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Interview

Magdaléna Vášáryová: Die Zivilgesellschaft in der Slowakei

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Bild: Magdaléna Vášáryová, Copyright Adolf Stock

Die Slowakei hatte 2016 den Vorsitz im Ministerrat der EU. Wie ist dort die Situation der Zivilgesellschaft? Magdaléna Vášáryová gibt Auskunft. Sie ist 1948 in der Slowakei geboren, war in jungen Jahren eine viel beachtete Schauspielerin und ging später in die Politik.
Sie berichtet über die Zivilgesellschaft in ihrem Land, mit einem kritischen Blick auf die Situation in den östlichen Nachbarländern.

Das Interview mit Magdaléna Vášáryová wurde am 24.09.2016 im Goethe-Institut Bratislava geführt, im Rahmen einer Journalistenreise, zu der das 'Deutsche Kulturforum östliches Europa' nach Bratislava eingeladen hatte. Die Fragen stellten Stephanie von Aretin, Kay Zeisberg und Adolf Stock.

Die Zivilgesellschaft ist ganz, ganz stark hier in der Slowakei, weil unmittelbar nach der Trennung der Tschechoslowakei Herrn Mečiars Regierung kam. Die war antiliberal, antidemokratisch, antieuropäisch und so weiter. Wir waren 1997 nicht Mitglied der NATO geworden in Madrid. Gegen diese 35 Prozent der Wählerstimmen – große Stimmen für Mister Mečiar – mussten wir die Zivilgesellschaft, mussten wir andere Gruppen der Bevölkerung von der Slowakei aktivieren. Ich habe 1993 die ‚Slowakische Außenpolitische Gesellschaft‘ gegründet, unmittelbar als ich von Wien kam nach der Trennung der Tschechoslowakei. Ich war die letzte tschechoslowakische Botschafterin von Václav Havel.

Nach vier Jahren Mečiar-Regierung war es nahezu die russische Politik. Und dann war es auch ökonomisch sehr schlecht in der Slowakei. Da haben wir in der ‚Slowakischen Außenpolitischen Gesellschaft‘ eine Initiative gegründet gegen die Fälschung von Wahlen. Das waren ‚bürgerliche Augen‘ oder so etwas. Das waren 40.000 junge Leute. Die Parlamentswahlen 1998 waren ganz, ganz interessant. Ich bin Soziologin, 86 Prozent der Neuwähler, junge Wähler, hatten an den Wahlen teilgenommen. Und deswegen war es möglich, dass – obwohl Herr Mečiar die Wahlen gewonnen hatte – Herr Dzurinda eine neue Koalitionsregierung bilden konnte.

Seit dieser Zeit zeigt die Zivilgesellschaft ihre Kraft bis heute sehr stark.

Das war eine Initiative mit T-Shirts und so weiter, also wir müssen es ändern. Das war eine Gefahr, dass das Programm von dem damaligen Premierminister von der Russischen Föderation Primakow realisiert würde. Das war ein Programm, die Slowakei als einen Keil von russischem Einfluss in Zentraleuropa zu halten. Ein Argument war, dass die Nazi-Deutschen die Slowakei als Keil nach Osten ausgenützt haben. Deswegen war bis 1944 kein deutscher Soldat hier nötig, weil das war die faschistische Slowakei, und jetzt wollten die Russen in die andere Richtung, also von Ost nach West einen Keil haben. Und die haben Mečiars Politik dazu ausgenützt. Das war eine Gefahr. Das war wirklich eine Gefahr bei der Trennung von der Tschechoslowakei.

Frage: Die Jugend hat sich damals hauptsächlich westlich orientiert?

Damals alle. Das war wirklich eine starke Bewegung. Ich war 1999 bei den Präsidentschaftswahlen Kandidatin von dieser Gesellschaft, der bürgerlichen Zivilgesellschaft. Ich war die erste Frau. Ich konnte überhaupt nicht gewinnen, aber trotzdem war es sehr wichtig. Erstens, ich konnte mit allen diesen Organisationen, das waren alle Zivilgesellschaftsorganisationen zusammen, von Healthcare-, also Gesundheitsorganisationen, oder Organisationen, die im Schulwesen tätig sind, alle, auch die, die mit der Politik nichts zu tun gehabt haben. Und deswegen ist bis heute die Zivilgesellschaft sehr stark hier.

Frage: Gab es dabei Unterschiede zwischen der Westslowakei und den östlichen Landesteilen?

Das war wie immer mehr in den Städten. Nicht nur Košice, Prešov, Bardejov, es war in Humenné. Die ganzen östlichen Städte haben mitgemacht. Deswegen ist die Slowakei ein bisschen anders. Mečiar hat alle Finanzquellen für die Zivilgesellschaft gestoppt. Deswegen mussten wir ganz stark freiwillige Leute haben. Ich wurde auch nicht bezahlt. Das war alles nur mit der Kraft weiter zu gehen. Und bis heute existieren manche von diesen Organisationen noch, aber da sind auch viele neue, und deswegen bin ich jetzt nach zehn Jahren im Parlament wieder in diese Richtung gegangen und habe zwei dieser Organisationen, diese alte Frauenorganisation Živena. Es waren immer demokratische Frauen, während der Kommunisten waren sie nicht erlaubt, aber zum Beispiel 1937 hatten sie 39 Schulen. Ich modernisiere die Organisation, und jetzt werde ich ein Zentrum von Živena in der Nordslowakei eröffnen.

Frage: Spielt bei Ihrer Arbeit Ihr Beruf als Schauspielerin eine Rolle? Gestattet das einen anderen Blick auf die Welt?

Ich weiß nicht. Ich bin Mathematikerin ursprünglich, ich habe Mathematik und Soziologie studiert. Aber ich konnte aus politischen Gründen nicht weitergehen im akademischen Bereich, weil meine Einstellungen waren ganz klar. Ich kam aus einer ganz antikommunistischen Familie, und die einzige Möglichkeit einen Job zu finden war im Theater. Weil ich war blond mit einem Meter langen Haaren und großen Augen und 45 Kilo, also ein gutes Objekt für die Schauspielerei. Aber ja, während der 70er und 80er Jahre war es gut, denn ich hatte in diesen schrecklichen Jahren ein paar politische Probleme. Und das war schön, weil da normale Leute waren, begabte Leute, und ich hatte auch mehrere tschechische Filme gedreht damals. Deswegen war ich auch bekannt als 17-jähriges Mädchen. Ich kannte schon Václav Havel, und dann alle diese tschechischen Regisseure von der Neuen Welle, auch die slowakischen, von Jakubisko, Hanák und alle diese. Und dann habe ich ein paar Filme mit denen gedreht. Nur ein Film, den wir 1968 gedreht haben, hat mich praktisch meine akademische Kariere gekostet. Aber das war schön, weil im Theater ist Demokratie, Demokratie und Druck auf Qualität. Also ich hatte da nie einen festen Lohn, aber trotzdem habe ich meist viel gespielt. Da waren viele Leute, die haben zweimal oder dreimal Lohn bekommen, aber die hatten nie gespielt. Die waren nicht talentiert. Ich hatte Talent gehabt, aber ich weiß nicht warum, das ist ein Geschenk Gottes.

Es war schön, aber auch Havel wusste: Ich will nicht mein ganzes Leben wie meine Schwester (Emília Vášáryová) eine Schauspielerin bleiben. Weil er wusste, dass ich gut deutsch spreche, hat er gefragt, ob ich bereit wäre, für zwei Jahre die erste nichtkommunistische Botschafterin in Wien zu sein. Nach zwei Wochen habe ich ja gesagt. Deswegen war ich fast drei Jahre in Wien. Aber bis heute kann ich nicht ein Buch darüber schreiben.“

Frage: Wie verträgt sich die Emotionalität der Schauspielerin mit der Diplomatie?

Das sind große Unterschiede, weil in der Schauspielerei sind Sie ein Objekt für Regisseure. Ja, der Regisseur ist ein bisschen mehr demokratisch denkender Mensch, dann haben Sie Platz, ein bisschen ihre Vorstellungen dort zu bringen, aber in der Diplomatie sind Sie ein Beamter. Deswegen wollte ich eine Politikerin sein. Ja, eine Botschafterin ist fein, seine Exzellenz und alle diese Sachen, obwohl meine zwei Posten waren sehr schwer. Drei Jahre in Wien und dann in Warschau. Ich war dort, weil die Polen und die ganze Visegrád-4-Gruppe (Eine lose Kooperation der mitteleuropäischen Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn.) hat sich entschieden, dass die Slowakei mitgehen muss. Also 2000 war ich dort, bis 2005. Ich spreche sehr gut polnisch, und ich war schon in Polen bekannt von 1990 mit allen diesen Leuten: Geremek, Mazowiecki, Adam Michnik von der Gazeta Wyborcza und Bartoszewski, Barcz, Meller und alle diese Leute, die eine neue Außenpolitik von Polen kreierten, die waren meine Freunde. Ich war auch per Du mit Präsident Kwaśniewski von 1990. Also praktisch haben mich nicht die Slowaken nach dort geschickt, die Polen haben gesagt, hier Slowakei, bitte schicken Sie uns Magda. Und meine Aufgabe war, diese Unterstützung für die Slowakei als Nato- und EU-Mitglied ein bisschen unter Druck zu halten. Also wir sind dankbar, Polen, Tschechien und Magyaren, die haben unsere Nato-Mitgliedschaft unterstützt.

Frage: Es war damals eine erfolgreiche Zeit?

Es war schön, weil damals Polen für uns so ein intellektuelles, andersgehendes Land war. Das war schön, weil noch alle, auch diese Priester wie Gieczinski oder Boniecki und so weiter, die haben einen großen Einfluss in der katholischen Kirche in Polen gehabt.

Mir scheint es so, und ich werde es offen sagen: Polen ist das einzige Land, 25 Jahre Kontinuität waren dort, eine sehr erfolgreiche Kontinuität, ob Kwaśniewski früher ein Kommunist war oder so, das spielte keine Rolle in diesem Sinne. Vielleicht in der Innenpolitik aber nicht in der Außenpolitik. Jetzt sind sie in eine Zeit zurückgefallen, wie wir in der Slowakei 1994 mit Mečiar. Also alles muss sich ändern! Letztes Jahr in Krynica hat Jarosław Kaczyński unmittelbar vor der Parlamentswahl in Polen gesagt, ich werde es polnisch sagen. Er spricht vielleicht so: (polnischer Ausspruch) ‚Alles, was wir in diesem Land seit 1989 gemacht haben, ist schlecht‘. Na ja und er macht so eine Politik, das ist die 4. Republik, und alles muss geändert sein, also Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, Schulwesen – die haben jetzt das achtjährige Gymnasium gelöscht, Kulturpolitik. Die haben jetzt bis heute fast alle Direktoren und auch viele Leute in allen kulturellen Institutionen geändert, bis zu den Putzfrauen. Wie in Mečiars Zeiten, also bis zu den Putzfrauen: Da müssen unsere Leute kommen! Also direkt von der Institution Buch, bis Theaterdirektoren, alle Chefs von Banken, die nicht privat sind oder internationale Banken oder so, alles musste sich ändern. Und die Polen – wir sind daran gewöhnt, weil wir hatten in der Slowakei zweimal solche Zäsuren, erstens war es 1994 und zweitens 2004, also wir sind daran gewöhnt – aber die Polen sind sehr pessimistisch geworden. Und die wissen: Auch wenn sich diese Zeit ändern wird – nie wieder wird so eine Atmosphäre mit dieser Kontinuität kommen wie früher.

Das ist ja auch ein Angriff auf die Zivilgesellschaft

Ja sehr, sicher sehr, das was Mečiar gemacht hatte, die unabhängigen Zeitungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen von allen Finanzquellen zu stoppen, das macht Putin auch. Putin macht es so: Die sind die Agenten von draußen und so weiter, und so weiter, und das kommt auch. Also wir müssen eine nationale Politik für unsere Nation machen. Und das ist die unsere, das Einzige, das wir haben für unsere Identitäten und so weiter. Und das war die Sprache von Victor Orbán (ungarischer Premierminister). Victor ist mein ehemaliger Freund aus den 1990er Jahren, aber wir verstehen uns nicht mehr. Diese Kultur-Konterrevolution, die hat er in Krynica ausgerufen. Also ich habe gefragt, ob wir auch diese Jacken wie Mao haben werden, wie in den Mao-Zeiten, und dieses rote Büchlein oder so.

Frage: Dann ist die gesellschaftliche und die mediale Realität in der Slowakei im Moment doch anders, gemäßigter und liberaler als in Ungarn oder in Polen?

Wir waren immer hinter allen diesen Republiken, auch wenn wir über die Reformen sprechen, lange war es so. Aber jetzt, mit der Eurozonen-Mitgliedschaft und dem neuen Präsidenten und wieder einer Koalitionsregierung, sind wir jetzt besser dran.

Für uns Slowaken ist es sehr wichtig: Zwischen Deutschland oder der westlichen Welt und der Slowakei sind die Tschechen. Und wenn die Tschechen einen anderen Weg auswählen werden, dann hat das auch einen Einfluss hier in der Slowakei. Und das müssen wir sehr vorsichtig observieren.

Frage: Jetzt haben Sie die Rolle des Präsidenten in der Slowakei angesprochen. Man hört manchmal in Deutschland, die Präsidenten sind eigentlich nicht so wichtig, wie ist das in der Slowakei?

Ich war sehr stark gegen die unmittelbare Wahl des Präsidenten. Wir sind historisch eine Parlamentsrepublik, und die Tschechoslowakei war auch immer Parlamentsrepublik, und plötzlich sind wir populistisch: Wir wählen als Volk einen Präsidenten. Und der Präsident hat damit jeden Kontakt zum Parlament verloren, weil wir nicht unsere Konstitution (Verfassung) geändert haben. Also die Position des Präsidenten ist wie in einer Parlamentsrepublik, aber er hat keinen Kontakt zum Parlament. Jetzt haben sie es auch in der Tschechischen Republik so gemacht, weil das klingt für das Volk sehr populär. Aber es ist nicht gut für die Position des Präsidenten. Trotzdem hat unser Präsident nicht so eine starke Position wie in Budapest – der ungarische Präsident ist ziemlich mächtig – er ist nicht mächtig, das ist wirklich nur eine Zelebrität, für das Protokoll und so, das ist ein bisschen wie in Deutschland. Aber unser Präsident ist verantwortlich dafür, wer in den Schulen Rektor wird. Er unterschreibt alle diese großen Positionen in der Justiz und so weiter. Jetzt ist unser Präsident Kiska in einem Konflikt mit der Regierung und dem Parlament, weil er für unser Konstitutionsgericht zwei frühere Politiker nicht ernennen will. Wissen Sie, in den drei Ländern Polen, Ungarn und Slowakei starten die ersten Konflikte immer mit dem Konstitutionsgericht. Und das ist ein Signal, dass etwas nicht gut geht in diesem Lande. Und deswegen, und das ist meine Meinung, stehe ich hinter unserem Präsidenten, weil er Recht hat. Und diese Bewegungen, als Konstitutionsrichter ehemalige Politiker von ‚meiner‘ Partei zu haben, das ist sehr, sehr gefährlich für eine gesunde Demokratie im Lande und für den Rechtsstaat.

Herr Zeman als tschechischer Präsident hat dieselbe Position wie hier Kiska. Sehen Sie, was er macht mit der Orientierung der Außenpolitik der Tschechischen Republik? Wir wissen alle, dass er seine Kampagne mit Lukoil finanziert hat. Mit Lukoil, eine Ölfirma aus Russland.

Frage: Wie beurteilen Sie zurzeit die Situation der Zivilgesellschaft in der Slowakei?

Als meine Partei an der Macht war, haben wir ein Gesetz verabschiedet, dass die Leute zwei Prozent ihrer den Steuern an unsere Zivilgesellschaft schicken können. Freiwillig, zwei Prozent. Die Fico-Regierung wollte es annullieren, wir haben das im Parlament ein bisschen gestoppt, aber jetzt gehen wir langsam auf ein Prozent. Aber trotzdem ist es eine Quelle.

Meine Gesellschaft, das Institut für Kulturpolitik oder die ‚Slowakische Außenpolitische Gesellschaft‘ bekommen nicht so viele Spenden, denn die Leute schicken das Geld, ich weiß nicht, dahin, wo mein Kind Fußball spielt, oder an meinen Doktor im Krankenhaus oder so etwas. Deswegen sind diese, ich würde nicht sagen politisch orientierten, aber für eine andere Politik verantwortlichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, bei diesen Spendenaktionen ein bisschen außen vor. Deswegen müssen wir sehr viel in Brüssel, im Ausland oder bei Banken um Geld werben, aber es ist schwer. Es ist schwer, aber wir sind daran gewöhnt: Achtzig Prozent der Arbeit muss man freiwillig tun, ohne etwas bezahlt zu bekommen. Es gibt auch ein paar Leute, die schon 20 Jahre davon leben, eine Zivilgesellschaft zu führen. Sie sind nicht ganz reich aber können gut leben. Alle anderen sind sehr flexibel und ändern sich sehr viel. Neue kommen und alte gehen weg und so weiter. Also, es ist immer ziemlich unabhängig.

Jetzt bin ich Präsidentin von Živena, diesem 148 Jahre alten Verein. Also, wir sind ganz unabhängig. Niemand kann uns etwas sagen. Und ich und meine Assistentin, wir können nach unserem Status nicht bezahlt werden.