4 subscriptions and 4 subscribers
Article

Liebe Deine Stadt! Nachkriegsmoderne in Marl und Düsseldorf

Liebe Deine Stadt! Nachkriegsmoderne in Marl und Düsseldorf

Am 28. und 29. Juni 2018 fand die 41. Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz statt. Das Thema war "Moderne der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen". Nachkriegsbauten in Marl und Düsseldorf standen auf dem Programm.

Dieser Text ist am 31.07.2018 in "Der Immobilien Brief Ruhr (Nummer 96) erschienen.

Liebe Deine Stadt!

Bauten der 1960er und 1970er Jahre sind allgegenwärtig. Die Zeugnisse der noch jungen Bundesrepublik sind architektonischer Alltag. Graubrot wenn man so will, und sie sind – offen gesagt – bei der Bevölkerung nicht besonders beliebt. In Fachkreisen wächst langsam die Einsicht, dass die sprichwörtlichen Betonklötze aus der Nachkriegszeit zeittypische Denkmale sind, die Schutz verdienen. Mithin ein Fall für die Denkmalpflege. Aber was ist angesichts der unzähligen Bauten verzichtbar und was ist erhaltenswert? Wo stecken die Qualitäten einer Architektur, der wir Tag für Tag begegnen? Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz DNK hat sich mit seiner diesjährigen Pressefahrt diesem Thema gewidmet. Im Fokus standen zwei Städte in Nordrhein-Westfalen: Marl und Düsseldorf. Hier – und das machte die Sache zunächst etwas leichter – wurden Gebäude besichtigt, deren Denkmalwert inzwischen außer Frage steht.

Marl

Marl, ein sperriges Kunstprodukt zusammengefügt aus mehreren Dörfern, Fabrikanlagen, Zechen und Werkssiedlungen, war in der Nachkriegszeit Zukunft pur. Die Stadt prosperierte und wuchs, nur ein Zentrum fehlte. Das wollten die Stadtväter ändern und planten auf der grünen Wiese eine neue Mitte mit einem Rathaus als Stadtkrone. 1957 gewannen die Niederländer Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema den Wettbewerb. Zwei renommierte Architekten, die beim Wiederaufbau von Rotterdam eine wichtige Rolle spielten und im Berliner Hansaviertel für ein markantes Punkthochhaus Verantwortung tragen. 1960 war Baubeginn. Geld spielte keine Rolle, Marmor und edle Hölzer wurden verbaut. Das Rathaus war technisch und ästhetisch auf der Höhe der Zeit. Die Etagen der beiden Turmhäuser wurden von einem zentralen Betonkern abgehängt: Es wurde von oben nach unten gebaut. Das war damals spektakulär. Die Konstruktion ist an der Fassade deutlich abzulesen. Gleich nebenan das eigentliche Rathaus mit den Sitzungssälen. Es erinnert ein wenig an Le Corbusier. Eine Besonderheit ist dort das 60 Meter lange gefaltete Dach aus Spannbeton. In späteren Jahren wurde das Rathaus durch ein Einkaufszentrum und städtische Wohnbebauung ergänzt, und ein Parkplatz wich einem kleinen Landschaftspark mit künstlichem See. Das ist die städtebauliche Situation. Allerdings wirkt das Rathaus-Ensemble reichlich verwahrlost: ungepflegte Waschbetonplatten, der Brunnen hat kein Wasser und die einstigen Blumenbeete lassen sich nur erahnen.

Dennoch ist die architektonische Kraft des Ensembles spürbar. Vor allem die freistehende Rathausuhr gibt dem zentralen Platz ein Gesicht. Heute wird das Rathaus in Marl wieder geschätzt. Von Abriss spricht keiner mehr, denn inzwischen ist allen klar, dass die Nachkriegsmoderne zur DNA der noch jungen Stadt gehört. Das gilt auch für die Schule von Hans Scharoun, die 1970 bezogen wurde. Jetzt trägt sie den Namen des Architekten und beherbergt, nach der denkmalgerechten Sanierung, eine Grundschule und die städtische Musikschule. Kaum zu glauben, dass vor gut einem Jahrzehnt auch hier über einen Abriss nachgedacht wurde. Die Aula bildet den Mittelpunkt, um den sich die Klassenräume sternförmig gruppieren. Die Architektur ist auch ein pädagogisches Programm. Aber was heißt schon Aula. In Marl steht eine kleine Philharmonie, die in jedem Detail von dem Berliner Vorbild profitiert.

Das Hügelhaus aus den 60er Jahren wurde nie infrage gestellt. Die großzügigen Wohnungen auf vier Etagen sind bei den Bewohnern nach wie vor beliebt. Sie stapeln sich terrassenförmig zu einer Art Pyramide oder kleinem Gebirge. Eine Bauweise, die sich damals in der ganzen Republik etablierte, aber nicht alle Bauten haben die gestalterische Qualität wie hier in Marl. Eine Tiefgarage und ein Hallenbad, das noch immer funktioniert, gehören zu Ausstattung. In den 70er Jahren wurde das Erfolgskonzept durch weitere Bauten ergänzt. Es entstanden die Wohnhügel zwei, drei und vier. Und man fragt sich verwundert, weshalb bewohnerfreundliche Terrassenhäuser heutzutage nicht mehr gebaut werden.

Düsseldorf

Am Abend ging es weiter nach Düsseldorf. Ein Treffen im Mannesmann-Hochhaus, das 1958 deutschlandweit der erste Wolkenkratzer in Skelettbauweise war. Das Haus steht seit 1997 unter Denkmalschutz, 2001 wurde es vollständig entkernt und saniert. Hier im obersten Stock fand die obligatorische Podiumsdiskussion der Pressereise statt. Man sah auf den Rhein und weit über die Düsseldorfer Häuser, die in der Abendsonne glänzten.

Um es offen zu sagen: Der Denkmalschutz befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Er steckt in der Krise. Ihm fehlt der politische Rückhalt. Wenn vor Jahren das Nationalkomitee mit Journalisten durch ein Bundesland fuhr, begrüßte der zuständige Minister oder die zuständige Ministerin die Gäste. Einige gingen sogar mit auf die Reise und auf jeden Fall diskutierten sie auf dem Podium mit den Vertretern der Denkmalpflege. Heute lässt sich selbst der Staatssekretär entschuldigen und es reicht nicht einmal für ein freundliches Grußwort. Laut Satzung soll das Nationalkomitee für Denkmalschutz die Politik beraten. Aber die Politik will gar nicht beraten werden. Stattdessen ist immer öfter ganz allgemein von Baukultur die Rede, auch dann, wenn es um die Belange der Denkmalpflege geht. Aus historischen Gründen hat Nordrhein-Westfalen gleich zwei oberste Denkmalpfleger. Landeskonservator Holger Mertens ist für Westfalen zuständig, Kollegin Andrea Pufke leitet das Amt im Rheinland. Mertens ist der formvollendete Diplomat, während Andrea Pufke auch mal kritisiert und Klartext spricht. Sie will offen aussprechen können, was aus Sicht der Denkmalpflege fachlich zu sagen ist. Die dann folgenden Entscheidungen stehen auf einem anderen Blatt.

Am nächsten Tag ein Gang durch die Stadt. Zunächst ein kurzer Blick in das Foyer der Düsseldorfer Kunsthalle. Auch so ein Bau aus den 60er Jahren, dessen Qualität sich erst bei näherer Betrachtung erschließt. Etwa die souverän gestaltete Treppe, die sich umstandslos in die bedeutende Tradition der klassischen Museumsbauten fügt. Der drohende Abriss konnte Ende der 90er Jahre verhindert werden, aber natürlich ist der monolithische Beton-Klotz neben dem barocken Kleinod St. Andreas auch eine Zumutung. Aktionskünstler Josef Beuys hat noch eins drauf gesetzt. Er hat an die seitliche Betonwand ein schwarzes Ofenrohr installiert. Ganz und gar zweckfrei, so wie es Immanuel Kant für die Kunst gefordert hat.

Weiter geht der Weg durch den Hofgarten in Richtung Dreischeibenhaus. Der Tausendfüßler, das verzweigte Brückensystem für die autogerechte Stadt aus den 60er Jahren, ist verschwunden. Die Schnellstraße hatte den Hofgarten empfindlich angeknabbert und in zwei Hälften geteilt. Jetzt fließt der Verkehr unterirdisch durch ein Tunnelsystem. Oben ist der Weg durch den Hofgarten wieder frei. Ein historisches Stück Stadt wurde zurückerobert. Für den Flaneur und für die topografische Wahrnehmung der Stadt ein großer Gewinn. (Eine Revision, die ich mir in Berlin zwischen dem neu aufgebauten Schloss und dem Lustgarten auch wünschen würde, denn auch hier gibt es eine breite, viel befahrene Achse, die vom Alexanderplatz zur Straße Unter den Linden führt und städtebaulich alles verdirbt.)

Das Dreischeibenhaus von Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg gilt als Ikone der Nachkriegsmoderne. Ein Fanal des Wirtschaftswunders und ein bedeutendes Zeugnis des „Internationalen Stils“, wie sich die vom gesellschaftspolitischen Ballast entsorgte Bauhaus-Moderne damals schon nannte. Auch hier wurde kürzlich alles saniert, mit Rücksicht auf die Denkmalpflege, aber auch mit kühl kalkuliertem Blick auf die Vermietbarkeit der Geschäftsimmobilie.

Ob die Denkmalpfleger dem Tausendfüßler nachtrauern? (Und den vielen Autos, die zur autogerechten Stadt dazugehören?) Auf jeden Fall ist die Denkmalpflege gegen die momentane Platzbebauung zwischen Dreischeibenhaus und Düsseldorfer Schauspielhaus. Der Gustaf-Gründgens-Platz ist gerade eine riesige Baustelle. Hier entsteht ein grün bepflanztes Geschäftshaus nach Plänen des Architekten Christoph Ingenhoven. Schon jetzt ist klar: Die neue Immobile wird den Maßstab des 60er-Jahre-Ensembles sprengen. Das simulierte Hochglanzbild der Stadtverwaltung zeigt den Neubau von schräg unten und in einem geheimnisvollen Dämmerlicht. Eine digital generierte Perspektive, die ein realer Mensch nie wird einnehmen können. Der Simulation zum Trotz wird das Düsseldorfer Schauspielhaus demnächst, eingeklemmt zwischen Dreischeibenhochhaus und Neubau, sein zurechtgestutztes Dasein fristen. Zurzeit ist das Schauspielhaus geschlossen und wird aufwendig saniert. Verantwortlich ist auch hier Christoph Ingenhoven, und man fragt sich schon, ob hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht wurde.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat das schwer zerstörte Düsseldorf immer nur nach vorne geschaut. Das gilt bis heute. Das Mannesmann Hochhaus und das Dreischeibenhaus sind typisch für den Düsseldorfer Wiederaufbau. Das Geld kam von der Stahlindustrie, und die beauftragten Architekten gingen selbstbewusst ans Werk. Nach einem Besuch in den USA bauten sie nicht mehr im alten Stil, der vehement kritisiert wurde, sondern ultramodern. Hauptsache die Rechnung stimmte.

Investorenarchitektur ist in Düsseldorf kein Schimpfwort. Eine kleine Lektion in Sachen Geld und Architektur gab es am Ende der Reise. Der Architekt Walter Brunne führte durch seine Siedlung Münsterpark im Süden der Stadt. Brune ist 92 Jahre alt, ein sympathischer Grandseigneur, der als junger Mann ein Jahrzehnt in Amerika war, mit Marcel Breuer ein Büro hatte und Gropius und Co alle persönlich kannte. „Sagen Sie ruhig Investoren-Architekt. Nennen Sie mich, wie Sie wollen.“ Seine Honorare hat Brune stets in Immobilen und neue Projekte reinvestiert. Mit Bauten für den Karstadt- Konzern und Einkaufzentren weltweit hat er viel Geld verdient.

Seine innerstädtische Wohnsiedlung Münsterpark wurde in vier Bauabschnitten zwischen 1970 und 1984 gebaut. Brune hat die rund 600 Wohneinheiten selbst finanziert und selbst entworfen. Die Wohnungen über zwei Etagen sind bis heute attraktiv und landen wohl demnächst auf der Denkmalliste. „Urbanität durch Dichte“, hieß damals das neue städtebauliche Leitbild. Der Münsterpark ist in diesem Kontext zu verstehen.

Ein Fazit der Pressereise?
Viele Eindrücke und noch mehr Fragen. Auch die Denkmalpfleger sind nachdenklich geworden. Weshalb wird ihr Anliegen so wenig geschätzt? Welchen Anteil hat eine misslungene Kommunikation? Warum ist das Gespräch zwischen Politik, Denkmalschutz und den Bürgern so aus dem Lot? Und wo bleibt der berechtigte Stolz auf all das, was in den Nachkriegsjahren geschaffen wurde? „Liebe Deine Stadt“ steht in großen Lettern auf einem Gebäude mitten in Köln. 2006 hielt Architekt Peter Zumthor eine Laudatio auf die Kölner Oper vor Ort. Er erklärte auf wunderbar leicht verständliche Weise, weshalb die 60er-Jahre-Oper in Köln unbedingt erhaltenswert ist. Heute, so mein Eindruck, wird auch in Marl das Motto „Liebe Deine Stadt“ ganz gut verstanden. Aber kann man auch Düsseldorf lieben?

Zum Original (Seite 13 ff.)
https://www.rohmert-medien.de/wp-content/uploads/2018/08/Der-Immobilienbrief-Ruhr-Nr-96.pdf