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TTIP: Was bringt der Freihandel dem Land? - Rhein-Zeitung

TTIP - seit drei Jahren sind diese vier Buchstaben in aller Munde. Und beschwören wahlweise den drastischen Abbau europäischer Verbraucherrechte oder lassen die Augen der Unternehmer ob der möglichen Exportzuwächse aufleuchten. Doch was bedeutet ein möglicher Abschluss des Transatlantischen Freihandelsabkommens für unser Bundesland? Welche Branchen profitieren, welche verlieren? 

Agatha Mazur hat zum Thema TTIP recherchiert und Stimmen aus Rheinland-Pfalz gesammelt: Was kann das Land von dem Abkommen erwarten? 

Die Weinbranche freut sich auf TTIP. Michael Horper, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, ist überzeugt, "dass gerade der europäische Wein in den USA auf eine weitaus stärkere Nachfrage treffen wird, sodass der Weinbau durch das Abkommen profitieren dürfte." Die amerikanische Bevölkerung wisse die Qualitäten der hier erzeugten Weine zu schätzen, ist sich Horper sicher: "Allein aus diesem Grund sehe ich im Freihandelsabkommen weitaus mehr Chancen als Risiken für unseren Wein." Die Weinbranche ist bereits einen Schritt weiter als andere Branchen: Seit 2006 gibt es hier ein Abkommen zwischen den USA und der EU. Schließlich sind die Vereinigten Staaten wichtigstes Zielland für deutsche Weinexporte. Allerdings ist ein Teil dieses Abkommens noch nicht in Kraft. Der Verband Deutscher Weinexporteure sieht in den Verhandlungen die Chance, über ungelöste Probleme wie beispielsweise geografische Bezeichnungen zu sprechen.

Auch die Automobilbranche verspricht sich sehr viel von dem Abkommen. Die Firma ZF TRW etwa. Bei dem Automobilzulieferer mit einem Standort in Koblenz ist man überzeugt, dass die Automobilindustrie "vor dem tiefgreifendsten Wandel in ihrer 130-jährigen Geschichte" steht. Jochen Mayer von der Wirtschafts- und Finanzkommunikation von ZF TRW erklärt, dass es für den Erfolg des Freihandelsabkommens vor allem wichtig sei, dass Handelshemmnisse und unterschiedliche Regularien abgeschafft und die Zölle abgebaut werden.

Autozulieferer profitieren vom Abkommen 

Als Beispiel nennt Mayer Blinker oder Seitenspiegel, die je nach Land unterschiedlich designt und produziert sind, oder eine unterschiedliche Struktur der Stoßfänger zur Befestigung der Kfz-Kennzeichen. Wenn man diese Dinge vereinheitlichen könnte, könnte man Doppelarbeit und Bürokratie vermeiden, sagt Mayer. Bei den Zöllen geht die gesamte Automobilindustrie, so Mayer, von einem Einsparpotenzial von rund 1 Milliarde Euro aus. Für ZF TRW bedeute dies immerhin ein Einsparpotenzial in zweistelliger Millionenhöhe. Wie genau sich ein möglicher TTIP-Abschluss auf Koblenz als Automobilzulieferer-Standort auswirkt, ist allerdings noch unklar, da die Zulieferer nicht immer und daher in unterschiedlichem Maße betroffen sind.

Gewerkschafter fürchten um öffentliche Daseinsvorsorge 

Dietmar Muscheid, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Rheinland-Pfalz/Saarland, sorgt sich um Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge: "Wir fragen uns, welche Dienstleistungen zukünftig noch vom Staat übernommen werden können und welche grundsätzlich einem Privatisierungsdruck ausgesetzt werden." Ein Beispiel ist die Wasserversorgung, die in Deutschland vielerorts in der Hand der Kommunen ist. Muscheid betont: Was zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehört und was nicht, "darf nicht durch ein Freihandelsabkommen vorgegeben werden".

Ein Dorn im Auge ist dem Gewerkschaftsbund das mögliche Sonderklagerecht für Konzerne. Als Beispiel nennt Muscheid den Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro: Die Gewerkschaften haben den Anspruch, ihn zügig zu erhöhen. Die Befürchtung ist aber, dass ein Konzern genau das als Investitionshemmnis ansehen und dagegen klagen könnte.

Tobias Hanson ist Bezirkssekretär der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Er vertritt den Bezirk Mittelrhein mit Sitz in Neuwied. Die Branchen und Unternehmen, aus denen die Gewerkschaft ihre Mitglieder rekrutiert, sind sehr unterschiedlich betroffen, sagt Hanson. Für die Pharmaindustrie wirkt sich das Abkommen "wahrscheinlich eher positiv aus". Insbesondere bei der Einführung neuer Medikamente werde ein Abbau von Doppelverfahren zu mehr Exporten führen. Tobias Hanson betont: "Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die wir im nördlichen Rheinland-Pfalz haben, hoffen, dass sie schneller und insbesondere günstiger Produkte in den USA etablieren können."

Doch es ist nicht einfach, genau vorherzusehen, wie sich TTIP auswirken wird. "Die intransparenten Verträge und Verhandlungen führen per se schon zu Ängsten, weil eine Abschätzung, was da abläuft, kaum möglich ist", kritisiert Hanson. Das führe dazu, dass Spekulationen zu Wahrheiten hochstilisiert werden und Verschwörungstheorien entstehen.

Waltraud Fesser von der Verbraucherzentrale in Mainz kann dem geplanten Freihandelsabkommen zwar auch etwas Positives abgewinnen: "Wenn sich die Produktvielfalt erhöht und durch die abgeschafften Zölle Waren günstiger werden, ist das gut." Doch viel größer sind für die Referentin für Lebensmittel und Ernährung die Risiken für die rheinland-pfälzischen Verbraucher. Gerade im Lebensmittelbereich sieht sie große Gefahren. Denn in den USA kommen Produkte wie beispielsweise Cornflakes auf den Tisch, die aus gentechnisch verändertem Mais hergestellt worden sind. Das muss nicht auf der Verpackung stehen. Sie befürchtet, dass sich so eine Cornflakesverpackung mit gentechnisch verändertem Inhalt auch irgendwann in hiesigen Supermärkten befindet. Hier heißt das Stichwort "regulatorische Kooperation": Man erkennt gegenseitig den Standard an. "Doch dass man sich immer am höheren Standard orientiert, das sehe ich nicht", sagt die Ernährungswissenschaftlerin.


Interview mit Michael Horper: "Mehr Chancen als Risiken für Wein"

Koblenz. Der Bauern- und Winzerverband vertritt die Interessen der Landwirte und Winzer. Präsident Michael Horper erklärt, warum er dem Abkommen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt ist.

Michael Horper ist seit mehr als einem Jahr Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, dessen Verbandsgebiet sich über weite Teile von Rheinland-Pfalz erstreckt. Horper ist Landwirt und führt einen Milchviehbetrieb in Üttfeld (Kreis Bitburg-Prüm). Er war zehn Jahre Vizepräsident des Verbandes und ist seit 2011 Vizepräsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz.

Erhoffen sich Landwirte und Winzer durch TTIP steigendes Exportvolumen? In welchem Umfang?

Selbstverständlich erwarten wir steigendes Exportvolumen - wenngleich das der USA größer sein dürfte. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass Europa überwiegend veredelte Produkte wie Wein ausführt. Die USA exportieren hingegen oft Rohprodukte wie Getreide. Es ist aber selbstverständlich, dass der Abbau von Zöllen und von bürokratischen Hemmnissen zu einer Erhöhung des Exportvolumens führen wird.

Befürchten Sie, dass die USA mehr Wein nach Deutschland oder in die EU exportieren werden? Stärkt TTIP die US-Konkurrenz?

Der europäische Wein aus Deutschland, Frankreich, Italien oder Spanien genießt in den USA einen hervorragenden Ruf. Selbstverständlich wird auch amerikanischer Wein in Europa seine Abnehmer finden. Ich bin aber davon überzeugt, dass gerade der europäische Wein in den USA auf eine weitaus stärkere Nachfrage treffen wird, sodass der Weinbau durch das Abkommen profitieren dürfte.

Gerade die amerikanische Bevölkerung weiß die Qualitäten der hier erzeugten Weine zu schätzen. Allein aus diesem Grund sehe ich im Freihandelsabkommen TTIP weitaus mehr Chancen als Risiken für unseren Wein. Zurzeit gelangen europäische Weine im Wert von 2,5 Milliarden Euro auf den US-Markt, während aus den USA lediglich Weine im Wert von 380 Millionen Euro nach Europa importiert werden.

Wichtiger ist der Schutz von Herkunftsbezeichnungen und traditionellen Begriffen. Handelshemmnisse, die in jedem US-Bundesstaat unterschiedlich sind und beispielsweise auch den Export europäischer Bioweine erschweren, müssen daher abgebaut werden.

Erwarten Sie eine Verbesserung oder Verschlechterung der Standards, nach denen die hiesigen Lebensmittel produziert werden?

Ich erwarte keine negativen Veränderungen bezüglich unserer hohen Standards in Europa. Wichtiger ist die Anerkennung unserer Standards in den USA. Deshalb wird Europa weiterhin darauf bestehen, dass Fleisch von Tieren, die mit Hormonen behandelt wurden, nicht nach Europa eingeführt wird. Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz sind die "Rote Linie" im Verhandlungsmandat. So ist der Schutz der Gesundheit von Menschen, Tier und Umwelt nicht verhandelbar. Auch wird der Schutz von geografischen Ursprungsbezeichnungen in Europa erhalten bleiben. Um wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenzutragen und zu bewerten, gibt es auf beiden Seiten des Atlantiks Behörden für Risikobewertung. Auf Basis ihrer Empfehlungen wird dann entschieden, ob eine Zulassung erteilt wird. Fleischimporte müssen den europäischen Vorschriften entsprechen. Auch ein strenges EU-Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Produkte und klare EU-Kennzeichnungsregelungen wird es weiterhin geben.

Die deutschen Verbraucher sind sehr skeptisch, was TTIP betrifft. Woher kommt Ihrer Meinung nach diese Skepsis?

Wir hier in Europa und vor allem in Deutschland haben die höchsten Qualitätsstandards. Ein zunehmender Handel mit Produkten, die diese Standards nicht erfüllen, führt zu Misstrauen. Dieses Misstrauen ist aber in zweierlei Hinsicht nicht gerechtfertigt. Erstens werden Produktionsverfahren, die in Europa als gesundheitlich bedenklich gelten, nicht akzeptiert und die so erzeugten Produkte auch nicht importiert. Zweitens werden Produkte, die in Deutschland nicht erzeugt, aber importiert werden dürfen, entsprechend deklariert werden. Dies gilt für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel bereits heute.

Die meines Erachtens auch politisch und medial geschürte Angst basiert auf der Unterstellung, dass die USA insgesamt mehr wirtschaftliche Vorteile aus dem Freihandelsabkommen erzielen könnten als die Europäische Union. Dies ist in Teilbereichen durchaus möglich und sogar wahrscheinlich. Das heißt aber nicht, dass die Europäische Union insgesamt nur benachteiligt würde. Im Gegenteil wird auch Europa aus dem Freihandelsabkommen Vorteile ziehen, und die wirtschaftliche Situation kann sich weiter verbessern.

Das Gespräch führte Agatha Mazur

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