Mal jagt er seine Stimme über mehrere Oktaven, mal erstickt er sie atemlos, mal wechselt er vom Rheinischen ins Hochdeutsche: Wer Rufus Beck aus " Harry Potter" lesen hört, kriegt eine echte Performance, so launig interpretiert der Schauspieler ("Der bewegte Mann", "Die wilden Kerle") die vielen Figuren. Becks Stimme ist bis heute für viele Kinder und Erwachsene mit Harry Potter verbunden; allein die ersten vier der sieben Hörbücher wurden jeweils mehr als 300.000-mal verkauft und mit Platin ausgezeichnet. 20 Jahre nach dem Erscheinen des ersten "Harry Potter"-Bandes in Deutschland ist Rufus Beck jetzt zum Jubiläum auf Lesetour. Elisa von Hof hat ihn getroffen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Beck, vor zwanzig Jahren wurde Ihnen angeboten, den ersten Band von "Harry Potter" einzulesen. Wussten Sie, worauf Sie sich einlassen?
Rufus Beck: Nein. Ich wusste nicht, dass noch sechs weitere Bände folgen würden. Und mit dem Erfolg der Reihe habe ich auch nicht gerechnet. Aber darüber bin ich gewissermaßen auch froh.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Beck: Weil ich nicht wusste, was daraus wird, habe ich mir nicht so viele Gedanken gemacht. Und konnte beim Vorlesen experimentieren, mir viele Stimmen ausdenken. Dass ich die Figuren überzeichne und auch eigenwillig interpretiere, hat Joanne K. Rowling erst während unserer Lesereise im Jahr 2000 gemerkt.
SPIEGEL ONLINE: Wie hat sie reagiert?
Beck: Sie war sehr überrascht. Ich habe bei den Lesungen mit ihr auf die Kacke gehauen und sie animiert, mitzumachen.
SPIEGEL ONLINE: Und?
Beck: Engländer sind ja immer sehr höflich und reserviert, und wir hatten vor der ersten Lesung so einen Zeitdruck, dass sie gar nicht ablehnen konnte. Ich habe ihr gesagt: "Du liest Harry und Tante Petunia, seine unausstehliche Tante, und ich mache den Rest." Das war natürlich total vermessen - einer Autorin vorzuschlagen, wie man ihr Buch zu lesen habe. Sie war so überfahren von mir, dass sie bestimmt dachte: "Der Idiot. Ich komme nie wieder nach Deutschland." Aber sie hat mitgemacht, und ich glaube, die Performance hat ihr auch gefallen.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt das Gerücht, sie hätte eine Romanfigur nach Ihnen benannt: den Zaubereiminister Rufus Scrimgeour.
Beck: Die Figur ist ja erst viele Jahre nach der Lesereise entstanden.
SPIEGEL ONLINE: Stimmt es denn?
Beck zuckt die Achseln und grinst.
SPIEGEL ONLINE: Also ja?
Beck: Wahrscheinlich. Wir waren lange zusammen unterwegs.
SPIEGEL ONLINE: Wir reagieren Sie, wenn Zuhörer heute auf Sie zukommen und Ihnen sagen, dass sie mit Ihrer Stimme aufgewachsen sind?
Beck: Das ist schmeichelhaft, aber es irritiert mich auch ein bisschen. Dann merke ich, was für einen Einfluss ich anscheinend hatte. Mir sind da auch schon merkwürdige Sachen passiert - als ich mal mit meiner Freundin in der Innenstadt unterwegs war, kam plötzlich eine Frau auf mich zu und sagte: "Ich gehe jeden Abend mit Ihnen ins Bett." Da musste ich meiner Freundin erst mal erklären, wie die das meint. Ich bin in solchen Momenten geschmeichelt und verlegen, weil die Vergangenheit auf mich zukommt.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben einen Bambi gewonnen, sind im deutschen Film und im Fernsehen zu sehen und im Theater auch, Sie haben auch noch viele andere Hörbücher eingelesen. Und dennoch sehen viele Sie vor allem als die deutsche Stimme von "Harry Potter". Ärgert Sie das?
Beck: Ich finde es despektierlich, wenn mir jemand sagt, man kenne mich ausschließlich als Hörbuchsprecher von "Harry Potter", das schon. Und es irritiert mich auch, wenn man mir vorwirft, ich würde hinter meiner Stimme verschwinden. Ich denke dann an den Weitspringer Bob Beamon. Der sprang 1968 bei den Olympischen Spielen 8,90 Meter weit. Der Rekord blieb fast 20 Jahre bestehen.
SPIEGEL ONLINE: "Harry Potter" ist also ihr 8,90-Meter-Sprung?
Beck: Ja, vielleicht. Wenn man im Fernsehen drei Mal im Jahr auftaucht, dann versendet sich das schnell. Die Menschen vergessen einen. Aber diese Hörbücher begleiten sie das ganze Leben.
SPIEGEL ONLINE: Wie auch Sie selbst.
Beck: Ja. Und ich finde mich auch immer noch in ihnen wieder: Ich bin selbst im Internat aufgewachsen, wie Harry. Das, was er erlebt, kenne ich: die Eifersucht, die Revierkämpfe, die Seilschaften, die Freundschaft, die Einsamkeit. "Harry Potter" hat diese Welt für mich wieder lebendig gemacht. Und sie auch meinen Kindern nahegebracht - bevor ich ins Tonstudio gegangen bin, habe ich das Vorlesen immer an ihnen geübt. Im Kinderzimmer sind die vielen Stimmen entstanden. Alle Figuren sind an reale Personen angelehnt, die unsere Familie kennt.
SPIEGEL ONLINE: Wer ist denn der echte Dudley Dursley?
Beck: Das würde ich nie sagen. Das wäre ja schrecklich für die Person.
SPIEGEL ONLINE: Viele Fans waren wahnsinnig traurig, als nach sieben Bänden Schluss war. Wie ging Ihnen das?
Beck: Ich habe, abgesehen von "Quidditch im Wandel der Zeiten", nie wieder etwas von J.K. Rowling gelesen. Und ich habe mir bis heute auch keinen Film angesehen. Ich war so überzeugt, dass wir mit den Hörbüchern etwas Besonderes geschaffen haben. Und ich finde: Mythen müssen irgendwann enden.
Rufus Beck liest am 1. September in Berlin und am 2. September in München aus "Harry Potter" - beide Lesungen sind ausverkauft.