Im Berlin-Drama „Tiger Girl" schlagen Frauen zu, bis die Gewalt eskaliert. Mit Tiger und Vanilla will man sich besser nicht anlegen.
Elisa von Hof
Diesen beiden will man lieber nicht nachts begegnen. Auf ihren Streifzügen durch Berlin suchen Tiger und Vanilla, die eigentlich ganz brav Margarete heißt, die Gewalt. Denn die Langeweile juckt ihnen in den Fingern, die legt sich kratzig auf ihre Zungen. Die will raus, raus, raus, bis der Herzschlag anrast gegen diese Angepasstheit überall. Vanilla (Maria Dragus) und Tiger (Ella Rumpf) sind beide Anfang 20 und ein bisschen perspektivlos, die eine, weil sie unbedingt ankommen, die andere, weil sie bloß weg will von der Gesellschaft. Diese beiden ungleichen Mädchen, die eine blond, brav, rosa-gezuckert, die andere schwarzhaarig, androgyn, verlottert, die wollen Spaß haben und Schmerz verteilen.
Dabei beginnt das alles ganz harmlos. Vanilla vergeigt die Sportprüfung für die Polizeischule und landet in einer Schulung für Security-Leute. Dort sitzt sie erst ganz schüchtern neben diesen Stiernacken, übrigens echten Sicherheitsmännern, und steckt Hiebe ein, bis sie selbst welche austeilt. Denn Tiger, die sie zufällig kennenlernt, zieht sie mit in ihre Gewalt, bis Vanilla eben mehr Tiger zieht als umgekehrt. Wer da auf den moralischen Moment hofft, dieses lamentohafte "Gewalt ist keine Lösung", der wird enttäuscht.
Irgendwann schwappt die Symbiose aus - weiblicher - Gewalt, Rebellion und der Suche nach einem lebbaren Leben auf den Zuschauer über. Es kribbelt einem selbst in der Faust. Das deutsche Drama "Tiger Girl", das die Berlinale-Sektion Panorama eröffnet hat, ist wie ein Rausch, der völlig eskaliert, mit Blut, einigen gebrochenen Knochen und einer Entführung. Diese Mädchenfreundschaft lässt einen rat- und auch ein bisschen atemlos zurück. Vielleicht, weil man weibliche Gewaltexzesse noch immer nicht gewöhnt ist. Vielleicht, weil man diese Kriegerinnen, bewaffnet mit Baseballschlägern und strassbesetzten Gasmasken, und ihre Lust, die Welt zu zerschlagen, immer noch so schwer erträgt.
Das ändert sich jetzt, Jakob Lass sei Dank. Wie schon in seinem Kinofilm "Love Steaks", der vor drei Jahren auf der Berlinale zu sehen war, hat der Regisseur auch dieses Mal mit Doku-Elementen und ohne fest gezurrtes Drehbuch gearbeitet. Denn Lass gehört wie Axel Ranisch, Timo Jacobs und sein Bruder Tom Lass der Berliner "Mumblecore"-Bewegung an. Wer die Independent-Filme kennt, weiß, Improvisation ist hier alles. Das Zusammenspiel aus Schauspielern und Laiendarstellern ist ungekünstelt und echt, wie in "Tiger Girl".
Dass Lass Maria Dragus, dem Berlinale-Shootingstar 2014, und Newcomerin Ella Rumpf, die ihre Tiger mal knallhart, mal ganz zart anlegt, beim Drehen so viel Luft gelassen hat, merkt man ihrem starken Spiel an. Wie die beiden sich aneinander reiben, sich anstacheln zum Prügeln, Stehlen, Trinken, ist sehenswert. Schön, dass Dieter Kosslick dieser Impro-Produktion einen Platz auf der Berlinale eingeräumt hat, wurden die deutschen -Filme in den vergangenen Jahren doch eher ignoriert.
Termine: Colosseum 1, 12.2., 22.30 Uhr; Wolf, 14.2., 18.30 Uhr; Cubix 9, 19.2., 17.00 Uhr
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