Selbstmacher Fynn Kliemann: "Kacke" brüllen, neu lackieren
Elisa von Hof
Nur nicht wieder Natronlauge einatmen. Eben dachte er schon, er hätte sich die Lunge verätzt. Mit schnellen Hieben streicht Fynn Kliemann die Lauge über die Holzplatte. Daraus soll der beste Tisch der Welt entstehen - sagt er. Bloß lösen sich statt des grünen Lacks seine Handschuhe auf. Und sein Hut gleich mit. Fynn Kliemann springt weg vom Tisch, der noch einiges vor sich hat, will er mal der beste der Welt werden.
Zweieinhalb Jahre und über eineinhalb Millionen Klicks ist das Video alt. Was seitdem passiert ist? 780.000 YouTube-Abonnenten, eine eigene Sendung bei funk, dem jungen Programm von ARD und ZDF, drei Preise, darunter eine "EinsLive"-Krone, über drei Hektar Land mit Hof, eine Plattenfirma, ein Buch, ein Antiquitätenhandel, ein Designlabel, ein Album und das Hausboot von Gunter Gabriel, das Kliemann gemeinsam mit Olli Schulz für 30.000 Euro kaufte. "Alles wird aus Versehen ein Job", sagt Kliemann und schiebt seine Mütze die Stirn hoch, "ich habe keine Hobbys."
Ein Besuch bei dem 28-Jährigen in seiner Heimat, auf dem Land zwischen Hamburg und Bremen: rote Backsteinhäuser, Acker, der Schulbus schleicht zwei Mal am Tag durch die Dörfer, sonst brummen Traktoren. Hier in Rüspel, um die 200 Einwohner und nochmal so viele Kühe, entsteht das Kliemannsland, realer Ort und virtuelle Sendung zugleich. Digitale Aussteigerutopie schmiegt sich an Astrid Lindgrens Bullerbü. Fynn Kliemann, das ist ein Lebensgefühl: Rost abkratzen, Stück dran schweißen, "Kacke" brüllen, neu lackieren. Die Millenial-Sehnsucht nach Autarkie, nach Dorf, Freiheit und Opas Selbstgebranntem - sie wird nirgendwo so gut bedient wie hier.
"Ich hasse dieses Wort, Kommune, da denkt man gleich, dass hier alle in gebatikten Unterhosen abhängen und kiffen", sagt Kliemann, lässt die langen Glieder an einem Holzstuhl herabhängen und lacht heiser. "Dabei ackern hier doch alle. Es ist ein Ort voller Macher." Online kann man ihm und seinen Mitarbeitern beim Machen zusehen: Zwischen 600.000 und über eine Million Aufrufe erzielen die Videos seines YouTube-Kanals - sie heißen etwa "Scheune abreißen", "Teich baggern", "Bier brauen".
Seit Kliemann den Bauernhof - sieben Gebäude und viel Land drumherum - gekauft hat, "zum Scheiße bauen, Raketen hochjagen, Scheunen umballern und so", sind 15 Mitarbeiter dazu gekommen, Eventmanager, Produzenten, Redakteure, Helfer. Einige wohnen mittlerweile auf dem Gehöft, ihre bunten Trailer im Garten neben Gemüsebeet und Schwimmteich. Es gehört zum Charme, dass alle so wirken, als setzten sie hier endlich ihre letzte Kneipenidee um.
Auf den ersten Blick erfüllt Kliemann auch ein Stereotyp neoliberaler Ideologie, platt gesagt: Will einer etwas schaffen, muss er es schon selbst tun. Will man einen Teich, muss man ihn schon selbst baggern. Und will man die Scheune abreißen, muss man eigens die Abrissbirne schwingen. Gleichzeitig funktioniert das Dorfleben aber auch einfach genau so - wo es wenig gibt, hängt vieles von der eigenen Schaffenskraft ab.
"Alles hat Regeln, Rahmen, Zäune. Aber hier ist alles frei. Jeder kann machen, was er will. Ich glaube, die Welt braucht einen Ort wie diesen", sagt Kliemann. Das klingt pathetisch. Gleichzeitig gibt der Erfolg Kliemann recht: 48.788 Menschen haben sich mittlerweile auf der Homepage als Bürger und Bürgerinnen des "kreativen Freistaats" registriert. Veranstaltet Kliemann einen Markt, muss das ganze Dorf abgesperrt werden, weil so viele teilhaben wollen.
"Wenn man sagt, dass das alles nur geil ist, ist das gelogen", sagt Kliemann. "Man büßt an vielen Stellen ein: Ich habe kein Wochenende, mache keinen Urlaub, arbeite von morgens bis abends und schlafe wenig. Aber das habe ich mir selbst aufgebrummt. Anscheinend brauche ich das." Bloß spüren lässt er das seine Follower nicht. "Du bist ein Typ, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen möchte" hat mal jemand unter ein Video geschrieben. Es scheint, er ist einer wie alle. Und alle sind wie er. Oder wollen es gern sein.
Natürlich ist diese vermeintliche Normalo-Nähe auch Prinzip. Kliemann ist ein Medien- und Marketingprofi. Nach seiner Ausbildung zum Mediengestalter hat er eine Werbeagentur gegründet. Die gibt es noch heute. Sie ist der Brotjob, mit dem er all die anderen Projekte finanziert, sagt er. Ob er den wirklich noch braucht?
Mit "Nie" hat Kliemann im September sein erstes Album auf den Markt gebracht. Eine gute Popplatte, weil Kliemann eine markante, heisere Stimme hat, die häufig mit der Henning May von AnnenMayKantereit verglichen wird, und Texte schreibt, die so einfach sind, dass man sie schnell behält. Und auf eine gerade Art so schön, dass man sie gern behält.
Weil die CD auf keinem Grabbeltisch vergammeln sollte, entschied er sich zu einer Aktion, die auch ein ziemlich guter Marketingtrick ist: Es sollen nur so viele Platten gepresst wie vorbestellt werden, danach soll das Album nie wieder physisch erhältlich sein. 96.434 Menschen haben sich darauf eingelassen. Ein Absatz, von dem Majorlabels träumen. Wer die Platte heute doch noch haben will, muss etwa 200 Euro in die Hand nehmen - und Second-Hand kaufen.
"Es ist, als fährst du das ganze Jahr mit Vollgas und hinter dir ist eine riesen Bugwelle, die immer größer wird", sagt er jetzt. Nicht so, dass er Angst vor einem Tsunami hätte. Wahrscheinlich würde er ja darauf surfen. Und aus dem Hinfallen einen Internethit machen.
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