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Bismarck: „Ich will mich nicht versteinert sehen"

Harsch treffen Urteile im Streit um die Wiedererrichtung eines Bismarck-Denkmals auf dem Czorneboh bei Bautzen aufeinander. Für die einen ist er der glorifizierte Architekt der ersten deutschen Einheit, für andere dagegen ein stumpfer Reaktionär, der Minderheiten brutal unterdrückte. Beim näheren Hinschauen wird das Bild vielschichtiger - und verblüffend aktuell.

Am 18. Januar 1871 versammelten sich Generäle und Fürsten im Spiegelsaal des Versailler Schlosses, um Wilhelm I. zum Kaiser auszurufen und mit diesem Akt die erste staatliche Einheit Deutschlands symbolisch zu vollziehen. Ort und Zeit waren wohlüberlegt, denn just an diesem Tag im Jahre 1701 hatte sich Friedrich I. in Königsberg zum preußischen König krönen lassen. In der Versailler Zeremonie zeigt sich der Doppelcharakter der damaligen deutschen Einigung: Die nationalstaatlichen Forderungen der 1848er-Revolutionäre wurden erfüllt und gleichzeitig wurde die Konterrevolution bewahrt.

Nach der militärischen Niederlage Frankreichs im von Preußen angezettelten Krieg von 1870 demütigte man die Verlierer im Prachtsaal des französischen Absolutismus. Frankreich wiederum revanchierte sich ein halbes Jahrhundert später, 1919, mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags. Nun mussten deutsche Vertreter im Spiegelsaal die Alleinschuld des dort gegründeten Kaiserreichs für den großen Krieg unterzeichnen.

Keineswegs in Champagnerlaune

Zweimal Hybris, zweimal Dummheit der Sieger. Schon Zeitgenossen erkannten das Problem: Friedrich Engels schrieb, dass die preußische Grundlage das Reich in Lebensgefahr bringe. Otto von Bismarck war in Versailles keineswegs in Champagnerlaune. Das laut Thomas Mann einzige politische Genie, das Deutschland hervorgebracht hat, versuchte bis zuletzt, den drakonischen Friedensvertrag zu entschärfen - vergeblich. Schweren Herzens schrieb er, dass mehr erreicht sei, „als ich für meine persönliche politische Berechnung für nützlich halte. Aber ich muss nach oben und nach unten Stimmungen berücksichtigen, die eben nicht rechnen."

Obwohl er seine Kinder vor Antisemitismus warnte, der nach der uns erstaunlich vertraut erscheinenden Finanzkrise von 1873 wieder einmal rasant anschwoll, ist sein Verhalten gegenüber nichtdeutschen Minderheiten nur historisch zu erklären. Es gehört aber zu seiner Negativseite. Bei Recherchen für mein aktuelles Buch „An den Rändern Europas" erlebte ich Vergleichbares bei aktuell jungen Nationalstaaten, die noch unsicher sind. Gerade Länder, die heute von Auswanderung betroffen sind wie das Kaiserreich gestern, wehren sich häufig vehement gegen Einwanderung und unterdrücken Minderheiten.

In vielem kann die Bismarck-Zeit als ferner Spiegel betrachtet werden. Gerade unter Konservativen bergen diese Fragen auch hierzulande großes Konfliktpotenzial. So sträubte sich Bismarck gegen ein Auswanderungsgesetz wie Konservative am Ende des 20. Jahrhunderts gegen ein Einwanderungsgesetz.

Besorgter Bismarck

Zweifellos bestehen gravierende Unterschiede zwischen Gestern und Heute, zwischen Monarchie und parlamentarischer Demokratie. Allerdings tauchen - je mehr man die damalige Umbruchszeit betrachtet - vielfältige Ähnlichkeiten auf. Paradoxerweise rückt das Kaiserreich mit wachsender Ferne näher.

Das liegt auch daran, dass etliche aus der Bundesregierung die bipolare Welt des Kalten Kriegs kennen, alle die von den USA als Hegemonialmacht dominierte Welt nach 1991, aber keiner agierte in einer multipolaren Welt wie in der Bismarckzeit. Das neue „Konzert der Großmächte", wie es gestern hieß, ist heute kein europäisches, sondern ein planetarisches. Nach 1871 praktizierte Bismarck eine hellwache Politik des europäischen Gleichgewichts, die heute aktuell ist. Auf der Negativseite steht dabei geschrieben, dass er aufgrund der Beibehaltung einer konservativen Hegemonie dem Druck von Interessenten einer kolonialen Expansion nachgab, die sich aber erst nach ihm bis ins Völkermörderische steigerte.

In seinen letzten Jahren war er tief besorgt über die „Weltpolitik" unter Kaiser Wilhelm II., die mächtige Gegenbündnisse heraufbeschwor. Er sprach von der „Gedankenjagd des Nachts", die seinen Schlaf störe, da „das Gebäude, an welchem ich gebaut und gebosselt, wieder abbröckeln" könnte.

Das knapp drei Meter hohe Denkmal für Bismarck im Habitus eines preußischen Militärs wurde im August 1904 an der Bergbaude auf dem Czorneboh enthüllt und 1950 zerstört. Der AfD-nahe Verein Bautzner Liedertafel will es wiedererrichten. © Wikimedia

Gleichzeitig steigerten tonangebende Schichten ihre Bismarck-Begeisterung ins Monumentale. In ihrer Heldenverehrung ließen sie Feuersäulen für nächtliche Illuminationen errichten, bauten Bismarcktürme und Denkmäler, die ihn fast immer als Militär zeigten oder wie in Hamburg als stilisierten überdimensionalen Recken. Gründlicher konnte Bismarck gar nicht missverstanden werden.

So tröstete er sich zuweilen, nicht eitel, aber sich seiner historischen Leistung bewusst, damit: „Auf Titel und Orden habe ich niemals großen Wert gelegt, so wenig wie auf Denkmäler, die man mir errichtet hat und errichten will; ich will weder ein Schaustück sein noch mich versteinert oder am wenigsten bei Lebzeiten als Mumie sehen. Mir genügt mein einfacher Name, und ich hoffe, daß er auch in der Zukunft genügen wird, die vielleicht weniger auf hohe Titel als auf erfolgreiche Taten sehen wird."

Ein Baukran steht neben dem Bismarck-Denkmal im Alten Elbpark. Das Bismarck-Denkmal über dem Hamburger Hafen wird derzeit saniert. © dpa

In der Rückschau erkennt man, so die bittere Ironie, dass die beiden Antipoden Otto von Bismarck und Friedrich Engels unabhängig voneinander bei Beibehaltung der Wilhelminischen Politik der Selbstüberschätzung einen großen Krieg kommen sahen - mit Millionen Toten und mit zusammenbrechenden Imperien. Der Rest ist Geschichte.

Warum aber konnte der überaus populäre Bismarck nicht gegen die von ihm als falsch erkannte „Weltpolitik" ankämpfen? Die Gräben gegenüber allen demokratischen Kräften, insbesondere in der Arbeiterbewegung, waren zu tief, und sein eingefleischter Royalismus lähmte ihn gegenüber Wilhelm II. So konnte er zur Symbolfigur einer nicht nur vom Adel, sondern auch von bürgerlichen Parteien getragenen Politik der Herausforderung anderer traditioneller Mächte werden. Deshalb endet die von mir neu edierte Bismarck-Biografie meines Vaters Ernst Engelberg so: „Damit wurde das bedeutendste politische Erbe Bismarcks, Umsicht im europäischen Kräftespiel walten zu lassen, schlechterdings vertan. Diese Tragik einer reichentwickelten Persönlichkeit wurde zur Tragik der deutschen Nation."

Macht in der Mitte des Kontinents

Christopher Clark, Autor des viel diskutierten Buchs „Die Schlafwandler" über den Beginn des Ersten Weltkrieges, nannte die Bismarck-Biografie ein Maßstab setzendes Werk und erkennt seitdem zunehmend „eine starke Rückkehr der Muster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts". Nach der Niederlage des Westens in Afghanistan sehen etliche wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler das als sich entwickelnde Realität.

Noch ist nicht entschieden, ob wir die neue, die zweite Chance der deutschen Einheit nutzen können - weder national noch europäisch noch global. Die EU und damit auch Deutschland als Macht in der Mitte des Kontinents wird diesmal nicht durch die preußische, sondern durch ihre neoliberale Grundlage in Lebensgefahr gebracht. Wer Bismarck ehren möchte, sollte sich mit seiner Politik in einer multipolaren Welt auseinandersetzen, die zeitgemäßer ist als die meisten der von ihm nicht gemochten Bismarck-Denkmäler.


*Unser Autor: Der Historiker Achim Engelberg, Jahrgang 1965, schreibt u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, die Blätter für deutsche und internationale Politik und Sinn und Form. Er setzt das Werk seines Vaters Ernst Engelberg fort, der in der DDR eine fulminante Bismarck-Biografie veröffentlichte. Gemeinsam publizierten sie 2010 „Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute". Engelbergs jüngste Veröffentlichung: „An den Rändern Europas. Warum sich das Schicksal unseres Kontinents an den Außengrenzen entscheidet", DVA, 288 Seiten, 22 Euro
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