ORF.at: Ihr preisgekröntes Werk wird zum ersten Mal in Österreich aufgeführt - im Akademietheater. Hat man da nicht ein bisschen Ehrfurcht?
Thomas Köck: Ich denke, Ehrfurcht ist den Dingen nicht immer zuträglich. Wenn man sich davon zu sehr blenden lässt, glaubt man am Ende, jeder Satz, den man sagt oder schreibt, hätte eine größere Bedeutung. Dass der Text, der mir Spaß macht und auf den ich stolz bin, in diesem wahnwitzigen Raum aufgeführt wird, freut mich natürlich. Der Text hat es verdient. Die Person Thomas Köck lässt sich davon nicht sonderlich beeindrucken. Die macht halt mit ihrer Arbeit weiter.
Köck: Diese Autorfigur wird schnell mal riesenhaft oder eben nicht. Sie wird mit Erwartungen zugeschüttet, die man selbst nicht mehr einholen kann. Wenn ich zu meinen Eltern heimfahre, interessiert die der Autor wenig - da muss ich das Auto waschen.
Köck: Der Autor ist so oder so tot. Wenn ich mich zu den Proben setze, bin ich nicht derselbe, der ich war, als ich das Stück geschrieben habe. Ich sitze da als jemand anderer und schaue anders auf den Text, der mir wieder fremd geworden ist.
Köck: Ich halte mich eigentlich weitestgehend raus. Wenn die Regie kommt und Fragen hat, stehe ich natürlich immer zur Verfügung. Allerdings, wäre ich der Regisseur, hätte ich Friede und Freude damit, mich mit dem Text und meinem Team zu befassen, ohne dass der Typ, der das vor einem halben Jahr geschrieben hat und jetzt glaubt zu wissen, wie das funktioniert, ständig anruft und fragt: Habt ihr das und das eh berücksichtigt? Proben sind ein eigener Prozess, wenn man nicht jeden Tag dabei ist, kann man darüber schlecht urteilen.
Köck: Ja, ich mag dann lieber schreiben. Ich arbeite ja meistens zum Zeitpunkt der Proben bereits am nächsten Text. Klar, es freut mich, wenn sich eine Zusammenarbeit mit dem Team ergibt. Aber es gibt weder richtig noch falsch. Es gibt diesen Text, und jeder macht was anderes damit.
Köck: Ich habe gemerkt, dass der Text so eine Geschwindigkeit hat. Der Witz war, einfach zu schreiben. Ohne Interpunktion. Das befreit die Sprache zu einem eigenen Rhythmus und von grammatikalischen Strukturen. Fürs Theater schreiben, heißt ja immer, gegen die Grammatik arbeiten.
Köck: Ja, da geht es nicht um Hebungen und Senkungen, sondern um Intensität. Mir ging es darum, Sound vor Sprache und Sinn zu stellen. Für mich ist das erste Element der Sound, aus dem heraus entwickle ich Geschichte, Sinn und Figuren. Ich nutze, fast wie bei Lyrik, das eigene Echo der Worte statt den Bogen. Ich möchte eine Sprache finden, die materialistisch wird.
Köck: Theater ist dort, wo Körper und Sprache in einem Raum aufeinanderprallen. Von der Text-Seite her kommend, ist die Aufgabe, die ich glaube ausführen zu müssen, die größtmöglich widerständige Form anzubieten, an der man sich abarbeiten kann als Apparat. Gleichzeitig ist es aber der Apparat, der Widerstand leistet, weil der sich ganz schnell Dinge einverleiben möchte. Man hat im Theater widerständige Formen. Widerständige Texte, die mit Unversöhnbarkeit operieren, sind ein bisschen verschwunden - das ist ein Faden, an dem ich anknüpfen möchte. Deshalb diese Auseinandersetzung mit dem Apparat und das Hinweisen darauf, dass es ein Apparat ist, der Regeln folgt, der nicht ideologiefrei funktioniert.
Köck: Ich habe nach dem Verhältnis Natur/Kultur recherchiert und mich mit der Frage beschäftigt: Wie kam es, dass man begann, Märkte als Entitäten zu beschreiben? Oft meinen Politiker, Regulierungen könnten nicht vorgenommen werden, weil dann „schreien die Märkte auf". Die Märkte sind aber keine Esel, die können nicht schreien. Als metaphorische Figuren tun sie das dann natürlich, da werden Märkte zu Lebewesen, die mit uns auf Planeten existieren. Nur, es sind keine Lebewesen, sondern es sind Tauschbörsen - vom Menschen geschaffene Strukturen.
Köck: Der Klimawandel ist ein dankbarer, zentraler Begriff, wenn es um die Naturalisierung von Prozessen geht. Ein Vorgang, der nicht logisch nachvollziehbar ist, wird als natürlich gesetzt. Das finde ich total absurd. Mich hat interessiert, woher es kommt, dass sich im 20. Jahrhundert die bipolare Weltordnung aufgelöst hat, in so eine globale Struktur, in der Entitäten als Lebewesen gehandelt werden.
So bin ich auf die Kautschukausbeutung in Manaus gestoßen. Es gab anthropologische Studien darüber, wie die frühen Kapitalisten um 1900 herum im Zuge der kapitalistischen Expansion nach Manaus gefahren sind und dort, indem sie Kautschuk abgebaut haben, ökonomische Strukturen, die man heute als „share economies" bezeichnen würde, die nichts mit unseren kapitalistischen Strukturen zu tun hatten, zerstört haben.
Für uns ist der Gedanke von einer Ökonomie, bei der man keine Gegengabe erwartet, absurd. Die ganze Hayek-Schule im 20. Jahrhundert hat sich abgemüht zu sagen, dass der liberale Kapitalismus, wie wir ihn haben, naturgesetzlich das sinnvollste Prinzip ist, damit menschliche Gesellschaften miteinander in Frieden leben können.
Köck: Am Ende, das war bei „paradies fluten" die Idee, beißt der Kettenhund, den man 1900 rausschickte, zurück. Er frisst jetzt langsam den europäischen Mittelstand auf und reißt die Schere immer mehr auf. Das sind die neuen Umverteilungskämpfe.
Köck: Ich finde es interessant, dass in der Politik, egal ob bei den Linken oder Rechten, Panik herrscht vor den Märkten. Man lässt lieber die Finger davon, weil man nicht weiß, was passiert, wenn man die angreift. In Wirklichkeit aber wuchern die schlimmer als jeder Krebs. Und sorgen für eine riesige zerstörerische Schere, die immer mehr aufgeht. Alle fragen sich immer, woher das kommt, dass so viele Leute frustriert sind und sich in Parallelwelten abschotten.
Köck: An den „neuen" Rechten oder am Rechtsruck erkennt man, das waren keine Strukturen die mit Haider vom Himmel gefallen sind, sondern eine Reaktion auf diese neuen Umverteilungskämpfe, die uns noch lange begleiten wird. Und es gibt offensichtlich keine Alternativen dazu, sondern nur das stumme Wundern aller Beteiligter, wie weit nach rechts schon der ganze Planet gerutscht ist. Das ist das eigentlich Erschreckende daran.
Wir leben in einer flachen, global angeglichen Welt und möchten global angeglichene Wertvorstellungen und Lifestyle-Ideen. Das wird auch überhaupt nicht mehr hinterfragt. Die Edelsteine sollen bitte alle kommen, aber die Menschen aus Darfur kriegen im Mittelmeer was zu trinken und sollen dann aber bitte wieder zurück. Sie sollen am besten gar nicht raus aus Darfur, weil das wollen die in Europa nicht.
Köck: Man sagt ja, wir leben in einem Zeitalter, wo es keine utopische Geschichte mehr gibt. Nach dem Ende der bipolaren Weltordnung. Ich glaube, das ist das Hauptproblem heute. Diese Utopielosigkeit heute in westlichen Gesellschaften heißt ja in Deutschland Alternativlosigkeit, in Österreich Kurz."
ORF.at: Ist es das, was Sie mit „paradies fluten" leisten möchten? Menschen aufrütteln?
Köck: Wenn Leute dasitzen und Eintritt bezahlen, finde ich es gut, sie mit Gedanken zu konfrontieren, die ihnen vielleicht neu sind. Dabei geht es mir nicht um Belehrung, sondern um eine Auseinandersetzung, um Reibung und Widerstand. Es geht mir vor allem darum, dass bestimmte Verhältnisse einfach mal als Probleme markiert werden. Dass man Sätze, Aussagen, Identitäten, Umstände nicht als gegessen hinnimmt, als „naturgesetzliche", selbst, wenn sie bloße Unfälle von Gewöhnungen sind, sondern hinterfragt.
Das Gespräch führte Elisabeth Stuppnig für ORF.at
09.09.2017