Elisabeth Werder

Freie Journalistin & Texterin, Diespeck

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Nachhaltigkeitsmanagement – ein Job für Allround-Talente

Oft ist es ein Spagat, den Nachhaltigkeitsmanagerinnen und Nachhaltigsmanager leisten müssen: Von ihnen werden Branchenkenntnisse gefordert ebenso wie natürlich Nachhaltigkeitshandwerk. Wie profiliert man sich da am besten?


Text: Elisabeth Korn


Es ist zwölf Uhr, Mittagszeit in Berlin. Benjamin Gnahs trifft sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen in der Küche, heute gibt es Pizza. Gegessen wird zusammen, in den Gesprächen geht es um die Pläne fürs Wochenende. Allein vom Zusehen kann man keine hierarchischen Unterschiede zwischen den Mitarbeitern ausmachen. Seit 2014 ist Gnahs als kaufmännischer Leiter für die Firma Ökofrost tätig (siehe Seite VII). Die Firma vertreibt Tiefkühlnahrung, die möglichst ökologisch und nachhaltig produziert wird. Aber nicht nur in ihren Produkten, sondern auch in ihrer Gänze bemüht sich Ökofrost um ein nachhaltiges Konzept: Das Unternehmen ist nach dem System der Holokratie organisiert (siehe Infokasten) und gemeinwohlbilanziert.


„Der Gedanke hinter dieser Strategie ist es, zu hinterfragen, wie man Arbeit gut und nachhaltig strukturieren kann, ohne dass die Mitarbeiter nach 30 Jahren mit Burn-Out stranden“, erklärt Gnahs. Seine Haupttätigkeit ist das klassische Controlling innerhalb des Unternehmens, "quasi alles was mit Zahlen zu tun hat". Diese strategischen Themen betrachtet der Berliner jedoch immer gleichzeitig auch aus einer nachhaltigen Perspektive. „Meine Aufgabe ist es zu gucken, wie kann ich diesen Nachhaltigkeitsgedanken (und in einem Unternehmen würde ich das übersetzen in langfristige Gesundheit in allen Beziehungen zur Außenwelt) in jedem Moment so berücksichtigen, dass er wirklich auch zum Tragen kommt? Da ist man eben immer ganz schnell am Punkt der Finanzen“, sagt Gnahs.


Zuerst Berufserfahrung sammeln


Als Betriebswirtschaftler führt Gnahs strategische Gespräche mit Kunden und Lieferanten, kümmert sich mit seinem Team um die Buchhaltung und den kompletten Zahlungsverkehr des Unternehmens. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und einigen Berufsjahren schloss er das Masterstudium "Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement" an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde an. Die Expertise im Bereich der Nachhaltigkeit ermöglicht jedoch einen Blick über das klassisch-kaufmännische Denken hinaus: „Ergänzend zu meinem BWL-Studium habe ich in Eberswalde gelernt, nicht nur Verwaltungssysteme mit Qualitätskennzahlen zu befüllen, sondern wie man so etwas verstehen und ein anschließendes Konzept für Organisationen erarbeiten kann.“


Die Studiengänge im Bereich Nachhaltigkeit schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Neben der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) gibt es zum Beispiel auch die Leuphana Universität Lüneburg (Nachhaltigkeitswissenschaft, M. Sc.), die Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin (Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement, M.A.), die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen (nachhaltiges Produktmanagement, B.A.), die Hochschule Mittweida (nachhaltige Nachhaltigkeit in gesamtwirtschaftlichen Kreisläufen, M.E.) oder die Alanus Hochschule (nachhaltiges Wirtschaften, B.A.).


„Unsere Studierenden haben in der Regel mehrere Jahre Berufserfahrung in einem bestimmten Bereich und wollen durch die Weiterbildung einen neuen Aspekt in ihren Berufsalltag integrieren“, erklärt Jutta Knopf. Sie ist Professorin an der HNEE und leitet den Masterstudiengang "Nachhaltige Unternehmensführung".


Vom Unternehmen bis zur NGO


„Das Berufsfeld eines Nachhaltigkeitsmanagers hängt davon ab, was man darunter versteht – als erstes liegt der Gedanke an Unternehmen nahe, die in den entsprechenden Abteilungen Stabstellen besetzen, die ökologische oder soziale Entwicklungen anstoßen und begleiten“, erklärt Knopf. Die Absolvent/innen ihres Studiengangs sind aber auch in Beratungsunternehmen, Zertifizierungsunternehmen oder bei NGOs tätig.


Patricia Bauer, Referentin im Masterprogramm Sustainability und Komplementärstudium an der Leuphana Universität Lüneburg weiß, dass die meisten Absolventen von nachhaltigen Studiengängen in Unternehmen unterkommen: „Bei einer Stichprobe im vergangenen Jahr konnten wir herausfinden, dass 50 Prozent unserer Absolventen in die freie Wirtschaft gehen, 25 Prozent in öffentliche Einrichtungen und 20 Prozent zu NGOs. Die hauptsächlichen Arbeitsfelder sind die Energiebranche, Beratung oder Kommunikation."


Sucht man nach Stellenausschreibungen mit dem Stichwort Nachhaltigkeit, landet man vor allem bei Floskeln wie „Sie arbeiten in einer anspruchsvollen Umwelt“. Dass Nachhaltigkeitsmanagement ein junges und noch nicht so ausdifferenziertes Berufsfeld ist wie beispielweise Lehramt oder Jura, macht die Orientierung manchmal schwer. „Gleichzeitig ist es als Chance zu verstehen, denn die Abzweigungen reichen in viele andere Berufe hinein und begrenzen den  Arbeitnehmer nicht auf ein kleines Arbeitsfeld“, ergänzt Knopf.


Idealismus und Bezahlung


Macht man den Job eher aus Idealismus oder wegen der Bezahlung? „Der Beruf hat beides und kann beides sein", ist sich Jutta Knopf sicher. Viele Jobs für Nachhaltigkeitsmanager/innen seien schlecht oder gar unbezahlt. Manch einer reibe sich für dieses Thema vollkommen auf, weil der persönliche Antrieb dahinter gar keine Alternative zulässt, ergänzt die Dozentin. „Es gibt aber auch zunehmend gut bezahlte Jobs in dem Bereich, auch wenn es noch nicht das Massengeschäft ist.“


Aus ihrer Perspektive an der Hochschule, die immer wieder in Kontakt mit der freien Wirtschaft und realen Arbeitswelt tritt, werden künftig auf jeden Fall Fachkräfte mit der Expertise zum Thema Nachhaltigkeit gebraucht. Vor ein bis zwei Jahren, als gerade die UN ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, siehe Infokasten) verabschiedet hat, habe sie auf einer Konferenz mit Unternehmen gesprochen. Das Ergebnis: Es werden künftig mehr Leute gesucht werden, die tatsächlich vor Ort arbeiten und zum Beispiel Wertschöpfungsketten für Unternehmen analysieren oder Verbesserungspotential erkennen.


Trendthema Nachhaltigkeit


Das Thema Nachhaltigkeit, auch aus unternehmerischer Perspektive, ist nicht wirklich neu. Schon seit Jahren setzen Firmen bewusst auch ökologische Produkte, der Trend hin zu Bio und Nachhaltigkeit steigt nach wie vor steil nach oben. Laut einer Studie von 2012, durchgeführt von „Tomorrow Focus Media“, ist für 56,6 Prozent der Befragten das Kriterium „Fair Trade/Nachhaltigkeit“ beim Kauf von Lebensmitteln sehr wichtig. Nur 0,5 Prozent der Befragten gaben an, dass Nachhaltigkeit beim Lebensmittelkauf überhaupt nicht wichtig ist.


„Dass eine nachhaltige Produktlinie für die meisten Unternehmen vor allem eine Marketing-Strategie darstellt und bei Weitem nicht in das Kerngeschäft hineinreicht, ist nach wie vor die Realität", sagt Benjamin Nölting. Auch er ist Professor an der HNEE und leitet den Masterstudiengang „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“. Das zunehmende Interesse für nachhaltige Themen in der Berufswelt wertet er positiv, auch wenn seiner Meinung nach noch viel in dieser Hinsicht passieren muss. „Immer mehr Unternehmen, vor allem neue Start-Ups, erkennen ihre Verantwortung und versuchen tatsächlich, ihr Kerngeschäft nachhaltig zu gestalten. Einen großen Schub in diese Richtung hat mit Sicherheit auch die Festlegung der sustainable development goals gegeben, denn dadurch ist auch die Bundesregierung auf diesen Zug mit aufgesprungen", sagt Nölting. Seitdem das Thema Nachhaltigkeit international an Bedeutung gewinnt, ziehen immer mehr Unternehmen und Kommunen nach.


Zahlenkenner und Kommunikationstalente


Zu den Voraussetzungen, um als Nachhaltigkeitsmanager/in erfolgreich zu sein, gehören neben dem privaten Interesse an diesem Themengebiet auch einige Soft Skills. Eine gewisse Frustrationstoleranz ist unbedingt von Nöten, „denn es ist ja leider so – die Welt hat nicht unbedingt auf unsere Absolventen gewartet", erklärt Jutta Knopf. Auch Neugierde und Begeisterungsfähigkeit dürfen nicht fehlen. „Wer interessiert und engagiert ist, ohne verbohrt zu sein, und nicht einfach nur dasitzt, weil er nichts besseres mit sich anzufangen weiß, sondern wirklich etwas bewegen will, der ist in diesem Beruf richtig“, ergänzt sie.


Nölting ist sich sicher, dass sich die fachlichen Kompetenzen nur begrenzt im Laufe eines Studiums aneignen lassen, da sich dieser junge Arbeitsmarkt noch im steten Wandel befindet. „Ein Nachhaltigkeitsmanager muss mit Konflikten umgehen können und den Mut haben, die Kernkompetenzen eines Unternehmens zu hinterfragen. Und zwar nicht im Hinblick auf Marktvorteile, sondern hinsichtlich der Frage, wie man den Bedarf der Gesellschaft auf eine nachhaltige Weise decken kann", sagt er. „Unsere Absolventinnen sollen nicht nur anderen hinterherlaufen, sondern mit einem weiten Radar durch die Welt gehen, auf neuen Pfaden denken und diese Gedanken anschlussfähig an andere Communities kommunizieren. Denn was nützt es Ihnen, die besten Ideen der Welt zu haben, aber diese nicht an andere herantragen zu können?", ergänzt Knopf.


Wenn Unternehmen Stellen als Nachhaltigkeitsmanager besetzen, haben sie oft die Auswahl: Es bewerben sich zum einen Personen, die Erfahrungen mit dem Thema Nachhaltigkeit mitbringen, aber kaum Wissen über beispielsweise Finanzen oder die Branche haben. Auf der anderen Seite hätten auch Fachkräfte mit spezifischem Wissen gerne den Job. Diese können sich unter Umständen kritische Themen allerdings nicht so leicht erschließen. „Leute, die an der Schnittstelle sind und sich in beiden Bereichen auskennen, sind seit Jahren ausgebucht – das bestätigen mir immer wieder Unternehmen aus der Praxis, mit denen ich in Kontakt stehe", sagt Knopf.


Ein Beispiel für ein solches Unternehmen ist die Alnatura Produktions- und Handels GmbH. Dort gibt es eine Serviceabteilung Nachhaltigkeit, die sowohl fachspezifische als auch -übergreifende Themen bearbeitet. Dazu werden gemeinsame Ziele vereinbart, Kennzahlensysteme entwickelt oder anderweitig versucht, die Weiterentwicklung möglichst quantifizierbar und objektiv messbar zu machen. Jessica Lutze, Pressesprecherin des Unternehmens, ergänzt: „Die Abteilung Nachhaltigkeit unterstützt als Dienstleister die Kolleginnen und Kollegen aller Fachabteilungen dabei, Nachhaltigkeit in ihrer täglichen Arbeit umzusetzen. Das heißt konkret: Die Mitarbeiter der Fachabteilung kanalisieren Ideen, führen gemeinsam mit den Fachbereichen Projekte durch, liefern Einschätzungen und Empfehlungen zu konkreten Fragen und kommunizieren intern und extern zu Nachhaltigkeit.“


Ein Wandel zeichnet sich ab


Unternehmen wie die Alnatura Produktions- und Handels GmbH, die sich um Nachhaltigkeit in ihrem Kerngeschäft bemühen, sind kein Einzelfall – immer mehr Firmen ziehen nach. „Der Trend geht mittlerweile sogar so weit, dass Firmen nicht versuchen ihr Kerngeschäft nachhaltig zu gestalten sondern von vornherein nachhaltig sein wollen und ihre Produkte oder Dienstleistungen nach diesem Konzept ausrichten", sagt Nölting.


Trotzdem sind zum heutigen Zeitpunkt gut bezahlte Jobs, deren Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit liegt, rar gesät. Ein Teil des Problems könnte auch sein, dass viele Nachhaltigkeitsmanager/innen von persönlichen Motiven getrieben werden und so bereit sind, für wenig Geld zu arbeiten. Benjamin Nölting sagt: „Unsere Studierenden kommen vor allem zu uns, weil sie etwas Sinnstiftendes machen wollen. Viele haben zehn oder 15 Jahre in ihrem Beruf gearbeitet, sind als Fachkraft auf ihrem Gebiet fit und wollen jetzt nochmal eine neue Komponente hinzufügen, um die nächsten 20 Jahre gut und gerne zu arbeiten.“


Auch Benjamin Gnahs erwartet einen Wandel des Arbeitsmarkts: „Den Beruf des Nachhaltigkeitsmanagers, der sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt, den gibt es so noch gar nicht. Das wird erst in zehn Jahren wirklich im Alltag von Unternehmen angekommen sein, dass es nicht nur Fachkräfte mit einem kleinen Anteil an Nachhaltigkeitsdenken braucht, sondern eben auch die umgekehrte Perspektive", sagt er.


Gute Chancen für Quereinsteiger/innen


Wie kann der Einstieg in das Berufsfeld gelingen? Knopf rät jedem Interessierten, sich ein Netzwerk aufzubauen. „Im Endeffekt ist das so eine Szene, wo man am Anfang niemanden kennt, aber dann mehr und mehr feststellt, welches Anliegen die Leute antreibt“, sagt sie. Ein Bestandteil ihrer Lehrtätigkeit ist es, den Studierenden im ersten Semester aufzutragen, eine Art Mind-Map mit allen Organisationen, Personen oder Forschungseinrichtungen zu erstellen, die später potentielle Arbeitgeber oder Anknüpfungspunkte in der Branche sein können.


Für Quereinsteiger gibt es ähnliche Möglichkeiten, Wege in den nachhaltigen Beruf zu finden. Eine davon ist die jährliche Konferenz vom Rat für nachhaltige Entwicklung, die sich nicht nur zum Netzwerken eignet, sondern auch um neue Perspektiven und Jobmöglichkeiten auszuloten. Auch Zeitschriften für nachhaltige Entwicklung (zum Beispiel „Enorm“) oder Newsletter (zum Beispiel des „Forum Nachhaltig Wirtschaften“) können den richtigen Weg weisen. Die Bedingungen für das Bestreben nach Nachhaltigkeit sind so vielfältig wie die Berufsmöglichkeiten. „Faktisch ist der Arbeitsmarkt im Moment noch eine Nische, aber das ist Herausforderung und Chance zugleich“, ist sich Knopf sicher.


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Infokasten: Holokratie

Ein Unternehmen, das nach dem System der Holokratie organisiert ist, bemüht sich um eine nachhaltige und effiziente Mitarbeiterstrukturierung. Es gibt beispielsweise keine klassischen Abteilungsleiter, sondern Arbeitskreise und innerhalb derer Ansprechpartner/innen für einzelne Themen, sodass sich jede Stelle durch eine gewisse Verantwortung und Gestaltungsfreiheit auszeichnet. Häufig steckt als Intention die unternehmerische Verantwortung (Corporate Social Responsibilty, CSR) dahinter, ökonomischer und gleichzeitig sozial-verantwortlich zu wirtschaften.

 

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Infokasten:  Sustainable Development Goals (SDGs)

Die Vereinten Nationen haben im Januar 2016 die  "Ziele für nachhaltige Entwicklung"  verabschiedet und wollen damit eine nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene sichern. Bis zum Jahr 2030 sollen die Zielvorgaben der "Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung", wie das Projekt auch genannt wird, von allen Staaten umgesetzt werden. Zentrale Aspekte sind neben der Friedenssicherung auch der Klimawandel, die Sicherung von Menschenrechten und ein nachhaltig orientiertes Wirtschaftssystem.




Der Artikel erschien erstmals im WILA Arbeitsmarkt (2017).