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Interview

Willy Maywald: Die Splitter des Spiegels. Sophie Ruiz-Pipo erinnert sich an die Zusammenarbeit mit Willy Maywald

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Sophie Ruiz-Pipo, Foto Adolf Stock

Die Autobiografie "Die Splitter des Spiegels" (Schirmer Mosel Verlag, München 1985) ist die wichtigste und meistzitierte Quelle, wenn es um biografische Details des Fotografen Willy Maywald geht, Hier erzählt er amüsant und anschaulich sein ereignisreiches Leben als Fotograf. Die Autobiografie hat eine ungewöhnliche Enststehungsgeschichte. Ursprünglich hatte Willy Maywald seinen Text auf Französisch verfasst. Später entstand eine eigenständige deutsche Fasung, die Willy Maywald Frau Sophie Ruiz-Pipo in seinem Pariser Atelier während vieler Sitzungen diktierte. Dieses Manuskript wurde zur Grundlage der veröffentlichten Autobiografie, die 1985 bei Schirmer Mosel erschien. Eine französischen Ausgabe ist bisher nicht erschienen. Sophie Ruiz-Pipo ist heute 90 Jahre alt und lebt noch eigenständig in Paris. Im Interview erinnert sie sich gut an die frühen 80er Jahre, als ihr Willy Maywald den Text seiner Autobiografie diktierte.

Literaturangabe:
Willy Maywald: Die Splitter des Spiegels. Eine illustrierte Autobiografie in Zuammenarbeit mit Patrick Brissard und Adolf Stock. München (Schirmer Mosel Verlag) 1985

Interview mit Sophie Ruiz-Pipo, Paris 16. Mai 2015

Adolf Stock
Kannst Du dich noch daran erinnern, wie Du Willy Maywald kennengelernt hast?

Sophie Ruiz-Pipo 1
Ich habe einen Anruf bekommen von jemandem, der an einer bestimmten Stelle an der deutschen Botschaft gearbeitet hat. Und die Dame hat zu mir gesagt, sie hätte einen Anruf bekommen von jemand, der eine Frau oder jemand anders braucht, um zu diktieren. Und da habe ich sofort gesagt, das kommt nicht infrage, denn wenn ich Schreibmaschine schreiben muss, und dann kommt jemand und guckt mir über die Schulter oder sowas, das kommt nicht infrage. ‚Na man muss doch immer versuchen, sagen Sie nicht gleich nein‘. Schließlich habe ich mich breitschlagen lassen und habe mich aufgemacht und bin zu Herrn Maywald. Ich weiß nicht, ob ich vorher telefoniert habe, höchstwahrscheinlich, denn man musste sich ja verabreden.

Und dann bin ich angekommen. Ein normales Wohnhaus, sah nicht anders aus als andere, und wenn man erst mal drin war, auf der einen Seite ging die Treppe hoch in die Etagen, und auf der anderen Seite, ein paar Schritte, da ging man runter in ein winziges Gartenstück, und dann war ein, glaube ich, ziemlich flaches Haus – rez-de-chaussée – und eine Etage drauf, und die Tür war meiner Meinung nach auf. Ich glaube, der hatte sehr oft die Tür auf, oder war das, wenn er jemanden erwartete? Und da bin ich rein, ich habe immer so ein Feeling für Leute. Und dann habe ich ihm gesagt, ich könnte aber nicht schreiben, wenn jemand zuguckt oder so, ich würde mich oft vertippen, und vor allen Dingen bei solchen Sachen. ‚Macht nichts, macht nichts, Sie können sich vertippen, so oft Sie wollen und so, das ist alles egal, weil ich möchte, dass Sie bleiben‘, und das war glaube ich reziprok, diese Art Sympathie.

Ich habe ihn auch, wenn er diktiert hat, manchmal verbessert, das konnte ich mir dann erlauben, da hat er gesagt, das ist okay. Er hatte von einem Gebäude in Berlin gesprochen, das war glaube ich der Admiralspalast und den hatte er etwas anders genannt. Und so, also wir haben sehr gut gestanden, und nach einer Weile, da hat er gesagt, jetzt wollen wir Tee trinken, und dann haben wir ganz andere Sachen auch noch gesprochen.

Ich glaube, da haben wir über einen Schauspieler, der bei Brecht war, jetzt komme ich auch wieder nicht mehr auf den Namen, aber ein sehr bekannter, den habe ich auch selber erlebt. … Ich kann ja nachher mal nachsehen. Ernst Busch, ja, ja, das war Ernst Busch! Der hat den Koch gespielt in Mutter Courage und der hat auch Galilei gespielt, und über so was haben wir dann auch gesprochen. Wir haben uns sehr viel unterhalten über anderes, außerdem wollte er mich fotografieren, was ich aber nicht wollte, wie bei allen. Da hat es schon sehr viel Knatsch gegeben, weil ich mich nie fotografieren lassen will.

Adolf Stock
Ihr hattet also ein gutes Verhältnis, ihr habt Euch gut verstanden?

Sophie Ruiz-Pipo 2
Sofort, sofort, das Einzige, was mich so ein bisschen störte, seine Zeiten, denn ich will immer wenig Zeit verlieren. Ich glaube, ich durfte erst um halb vier kommen, oder um drei, denn er hatte Mittagsschlaf gemacht, aber das hat eigentlich damit nichts zu tun. Jedenfalls dadurch entstand, dass ich den ganzen Nachmittag beschäftigt war, ohne dass er den ganzen Nachmittag diktiert hat.

Einmal habe ich mich eigentlich geärgert, denn ich ging immer sehr viel in die Cinematheque, und ich war so ein bisschen spezialisiert auf Stummfilm, weil der hatte was Besonderes für mich. Und ich habe nicht gewagt zu sagen, nein, nein, das ist mir wichtiger, als zu Ihnen zu kommen. Ich habe Fritz Lang verpasst.

Ich weiß nicht, ob in der Zeit, wo ich immer bei ihm war, ob dazwischen auch eine Reise nach New York war. Und er hat mir gesagt, das nächste Mal, wenn er führe, dann würde er mich mitnehmen, aber dazu ist es nie gekommen.

Adolf Stock
Wie oft bist Du denn da hingegangen?

Sophie Ruiz-Pipo 3
Ich weiß es nicht mehr, aber ich glaube zwei oder dreimal in der Woche, zweimal sicher. Na erst habe ich geguckt, wie das alles ist, der hatte auch immer leise Musik an, glaube ich. Immer amerikanische, das kann man nicht mit Schlager bezeichnen, wie in Deutschland. Er hat immer nachher, also als wir uns jedes Mal eigentlich besser kannten und so, wenn er mich erwartete, war die Tür auf, und es war, glaube ich, Gershwin. Und er hat mir gesagt, das macht er extra, um mir Freude zu machen, und eines Tages habe ich ihm dann doch gesagt, es ist gar nicht so Gershwin, wen ich noch lieber höre in der Art, das ist Cole Porter. Na ja, das war so nebenbei.

Einmal musste ich sein Bett machen. Das hat mich ein kleines bisschen schockiert, aber ich habe es dann doch gemacht. Muss das da rein? Ich weiß nicht, er hatte wohl jemand, er war noch manchmal…, da waren zwei junge Leute, nicht, die da oft bei ihm waren.

Adolf Stock
Dieses Diktieren, hat er denn frei diktiert? Es sind ja seine Memoiren. Es gab ja noch einen …

Sophie Ruiz-Pipo 4
… es hatte schon was existiert. Das hat er aber, ja das hat er frei diktiert, oder hatte er da was in der Hand? Das kann ich nicht sagen, denn wenn das war, dann stand er hinter mir oder so, ich will nicht irgendwie etwas erfinden jetzt. Also das kann ich nicht genau sagen.

Adolf Stock
Es gab ja einen …

Sophie Ruiz-Pipo 5
… jemand, der schon mit ihm gearbeitet hatte. Ja, aber den habe ich nie getroffen, und über den hat er auch nie gesprochen. Ich weiß nur, dass etwas existierte, was aber überholt werden, oder abgeändert werden sollte, und dazu war er …

Adolf Stock
Ging das denn sehr flüssig, oder stockte das manchmal auch? Was für ein Verhältnis hatte er zu seinem Text gehabt?

Sophie Ruiz-Pipo 6
Also melancholisch, oder dass er dann traurig über sein Zuhause in Kleve gesprochen hätte, das nicht. Ach wir haben dann auch über …, wie der Krieg ausgebrochen war, da kam er ja erst mal in ein Lager. Aus dem Lager ist er glaube ich, ordinär gesagt, abgehauen … entflohen sozusagen und ist in eine Schweizer Familie gekommen, wo der Mann Pfarrer war, und mit denen hat er sich sehr gut gestanden. Obgleich er hat gesagt, er hätte sich erst an diese ganze Atmosphäre gewöhnen müssen. Aber wie das nachher dann weiter ging... er ist ziemlich schnell wieder nach Paris gekommen.

Adolf Stock
Es gab dann ja auch Jutta Niemann, die ihm geholfen hat.

Sophie Ruiz-Pipo 7
Ja, da kam ich mir immer vor wie ein Eindringling. Die war ziemlich bestimmend, und ich war immer das Gegenteil. Na ja, die hat da ziemlich viel befohlen, nicht. Glaubst Du auch?

Adolf Stock
Wie oft kam sie in der Woche?

Sophie Ruiz-Pipo 8
Keine Ahnung, die kam aber nicht, das wurde sicher vermieden, das hat man so gedreht, dass wir eigentlich nicht zu gleicher Zeit da waren. Das war nur ein ganz paar Mal aus Zufall. Nehme ich an. Ich habe da nicht das Gefühl, dass die richtig befreundet waren. Ich glaube, mit mir konnte er ganz andere Sachen sprechen, denn es gibt so viele Leute, die so ihre, was sie interessiert und so, und nicht dieses weiter Geöffnete, also ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll, Leute, die sich so verhalten, wie Pferde mit Scheuklappen: So, darin sind sie gut, geradeaus, was sie da sehen, und dann mit vielem Kulturellen oder so, wie bei mir, ich interessiere mich eben auch für zu viel.

Ach, und dann hat er gesagt, man muss schön aufräumen, und die Kissen sollen alle so stehen, also es sollte alles ganz 1A sein und so. Er hat gesagt, denn die Deutschen kommen. Das wurde so ausgesprochen, aber das ist so in meiner Erinnerung, als wie der Reggiani immer gesungen ‚Les loups sont entres‘, wie ein Überfall beinahe. Und so war das, jetzt muss alles so schön sein, die Deutschen kommen. So hat er dich vorgestellt.

Adolf Stock
Maywald ist dann ja zum Ende auch krank geworden, hast Du das mitbekommen?

Sophie Ruiz-Pipo 9
Das habe ich nicht richtig mitbekommen, denn meine Mutter wurde zur gleichen Zeit krank. Und da habe ich ihn zufällig auf der Straße getroffen, als es ihm ziemlich schlecht ging schon, aber das wusste ich nicht, dadurch, dass ich eine ganze Zeit nicht da gewesen bin. Den Schluss von allem von diesem Diktieren, den habe ich nicht miterlebt, da muss noch jemand anders gewesen sein dann. Das war so gut wie zu Ende, aber da fehlten ein paar Seiten. Die allerletzten Seiten, da war ich nicht da.

Und getroffen habe ich ihn in der Avenue Wilson, zwischen dem Musée d’Art Moderne und Musée de Tokyo, da auf der Straße habe ich ihn getroffen. Normalerweise sah er gut aus und war auch elegant und immer tipptopp, und da hat er gesagt es ginge ihm sehr schlecht. Aber dann habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich war zu der Zeit andauernd Berlin, Paris, Berlin Paris.

Adolf Stock
Weißt Du denn noch, was er dir bezahlt hat? Was hast Du bekommen dafür?

Sophie Ruiz-Pipo 10
Ich habe aufgeschrieben, wie lange ich da war, habe aber die Zeit, wo wir Tee getrunken haben, immer abgezogen. Das war natürlich blöd. Aber ich war nun so veranlagt. Ich kann es nicht sagen, es war ja noch zu der Franc-Zeit. Ich kann es nicht sagen, es hat gar keinen Sinn, ich weiß es nicht mehr. Ich habe so ein Verhältnis zum Geld gehabt, das ist mir von früher aus der Schulzeit geblieben, als man noch attackiert wurde, Geld und Juden, das ist ungefähr die gleiche Sache. Es ist heute noch, dass mir mit Geld vieles unangenehm ist. also da könnte man mich totschlagen, ich wüsste nicht. So ist das.