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Andreas Döhler: „Ich bin ein Fan von Frank Castorf"

Wenn der Schauspieler Andreas Döhler auf der Bühne am Berliner Ensemble steht, dann ist das Extremsport. Eine Begegnung.

Elisa von Hof


Berlin. Das Arschloch liegt ihm. Das kann er gut. Schreien, ätzen, wüten. Auf der Bühne, klar. So wie gerade, in Tennessee Williams Stück „Endstation Sehnsucht" am Berliner Ensemble. Da spielt An­dreas Döhler Stan, der mit ausgefahrenen Ellenbogen ganz nach oben will, bis ihm aufgeht, dass es kein oben mehr gibt. Nur unten. So kann man die Figur zumindest interpretieren. Und Döhler liegt viel daran, dass man das macht. Das sagt er immer wieder. Nur das Arschloch geben, aus Lust am Pöbeln, das will er nicht. Das ist ihm zu platt. „Daran glaube ich auch nicht. Es gibt in jedem Menschen immer das Helle und das Dunkele und eine Menge dazwischen", sagt er. Wenn Döhler so etwas sagt, dann perlt der Kitsch an seinem Berliner Dialekt ab, wa? Wa! Döhler ist in der Spielzeit, die sich nun auf ihr Ende zubewegt, vom Deutschen Theater ans Berliner Ensemble gewechselt. Also bloß 400 Meter weg von dem Ort, an dem er acht Jahre auf der Bühne stand. Und noch steht. Denn bis die Stücke an seiner alten Heimat abgespielt sind, arbeitet Döhler an den beiden Häusern. „An zwei Bühnen zu spielen ist schön", sagt er und fügt an: „Ich empfinde es als echten Luxus."


Die erste Spielzeit am Berliner Ensemble, die ersten Monate mit neuen Kollegen, neuen Stücken und mit Oliver Reese auch einem neuen Chef, die waren spannend, sagt er. Aber, „es wäre schlimm, wenn ich sagen würde: Gott sei Dank ist es am Deutschen Theater vorbei. Dann hätte ich in den letzten Jahren was falsch gemacht." Hat er nicht. Wer Döhler dort gesehen hat, der weiß: Er hat ziemlich viel richtig gemacht. Zum Beispiel als Fatzer in „Untergang des Egoisten Johann Fatzer", als Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz" oder als Diener Lucky in „Warten auf Godot". An all diesen Figuren hat sich Döhler auf der Bühne abgearbeitet: so körperlich, so akribisch, als sei das, was der Regisseur Ivan Panteleev mal als Döhlers „Körperklugheit" bezeichnet hat, ein Extremsport.


Schauspielerei soll harte Arbeit sein

Schauspielen, das ist für Döhler eben Maloche. Vielleicht hat er den Bühnenwechsel deshalb nicht vorher zergrübelt. „Ich dacht' mir: Gucken wir ma', wie das hier wird. Das Wichtigste ist doch eh Arbeit. Die muss stimmen." Man muss was tun für sein Geld. Man muss ranklotzen, ackern, malochen, wa? Wa! Wenn Döhler über seinen Job spricht, dann sind da keine Eitelkeiten und keine Koketterie. Dabei könnte er schon ein bisschen eitel sein. Denn Döhler hat nicht bloß fest im Ensemble auf einigen Bühnen gestanden - Weimar, Hamburg, Berlin - sondern auch vor der Kamera. Im letzten „Tatort" aus München zum Beispiel. Da gab er den Hauptverdächtigen, den Anführer einer Enklave der Identitären Bewegung irgendwo auf dem Land. Und auch da hat er gebrüllt, wie auf der Bühne. Bis die Worte, die Verbitterung, der Hass und der Speichel flogen. Und beim Luftholen, ganz kurz nur, da blitzte die Hilflosigkeit hervor, die jedes Brüllen übertönen will. Und die dann doch lauter ist als jedes Wort. „Auf der Bühne muss man sich zur Feile machen und verlieren können", sagt er. Manchmal eben auch als Arschloch.

Vielleicht hat der Malocher deshalb auch kein Problem mit den Castorf'schen Endlosinszenierungen: Die dauern eben so lang wie ein Werktag, sechs bis siebeneinhalb Stunden. So wie „Les Misérables" zum Beispiel, Frank Castorfs erstes Stück am neuen BE. Da spielt Döhler den Sträfling Jean Valjean, den der Wunsch nach Gerechtigkeit aufreibt und die Flucht vor dem ungerechten Polizei-Inspektor Javert wohl auch. Klar, so viele Stunden auf der Bühne zu stehen, davor hatte er anfangs Respekt, sagt er. „Aber dann gewöhnt man sich recht schnell daran. Der Kranfahrer muss sich ja auch sechs Stunden und mehr konzentrieren", sagt er, „und wenn der am falschen Hebel zieht, dann fegt er vielleicht zwei Leute vom Gerüst."


Castorf ein "warmer Mensch mit großem Herz"

Die Arbeit mit Castorf, die hat ihm so gefallen, dass er mit dem Regisseur sofort weiter gearbeitet hätte. „Bei ihm hätte ich sogar eine Hospitanz gemacht, so faszinierend fand ich das. Ich bin ein Fan", sagt er und grinst, dass seine Wangen Falten schlagen. Und klar, er kenne auch Geschichten über ihn. Dass Castorf Regieanweisungen gern durch Lautstärke durchsetzt, das ist ja kein Geheimnis. „Ich hab ihn als sehr warmen Menschen kennengelernt mit einem riesengroßen Herz", sagt Döhler.

Wenn Döhler sich auf der Bühne verausgabt, dann verändert das manchmal seinen Blick auf die Welt. Wenn er Stan ist oder Biberkopf oder in Elfriede Jelineks Stück „WUT" Textlawinen walzt, dann schüttelt er hinter der Bühne zwar die Rolle ab - „Ich habe keine Schwierigkeiten, aus Rollen auszusteigen" - aber die Gedanken natürlich nicht. „Da gehst du von der Bühne und zweifelst an der Welt, so traurig ist das zuweilen, so schlimm", sagt er und zieht die Augenbrauen zusammen, dass seine schwarzen Augen plötzlich klein werden. „Da kann man schon mal die Hasskappe aufziehen und es dann nicht aushalten, U-Bahn zu fahren." Er hält es dann aber doch irgendwann wieder aus. Das gehört ja dazu. Das ist Teil der Maloche. Wa?


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