Elisabeth Stuppnig

Freie Journalistin (Online und Print), Wien

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Machtspiele im Zarenreich

Die unglückliche Geschichte der Larissa Dimitrijewna aus dem zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts von Alexander Ostrowski ist für das Burgtheater von Alexander Nitzberg neu übersetzt worden. Ab Samstag ist „Schlechte Partie" in einer theaterhistorisch interessanten Inszenierung von Alvis Hermanis zu sehen.

Alle wollen Larissa (Marie-Louise Stockinger). Kein Wunder, die junge Frau ist schließlich nicht nur wunderschön und charismatisch, sie ist auch eine begnadete Tänzerin - und unverheiratet. Deshalb versuchen die Herren sie und ihre Mutter zu beeindrucken - neben Schießduellen und Prahlereien vor allem mit Geld. Schließlich ist Mutter und Tochter nach dem Tod des Vaters wenig geblieben. Larissa steht als tragische Figur im Mittelpunkt der Geschichte von Ostrowskis 1878 erstmals aufgeführtem Stück „Schlechte Partie"


Ausflug in Zeit des Zarenreichs


„Ein kostbarer Stein braucht eine kostbare Fassung!" Die werbenden Herren finden sich mal wieder im Hause Larissas und ihrer Mutter (Dörte Lyssewski) ein, um der Tochter ihre Aufwartung zu machen. Einer, ausgerechnet der schüchterne, mittellose und tollpatschige Juli Kapitonowitsch Karandyschew (gespielt von Michael Maertens), verliebt sich in sie. Larissa allerdings hat nur Augen für den Reeder Sergej Sergejewitsch Paratow (Nicholas Ofczarek).

Als dieser aufgrund finanzieller Nöte für ein Jahr untertaucht, entscheidet Larissa sich dazu, den treuen Karandyschew zum Mann zu nehmen. Anlass genug für die Reeder und Kaufleute bei mittäglichen Champagnergelagen zu spotten. Sie sei schlecht daran beraten, einen Niemand ohne Klasse zu heiraten. Nachdem bei einem Festessen der künftigen Brautleute unerwartet der verloren geglaubte Paratow auftaucht, nimmt das Unglück seinen Lauf.

„Schlechte Partie" ist dem Spätwerk Ostrowskis zuzuordnen. Der Autor gilt als Begründer des russischen Nationaltheaters. Erst spät überzeugte er sich von der Notwendigkeit sozialer Reformen und begann, gesellschaftskritische Stücke zu schreiben. Seine späten Komödien, wie das 1878 geschriebene und uraufgeführte Drama mit Musik, waren von heiterem und zugleich bitterem Ton gezeichnet.


Große Geste statt psychologischer Finesse


Das hochkarätige Ensemble um Ofczarek, Maertens, Peter Simonischek und Martin Reinke spielt in der Inszenierung des Letten Alvis Hermanis inmitten von Ahnengalerien, vor blumigen und gestreiften Tapetenwänden und auf stilechten Holzmöbeln: Für das Bühnenbild griffen Hermanis und seine Mitarbeiterin Sarah Sassen auf Originalentwürfe aus der Zeit Ostrowskis zurück. Auch die Kostüme von Kristine Jurjane muten wie aus längst vergangenen Zeiten an.

Auf Psychologisierung der Figuren legt Hermanis in dieser Regiearbeit keinen Fokus. Von den Schauspielern verlangt er, ganz im Stile russischer Theatertradition und Schauspielkunst, große Gesten und ausgestelltes Gefühl: „Wir wollten altes Theater auf die Bühne bringen. Jeder der Schauspieler spielt groß und überzeichnet", so Hermanis im Gespräch mit ORF.at.


Parallelen zur Weinstein-Affäre


So habe man auch in der Probenarbeit über russische Provinzschauspieler und die russische Theatertradition vor der Zeit des Theaterreformers Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863 - 1938) gesprochen, sagte Stockinger im ORF.at-Interview. Der Reiz lag für sie darin, russisches Theaterspiel mit seinem „gefühlten Fühlen" zu ergründen, so die Schauspielerin, die jüngstes Ensemblemitglied an der „Burg" ist.

Die Macht über ihr Leben erlangt die Titelfigur in Ostrowskis Drama erst, nachdem sie von ihrem Verlobten erschossen wird. Dann nämlich werde Larissa vom Objekt der Männer zum Subjekt, wie Stockinger sagte: „Als meine Figur stirbt, ist es ein Moment der Freiheit, weil sie Autorenschaft über ihr eigenes Leben zieht."

Hier zeige sich Hermanis zufolge eine Parallele zur heutigen Gesellschaft: „Ich befürchte, dass sich nichts wirklich verändert hat. Wenn ich über (Harvey, Anm.) Weinstein und Hollywood lese, darüber, wie junge Frauen in bestimmten Situationen behandelt werden, erkennen wir: Es geht immer noch um Geld und Macht."

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