es die Statistikstelle der Stadt Koblenz, wenn das älteste Mitglied in einem Haushalt nicht älter als 35 Jahre alt ist (egal, ob man alleine wohnt oder zu mehreren). Und diese jungen Haushalte machen in der Altstadt fast die Hälfte aus (45,5 Prozent). Wird man älter, zieht man eher raus aus dem lauten Viertel: Der Anteil an Einwohnern ab 50 Jahren und Rentnern sinkt rapide (16 beziehungsweise 9 Prozent).
Gleichzeitig ist die Quote an Einpersonenhaushalten ("Singlehaushalte", wobei der Begriff nichts mit dem Beziehungsstatus zu tun hat) in der Altstadt besonders hoch, hier leben fast 68 Prozent der Bewohner alleine. Im Vergleich: Auf dem Oberwerth sind es knapp über 43 Prozent. Was die Heiratswilligkeit angeht, kann man die Altstadt auch als Gegenpol zum Oberwerth ansehen: Während im Partyviertel die Mehrheit ledig ist (54 Prozent), ist es auf dem Oberwerth genau andersherum. Hier hat sich die Mehrheit das Jawort gegeben (mehr als 56 Prozent).
Vierter Stadtteil: Lützel
Virginie wartet bereits an der Bushaltestelle, mit Superman-T-Shirt und Blazer, die blaue Handtasche baumelt am Arm. Die Lützelerin ist schon viel herumgekommen in ihrem Leben und hat bereits diverse Jobs gehabt, ihr Herz schlägt aber für die Malerei. Sie möchte nicht, dass ihr Nachname veröffentlicht wird - Künstler sind eben ein wenig eigen.
Lange hat Virginie in Frankreich gelebt, nun wohnt sie seit neun Jahren in Lützel und fühlt sich wohl - entgegen all der Vorurteile, die dem Stadtteil an der Mosel entgegenschlagen. „Die sind nicht begründet", ist Virginie sich sicher. In Lützel hat sich aber auch viel getan, sagt sie, während der Bus die Mayener Straße entlangfährt. Häuser werden nach und nach renoviert, Blumen schmücken Unterführungen, und die „Hall of Fame" hat einige internationale Grafitti-Künstler angezogen. Die Grafittiwand musste vor zwei Jahren wegen Bauarbeiten an der Europabrücke abgerissen werden, soll aber zurückkehren. Virginie erzählt von den Bekanntschaften, die sie durch die Sprayeraktionen mit jungen Künstler aus Dubai, Frankreich und Berlin geknüpft hat. In einigen Jahren „wird Lützel vielleicht ein kleines Kreuzberg werden", sagt sie lachend.
Virginie betätigt sich selbst als Künstlerin: Sie malt, seit sie zwölf Jahre alt ist. Öl, Acryl oder einfach mit dem Stift. Ihre Bilder hat sie in einem Schneidergeschäft ausgestellt. Mit Kindern hat sie einmal im Stadtteiltreff in der Mayener Straße einen Mal-Workshop auf die Beine gestellt. Der Stadtteiltreff ist Teil des Quartiermanagements, das eingerichtet wurde, als Lützel in das Förderprogramm „Soziale Stadt" aufgenommen wurde. Denn das Viertel gilt als „benachteiligt": Mehr als 9 Prozent der Lützeler sind arbeitslos, fast jeder Zweite hat einen Migrationshintergrund. Erst kürzlich wurde eine große Razzia durchgeführt, die Polizei stellte mehrere Kilogramm Drogen sicher.
Virginie fühlt sich in ihrem Stadtteil dennoch sicher. Sie hat keine Bedenken, Lützel im Dunkeln zu durchqueren. Warum sollte sie sich auch nicht sicher fühlen, fragt sie, es ist doch ruhig hier.
Wie passen die Zahlen zu Arbeitslosigkeit und Kriminalität zu dem positiven Bild von Lützel, das Virginie zeichnet? Das erklärt eine Studie der Hochschule Koblenz, die der mittlerweile emeritierte Soziologe Detlef Baum im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadt" 2008 durchgeführt hat. Wie schätzen Sie den Stadtteil ein, und wie bewerten Sie die Lebensqualität, wurden sowohl Einwohner wie auch Nicht-Lützeler gefragt. Interessant ist eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Die Bewohner selbst empfinden ihren Stadtteil als gar nicht so negativ und sind durchaus zufrieden, ist das Fazit der Untersuchung.
Die Vorteile des Viertels liegen für die energische Frau auf der Hand: „Günstige Mieten" rangiert ganz oben. Und man kann gut einkaufen, „ich brauche gar nicht in die Stadt zu gehen." Die Lützeler haben alles vor Ort. Virginie zählt auf: Lebensmittel bekommt sie im Netto, Lidl und Norma. Gern besucht sie auch die türkische Bäckerei und kauft Fladenbrot und Baklava - das süße Gebäck isst ihr Mann gern. Im russischen Geschäft kauft sie häufiger Pierroggen ein. Lützel ist multikulti, das gefällt ihr.
Lützel ist durch die Balduinbrücke mit der Altstadt verbunden, 8199 Einwohner leben in dem Areal zwischen dem Campingplatz Rhein-Mosel bis zum Einkaufszentrum beim E-Center Kreuzberg, um den Volkspark und die Falckenstein-Kaserne herum. Lützel hat einen sehr hohen Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund. 45,7 Prozent, also fast jeder zweite Bewohner kann ausländische Wurzeln vorweisen. Im Vergleich dazu: Auf dem Oberwerth sind es 10,6 Prozent.
Weiterhin fällt auf, dass in Lützel überdurchschnittlich viele Bewohner arbeitslos sind. Die kommunale Statistikstelle kann keine exakte Quote herausgeben, da die Arbeitslosenzahlen vom Arbeitsamt nicht auf Stadtteilebene erhoben werden. Um dennoch Viertel miteinander vergleichen zu können, ermittelt die Stadt Koblenz stattdessen eine so genannte „Betroffenheitsquote" und setzt die Zahl der Arbeitslosen in Bezug zur Zahl der Einwohner im erwerbsfähigen Alter. In Lützel liegt die Zahl bei 9 Prozent.
Lützel gilt laut Statistikstelle als SPD- und Linke-Parteihochburg. 39,7 Prozent der Wahlberechtigten haben ihr Kreuz bei der letzten Landtagswahl bei den Sozialdemokraten gemacht, 7 Prozent bei der Linkspartei. Die CDU wurde traditionell schwach gewählt: Lediglich 22,4 Prozent der Stimmen konnte sie in Lützel auf sich vereinen.
Stefan Rhein wohnt fast sein ganzes Leben in Metternich. Der 47-jährige Polizist ist zwar nicht in dem Stadtteil geboren, aber geblieben. Er war zwei Jahre alt, als seine Eltern mit ihm von Bendorf hergezogen sind. Seitdem hält Rhein dem Stadtteil die Treue - gehört aber nicht zu den knapp 21 Prozent Metternichern, die alt eingesessen sind, also bereits in Koblenz geboren wurden. Das ist von den Stadtteilen, die die Buslinie 5 durchquert, der höchste Wert. Knapp dahinter folgt Oberwerth.
Fünfter Stadtteil: Metternich
Metternich ist einer der bevölkerungsreichsten Koblenzer Stadtteile. 10.075 zählte die städtische Statistikstelle im vergangenen Jahr. Und tendenziell kennen die Zahlen nur eine Richtung: steil nach oben. Das ist auch kein Wunder: "In Metternich wurde ein Baugebiet nach dem anderen erschlossen", so empfindet es Stefan Rhein. Bienenstück ist das jüngste, und bevor die Häuser "In der Wieb" entstanden sind, spielte der Koblenzer als Kind noch dort im Gebüsch. Die Baufreundlichkeit ist nach Stefan Rheins Meinung vielleicht auch ein Grund, warum die Metternicher ihrem Viertel treu bleiben: Die Kinder wachsen im Stadtteil au, und bauen selbst später ein Haus in Metternich - es wird ja immer mehr erschlossen. Günstig ist das allerdings nicht: "Bei den Baupreisen muss man schonmal schlucken", sagt Rhein.
Der 47-jährige Dienstgruppenleiter hat Glück und konnte auf dem elterlichen Grundstück bauen. Sein Einfamilienhaus ist modern, mit viel Glas und einem Garten, in dem er gerne werkelt. Und auch am Haus ist immer etwas zu tun. Hier repräsentiert Stefan Rhein den typischen Metternicher. Beim Thema Einfamilienhaus ist das Viertel vorne mit dabei: Mehr als jede dritte Wohnung befindet sich in einem Ein- oder Zweifamilienhaus (34,8 Prozent). Zum Vergleich: In der Südlichen Vorstadt ist der Anteil an Wohnungen in Ein- oder Zweifamilienhäusern gerade einmal knapp 4 Prozent.
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