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WM-Gastgeber Katar reformiert sein Arbeitsgesetz: "Kratzen an der Oberfläche" oder tatsächlicher Wandel?

Ein Arbeitsgesetz soll die Bedingungen der 2,1 Millionen Gastarbeiter auf Katars Baustellen für die Fußball-WM 2022 verbessern - laut Menschenrechts-Organisationen "kratzen sie nicht einmal an der Oberfläche".

Der WM-Gastgeber hat im Zuge der seit Jahren anhaltenden Kritik sein kontroverses Arbeitssystem Kafala reformiert. Die alten Regeln werden am 13. Dezember abgeschafft, verkündete das Emirat, und werden durch ein neues vertragsbasiertes System ersetzt.

Doch die Menschenrechts-Organisationen schlagen wieder Alarm. "Das neue Gesetz möge zwar das Wort 'Bürge' beseitigen, in der Basis bleibt das System aber intakt", sagte Amnesty-International-Untersuchungsleiter James Lynch. Bisher musste für einen Arbeitnehmer aus dem Ausland von einem Einheimischen gebürgt werden. In der Regel war das der Arbeitgeber, wodurch die Arbeitnehmer in eine extreme Abhängigkeit gerieten. Er konnte den Angestellten unter anderem untersagen, den Arbeitsplatz zu wechseln oder das Land zu verlassen.

Das Kafala-System stand international seit der Vergabe der Welttitelkämpfe des Jahres 2022 an den Golfstaat wegen der faktischen Entrechtung ausländischer Arbeitskräfte im Kreuzfeuer der Kritik. Häufig wurde davon berichtet, dass Gehaltszahlungen ausblieben und die Arbeitgeber den Gastarbeitern die Pässe wegnahmen. Menschenrechts-Organisationen nannten das System eine Form der modernen Sklaverei.

Reformen wurden bereits für Anfang des Jahres 2015 angekündigt, wurden von dem Emirat aber mehrfach verschoben. Nun werde die Strafe für Arbeitgeber, die den Arbeitern die Pässe abnehmen, von umgerechnet rund 2500 auf 6400 Euro angehoben. Die Ausreise könne fortan ohne entsprechende Visa-Formalitäten abgewickelt werden, die Arbeiter hätten künftig die freie Job-Wahl. Der Erlaubnis des Arbeitgebers, das Land verlassen zu dürfen, bedarf es aber immer noch.

Katars Arbeitsminister Issa bin Saad al-Jafali al-Nuaimi mahnte, den neuen Regeln Zeit zu geben, ihre Wirkung zu entfalten. "Wir begrüßen jede Bemerkung oder konstruktive Kritik und werden das auch in der Zukunft tun", sagte er: "Allerdings möchten wir die internationale Gemeinschaft dringend bitten, keine endgültigen Schlüsse zu ziehen, bis Zeit vergangen ist, um die Wirkung des neuen Gesetzes zu sehen."

Der Fußball-Weltverband Fifa nahm die Nachrichten positiv auf. "Die Fifa erkennt das neue Gesetz an und wird die Wirkung genau verfolgen. Die Fifa wird sich weiter auf die katarische Regierung einlassen und drängt die Autoritäten das neue Gesetz so umzusetzen, dass sich eine signifikante Verbesserung des Schutzes der Rechte von Gastarbeitern ergibt", betonte ein Fifa-Sprecher. Doch Amnesty warnt davor, sich zu schnell zufrieden zu geben. "Die Fifa, ihre Sponsoren und die ausländischen Regierungen, die nach Geschäftsbeziehungen mit Katar streben, können und dürfen diese Reform nicht nutzen, um zu behaupten, dass das Problem des Arbeitsmissbrauchs von Migranten nun gelöst wurde", sagte Lynch.

Seit Einkünfte aus Öl und Gas dem Golfstaat das dritthöchste Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt der Welt bescheren, sind die Investitionen in die Infrastruktur des Landes in erheblichem Maße gestiegen und der Bedarf am Produktionsfaktor Arbeit hat weiter zugenommen.

Enthüllungen über mehrere hundert Todesfälle auf Baustellen durch die erzwungene Schwerstarbeit unter unwürdigsten Bedingungen sorgten weltweit für Empörung. Berechnungen des Internationalen Gewerkschaftsbundes zufolge, der sich auf Zahlen der indischen und nepalesischen Regierung beruft, werden bis zum Anpfiff des ersten Spiels bei der WM 2022 etwa 4000 Gastarbeiter auf den Baustellen in Katar ums Leben gekommen sein.

Amnesty appelliert auch die Fifa: "Der Weltverband kann der Not der Arbeiter gegenüber nicht so schändlich ambivalent bleiben." Denn: "Die Verantwortung des Weltverbandes geht über die Entwicklung des Fußballs hinaus und muss eine klare Botschaft senden, dass die Austragung von Großereignissen an die Einhaltung substanzieller Menschenrechte gebunden ist."

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