Elisa von Hof
SPIEGEL ONLINE: Frau Kunkel-Razum, mittlerweile schwirren so viele Schreibweisen herum, dass man fast den Überblick verliert: StudentInnen, Student_Innen, Student*innen, Student/-innen oder Studentx?
Kathrin Kunkel-Razum: Unsere Arbeitsgruppe im Rat für deutsche Rechtschreibung hat in den vergangenen Monaten das Gendern in großen Sprachkorpora analysiert. Das Ergebnis: Student/-innen und Student*innen haben sich am stärksten durchgesetzt. Wenn wir am Freitag also eine Empfehlung aussprechen, dann die, diese beiden Formen zu verwenden. Aber: Es gibt nicht nur diese Lösung. Und ob der Rat sich letztlich dafür aussprechen wird, weiß ich nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was spricht etwa gegen Studentx - eine Formulierung, die eine Arbeitsgruppe an der Berliner Humboldt-Universität entwickelt hat?
Kunkel-Razum: Das ist eine sehr abstrakte Form, nicht bei allen Wörtern lässt sich diese Endung leicht bilden und aussprechen. Wir verlieren durch das x etwas, an das wir uns gewöhnt haben. Das wäre die fremdeste Form. Beim Gendersternchen und beim Bindestrich bleiben hingegen vertraute Bestandteile des Wortes stehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist das Fremdeln nicht auch gewünscht? Der Holperer kann auf die geschlechtsneutrale Sprache aufmerksam machen.
Kunkel-Razum: Genau, das macht das Gendersternchen allerdings auch. Dazu ist es grammatikalisch leichter verwendbar, wenn man etwa flektierte Formen bildet. Und es hat einen großen Vorteil: Es bildet mehr als zwei Geschlechter ab und löst damit die Binarität auf. Deshalb ist es meiner Interpretation nach auch populär geworden. Das macht das Binnen-I zum Beispiel nicht, da sind bloß zwei Geschlechtskategorien enthalten.
SPIEGEL ONLINE: Seit Jahren wird die Debatte um gendergerechte Schreibweisen sehr emotional geführt. Sowohl Anhänger als auch Kritiker fühlen sich schnell angegriffen. War das bei Ihnen in der Arbeitsgruppe unter Sprachexperten und -expertinnen ähnlich?
Kunkel-Razum: Nein. Das hat aber damit zu tun, dass sowohl der Rat als auch die AG international zusammengesetzt sind. Und die Schweizer Kollegen verstehen überhaupt nicht, warum wir in Deutschland noch darüber sprechen. In der Schweiz ist geschlechterneutrale Sprache längst selbstverständlich. Dort gibt es sogar einen offiziellen Gender-Leitfaden der Staatskanzlei. Als wir vom Duden-Verlag im vergangenen Jahr einen Gender-Ratgeber herausgegeben haben, hat sich eine Hasstirade über uns ergossen. Das hat an Verleumdung gegrenzt.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist diese Debatte in Deutschland so affektiv aufgeladen?
Kunkel-Razum: Jeder weiß, wie wichtig Sprache ist: Wir drücken unsere Persönlichkeit darüber aus und unsere Welt. Und dann kommt vermeintlich jemand und sagt: "Ab jetzt musst du das anders machen." Wenn Dinge, die einem so selbstverständlich sind, ins Wanken geraten, ruft das eine fundamentale Verunsicherung hervor. Es geht auch darum, Macht abzugeben.
SPIEGEL ONLINE: Männer müssen Macht abgeben?
Kunkel-Razum: Genau.
SPIEGEL ONLINE: Das sagen auch die Gender-Befürworter: Sprache bildet Wirklichkeit nicht nur ab, sondern reproduziert sie. Da Frauen im generischen Maskulinum nicht repräsentiert sind, werden sie unsichtbar.
Kunkel-Razum: Richtig. Sagt man: Die Astronauten landen in der Wüste, denken wir an Männer. Reden wir von Bundeskanzlern, vergessen wir Frau Merkel. Allerdings sind häufig gerade junge Frauen, Studentinnen etwa, Kritiker der genderneutralen Sprache. Sie akzeptieren das generische Maskulinum stärker als ältere Frauen. Mich würde interessieren, ob sich ihre Haltung ändert: Wenn sie nämlich in einen Lebensabschnitt gelangen, in dem sie mehr mit Diskriminierung konfrontiert sind, seltener befördert werden, weniger verdienen und sich um die Kinder kümmern müssen.
SPIEGEL ONLINE: Kritiker monieren, wenn man für die Gleichstellung eintreten will, soll man die von Ihnen angesprochenen Probleme direkt bekämpfen, nicht auf dem Nebenschauplatz der Sprache verharren.
Kunkel-Razum: Natürlich muss man sich auch für das gleiche Gehalt einsetzen. Aber ich behaupte, dass diese Auseinandersetzung mit und in der Sprache stattfindet. Wir sollten dazu beitragen, dass man die Frauen, die die Gehaltslücke überwinden wollen, auch in der Sprache sieht. Die kann man nämlich wahnsinnig gut verstecken im generischen Maskulinum. Und damit auch das Problem.
SPIEGEL ONLINE: Marlies Krämer hat das dieses Jahr vor das Bundesverfassungsgericht getragen: Sie wollte von ihrer Sparkasse als "Kundin" angesprochen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Klage abgewiesen und unter anderem begründet, das generische Maskulinum sei nun mal tradiert.
Kunkel-Razum: Durch Zufall war ich bei der Urteilsverkündung auf der Jahrestagung für deutsche Sprache mit vielen Linguistinnen und Linguisten zusammen. Wir haben über das Urteil den Kopf geschüttelt. Dass man schon immer so spräche und deshalb auch in Zukunft so spricht, ist kein Argument. Denn das funktioniert im Leben nicht und in der Sprache auch nicht: Sie wird sich immer verändern. Außerdem fand ich das sehr unklug von der Sparkasse. Was hätte es sie gekostet, "Kundin" aufzunehmen? Sie hätte damit viel mehr Menschen angesprochen - nämlich Frauen.