4 subscriptions and 4 subscribers
Special

Die Geschichte des RIAS-Gebäudes (heute Deutschlandfunk Kultur)

Die Geschichte des RIAS-Gebäudes (heute Deutschlandfunk Kultur)

Das Berliner Rundfunkgebäude des Deutschlandradios wurde 1938-41 von Walter Borchard für die Bayerische Stickstoffwerke AG erbaut. Nach der Kapitulation wurde das Gebäude von den Alliierten beschlagnahmt. Das ursprüngliche Verwaltungsgebäude wurde 1948 zum Funkhaus umgebaut.

Hier einige Anmerkungen zur Geschichte des Gebäudes (Der Text ist die leicht überarbeite Fassung eines Beitrags für das Buch: Manfred Jenke (Hg.) Bundesweit und werbefrei. Zehn Jahre Deutschlandradio. Vistas Verlag Berlin, 2003.

Kufsteiner Straße, Hans-Rosenthal-Platz. Das Gebäude mit der markanten runden Ecke ist Sitz des Deutschlandradio Kultur. Es steht in exponierter Lage an einem Park. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts wurden entlang des Wilmersdorfer und Schöneberger Volksparks bevorzugt Schulen und Verwaltungsgebäude gebaut. Von oben, aus der Kantine im fünften Stock, sieht man den Turm des Schöneberger Rathauses und etwas rechts, ziemlich weit hinten den Fernsehturm am Alexanderplatz.

Das heutige Funkhaus wurde Ende der 30er Jahre als Verwaltungsbau für die Bayerischen Stickstoffwerke in Auftrag gegeben. Ein Neubau war notwendig geworden, weil das Gebäude des Chemiekonzerns in der Schadowstraße in Berlin Mitte im Zuge der nationalsozialistischen Hauptstadtplanung vom Reichsinnenministerium beansprucht wurde. 1939 war Baubeginn. Die Produktion von Stickstoff war kriegswichtig, und so wurde auch nach Kriegsbeginn trotz eines allgemeinen Bauverbots mit staatlicher Sondergenehmigung weitergebaut. Im April 1941 konnte der Verwaltungsbau bezogen werden.

Der Architekt des Gebäudes heißt Walter Borchard. Er wurde 1887 in Stettin geboren, studierte an der Berliner Baugewerkschule und war später im Architekturbüro von Paul Mebes tätig, der zu den großen Architekten des Berliner Siedlungsbaus im frühen 20. Jahrhundert zählt. 1925 gründete Borchard in der Potsdamer Straße sein eigenes Architekturbüro. Er entwarf bedeutende Wohnanlagen und Siedlungsbauten, darunter die „Zeppelinhäuser“ an der Prenzlauer Promenade von 1928, die durch ihre spektakuläre Dachschalenkonstruktion Aufsehen erregten. Ursprünglich war die Technik der dünnwandigen Schalengewölbe von Carl Zeiss in Jena für Planetarien entwickelt worden, weil für die Projektion des Sternenhimmels exakt geformte Kuppelbauten benötigt wurden.

Für ein Wohnhaus in der Treptower Puderstraße hatte Borchard schon 1928 eine runde Ecke entworfen, die auch das Gebäude des DeutschlandRadios prägt. Solche Ecklösungen waren aus dem Büro Mebes bekannt, etwa beim berühmten Verwaltungsbau der Nordstern Versicherung von 1914, der gleich neben dem Schöneberger Rathaus steht. Als mit dem Ende der Weimarer Republik der Siedlungsbau fast vollständig zum Erliegen kam, plante Borchard Verwaltungsgebäude für die prosperierende Luftfahrtindustrie.

Die Verwaltung der Bayerischen Stickstoffwerke bekam auf einem winkelförmigen Grundriss ein fünfstöckiges Gebäude. Das steile Satteldach mit den kastenförmigen Dachgauben folgt der runden Ecke. Ein repräsentatives halbrundes Treppenhaus wurde in der Mittelachse in die Hausrückwand gebaut. Von hier aus werden die beiden ungleich langen Gebäudeflügel erschlossen. Im Hof befanden sich ein Laborpavillon und die Garagen für den Fuhrpark.

Die Entstehungsgeschichte des Gebäudes ist gut dokumentiert. Denn der Architekt Walter Borchard war auch ein begeisterter Fotograf. Anfang der 90er Jahre wurden auf einem Dachboden in Berlin-Schöneberg 12.000 Schwarz-Weiß-Negative entdeckt. Von 1936 bis 1946 hatte Borchard so ziemlich alles fotografiert, was ihm vor die Linse kam: politische Ereignisse, Großstadtmenschen, Urlauber, Häuser und natürlich Baustellen. Wahrscheinlich sind diese Fotografien die umfangreichste Bilddokumentation, die ein Privatmann während der NS-Zeit zustande gebracht hat. Und begeistert wie er war, hat er auch die Entstehung des heutigen Rundfunkgebäudes Schritt für Schritt mit der Kamera verfolgt.

Nach der Kapitulation 1945 wurde das Betriebsvermögen des Chemiekonzerns von den Alliierten beschlagnahmt. Drei Jahre später, am 6. Juni 1948, zog der RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) in den für Rundfunkzwecke umgebauten Borchard-Bau. Damit konnte der provisorische Sendebetrieb aus dem Fernmeldeamt 1in der Schöneberger Winterfeldtstraße ein Ende finden.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude einen Bombenschaden, der schnell behoben werden konnte. Dagegen bedeutete der Umbau zum Funkhaus die völlige Umnutzung eines Gebäudes. Die technischen Voraussetzungen für den Sendebetrieb mussten geschaffen werden. Aus akustischen Gründen wurden die neuen Studios im „Haus-im-Haus-Verfahren“ in das Gebäude implantiert. Das war ohne weiteres möglich, weil lediglich die Außenwände konventionell gemauert sind, während die moderne Stahlskelettkonstruktion im Innern keine tragenden Wände benötigt. So konnten die Räume jederzeit flexibel geplant und verändert werden: Aus Chemielabors wurden Studios und Schneideräume, und aus dem „Raum für Betriebsappelle“ wurde der große Sendesaal, wo Hans Rosenthal und Onkel Tobias vor Publikum auf der Bühne standen. Die Erstausstattung der Möbel, die vielen Schreibtische, Stühle und Aschenbecher, kamen per Schiff aus Amerika. Am deutlichsten waren die Veränderungen an dem Antennengebirge auf dem Dach wahrnehmbar und natürlich am RIAS-Logo, das nun die Initialen „B. ST. W.“ (Bayerische Stickstoff Werke) ersetzte, und das seit 1995 – wie der gesamte Borchard-Bau – unter Denkmalschutz steht.

Seit dem 1. Januar 1994 hat das DeutschlandRadio Berlin seinen Sitz im ehemaligen RIAS-Gebäude. Seitdem wurde das Haus vom Keller bis zum Dach vollständig renoviert. Und auch diesmal ließ sich das Funkhaus – wie schon 1948 – ohne ernste Probleme für die Belange des digitalen Rundfunks umgestalten. Das denkmalgeschützte Gebäude ließ auch größere Ein- und Umbauten zu, ohne seine architektonische Identität verleugnen zu müssen. Ob eine zeitgemäße Kanine oder moderne Studioeinbauten, ob Kabelschächte für das digitale Netz oder der neue Newsroom für die aktuelle Berichterstattung – alles kein Problem.

Und bis heute ist das zentrale Treppenhaus Dreh- und Angelpunkt des Gebäudes geblieben. Die schöne, elliptisch geschwungene Treppe ist noch original erhalten. Sie verweist schon auf die Ästhetik der 50er Jahre, wo entsprechende Treppenhäuser eine prominente Bauaufgabe waren. Hier an zentraler Stelle kreuzen sich immer wieder die Wege. Anstatt den Fahrstuhl zu bemühen, nimmt so mancher Kollege die Treppenstufen, und nicht selten sieht man zwei, drei Kollegen ein spontanes Gespräch auf dem Treppenabsatz führen. Ein Treppenhaus als kommunikativer Ort. Auch das ist ein Beleg für die solide Architektur Walter Borchards, für eine zurückhaltende, ganz auf Funktion bedachte Moderne, die sich hervorragend bewährt hat und sich sicher noch lange bewähren wird. Gute Voraussetzungen für einen Sender, der beim Blick in die Zukunft die Tradition nicht vergisst.