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Feature

Die Notkirchen von Otto Bartning

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Das hier dokumentierte Radiofeature beschäftigt sich mit den Notkirchen von Otto Bartning. Das Feature wurde erstmals am 06.11.2016 im Deutschlandradio gesendet.

Notkirchen ohne Not
Die Nachkriegsbauten von Otto Bartning sollen Weltkulturerbe werden

Moderation:
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland in Trümmern. Auf Initiative des Architekten Otto Bartning wurden gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in ganz Deutschland Notkirchen gebaut. Mit einer genormten Holzkonstruktion und noch vorhandenen Trümmersteinen wurden sie in kürzester Zeit erbaut. Jetzt möchte ein Verein, dass diese Kirchen bundesweit als Weltkulturerbe anerkannt werden. Haben sich die Kirchen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit überlebt, oder steckt mehr dahinter, haben sie es verdient, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt zu werden? Adolf Stock geht dieser Frage nach.

Atmo:
Glockengeläut Offenbarungskirche

Take 1: (Ursula Springer)
„Die Kirche ist so alt wie die DDR. Wir hatten auch Leute, die mit dem Hund Wache geschoben haben, damit nicht die Materialien wegge¬nommen wurden. Und ja, …“

Sprecher:
Berlin-Friedrichshain. Zwischen kultiger Partymeile und Ostbahnhof liegt die protestantische Offenbarungskirche. Eine der vielen Notkirchen des Architekten Otto Bartning. Gemeindemitglied Ursula Springer ist Mitte 80 und hat den Aufbau noch selbst miterlebt.

Take 2: (Ursula Springer)
„Da wurden Steine gekloppt, hier vorne waren Schienen mit Loren, wo alle Steine reinkamen und der Abfall und so. Ja und da wurde die Kirche gebaut, und dann 49 war sie fertig, so ungefähr.“

Sprecher:
Heute ist Malte Stets Gemeindepfarrer in Friedrichshain. Von außen wirkt das Gotteshaus eher unscheinbar, aber beim erstmaligen Betreten gab es für ihn eine Überraschung.

Take 3: (Malte Stets)
„Ich bin großgeworden in der Nähe von Oldenburg, auch dort gibt es eine Bartningsche Notkirche und zwar im Evangelischen Jugendheim. Deutlich kleiner, aber das war eine der Kirchen, in der ich meine Jugend verbracht habe. Ich bin durch die Tür gekommen und habe gedacht, ich komme nach Hause.“

Sprecher:
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Kirchen zerstört. Manchmal zogen Kapellenwagen von Ort zu Ort, oder die Gemeinde hielt Gottesdienst in einer Wanderkirche, die mobil aufgestellt werden konnte.

Der Architekt Otto Bartning hatte eine andere Idee. Er plante Notkirchen nach einem variablen Baukastensystem, das an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden konnte. Als Werkbundmitglied und Wegbereiter der Bauhaus-Schule kannte er sich mit der seriellen Fertigung von Gebäuden aus. Trotz kurzer Bauzeit wollte er keine anspruchslose Gebrauchs¬architektur, sondern spirituelle Räume schaffen. Das prägt auch die Offenbarungskirche in Berlin-Friedrichshain.

Take 4: (Malte Stets)
„Es gibt eine sehr offene, klare Architektur, da ist nichts versteckt. Man hat nicht das Gefühl, dass man sich im Raum verliert. Es gibt ja nur ein schmales Lichtband oberhalb dieser gemauerten Kassetten, und der strahlt eine Helligkeit, eine Freundlichkeit aus.“

Sprecher:
Otto Bartning wurde Leiter der Bauabteilung des „Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland“. Hier konnten Gemeinden die Zuweisung einer Notkirche beantragen. Finanzielle Unterstützung kam von Glaubensbrüdern und -schwestern aus Skandinavien und den Vereinigten Staaten. Bartning wollte in einer verwüsteten Welt mit einfachen Mitteln „Zeltlager des Glaubens“ errichten, zitiert Immo Wittig den Baumeister. Wittig gehört zu einem Berliner Verein, der will, dass möglichst viele Bartning-Kirchen UNESCO Weltkulturerbe werden.

Take 5: (Immo Wittig)
„Es gibt einmal die großen Notkirchen, davon sind 41 erhalten, die wurden zwischen 1947 und 51 erbaut. Dann gab es aber eben noch ein Anschlussprogramm, eher für den ländlichen Diaspora-Raum. Für Gebiete, wo es Flüchtlinge und Vertriebene gab. Das nennen wir die kleinen Notkirchen, die Typen heißen: Diaspora-Kapellen und Gemeindezentren, und davon gibt es noch 16 Gemeindezentren und 29 Diaspora-Kapellen.“

Sprecher:
Der Antrag ist in Vorbereitung, 2017 soll er eingereicht werden. Dazu braucht der Verein die Unterstützung der Gemeinden vor Ort, was nicht immer ganz einfach ist.

Take 6: (Immo Wittig)
„Die Resonanz ist gespalten. Das Thema Kirchenbau ist nun nicht so das Hauptthema in der evangelischen Kirche, da gibt es immer andere Sachen, die wichtiger sind, und es ist halt ein Thema, was eher so am Rande ist bei vielen.“

Sprecher:
Zurzeit gibt es rund 30 positive Rückmeldungen. Das Votum von 50 Gemeinden steht noch aus, während fünf Kirchen die Initiative nicht unterstützen wollen. Zu ihnen gehört auch die Berliner Offenbarungs-kirche. Malte Stets erklärt warum.

Take 7: (Malte Stets)
„Wir haben im Moment sehr viel mit uns selbst zu tun, sind gerade in einem Prozess, dass wir herausfinden wollen, wo stehen wir eigentlich, wo gehen wir hin, wo wollen wir hingehen als Gemeinde? Und uns war wichtig, nicht jetzt noch ein Fass aufzumachen, was uns noch eine Baustelle bescheren würde, das können wir hier im Moment nicht leisten.“

Sprecher:
Malte Stets will die Zukunft seiner Gemeinde gestalten. Aufbruch steht auf seiner Agenda, das ist ihm wichtiger, als ein historisches Gebäude zu konservieren und als Denkmal zu bewahren. Gemeindemitglied Ursula Springer hat eine pragmatische Sicht auf das Gebäude.

Take 8: (Ursula Springer)
„Das ist Geschmackssache. Kann man, kann man nicht, also da sollen sie sich drum zanken. Für mich ist es meine Kirche, meine Heimat-Stamm¬kirche und weiter nichts.“

Sprecher:
Immo Wittig bleibt standhaft. Er verteidigt sein Anliegen, auch, weil für ihn die Notkirchen bedeutende religiöse und gesellschaftliche Zeugnisse sind.

Take 9: (Immo Wittig)
„Es ging ja nicht nur um die Frage, was können wir jetzt überhaupt noch bauen – ja da kommt die moralische Komponente rein – es ging ja auch um die Frage: Was dürfen wir überhaupt noch bauen? Im Kirchenbau gab es absolut kein Leitbild mehr, und Otto Bartning hat dann eben mit diesen Notkirchen ein eigenes Leitbild begründet.“

Sprecher:
Notkirchen ohne Not - haben sie nicht längst ausgedient? Immo Wittig beruft sich auf Otto Bartning, der seine Notkirchen nie als reine Provisorien verstanden wissen wollte. Ist am Ende nicht jedes Gotteshaus eine Notkirche? Auch Malte Stets sieht seinen Nachkriegsbau fest verankert in der Gegenwart.

Take 10: (Malte Stets)
„Der Raum, durch den man geht, bevor man in den eigentlichen Kirchraum kommt, ist von der Deckenhöhe sehr niedrig. Ich versuche das mal zu beschreiben mit dem Begriff der Demut, dass man eben nicht sofort durch ein großes Portal schreitet und sich aufrichten kann und sagen kann: So, hallo da bin ich! – typische menschliche Hybris, sondern erst einmal sich ein bisschen klein machen, bevor man durch die Tür kommt, und dann auf einmal aufatmen kann.“

Sprecher:
Das ist eine Erfahrung, die Otto Bartning bewusst provozieren wollte. Eine existenzielle Erfahrung, die auch ohne das Label Weltkulturerbe Bestand haben kann.