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Neustart für die Berlinale

Der Druck wird erhöht: Namhafte Filmemacher üben Kritik am Festival - und am Verfahren zur Ernennung eines Nachfolgers von Dieter Kosslick

Elisa von Hof, Gabriela Walde, Thomas Abeltshauser


Der Zeitpunkt ist überraschend: Am Freitag haben 79 Regisseurinnen und Regisseure in einem offenen Brief gefordert, die Berlinale "programmatisch zu erneuern und zu entschlacken". Zu den Unterzeichnern gehören populäre und mit vielen Preisen dekorierte Filmemacher - Fatih Akin, Dominik Graf, Maren Ade, Volker Schlöndorff, Andreas Dresen und Caroline Link sind dabei. Anlass ist die Frage, wer das Berliner Filmfestival künftig leiten soll. Der Vertrag von Dieter Kosslick, der die Berlinale seit 16 Jahren verantwortet, läuft 2019 aus. Der Brief, der jetzt erst öffentlich gemacht wurde, ist dabei nicht neu. Bereits am 1. Mai ging er an die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die für die Neubesetzung der Leitung zuständig ist. Am 1. September lud sie eine Abordnung der Unterzeichner ins Kanzleramt, darunter Nicolette Krebitz, Thomas Heise und Dietrich Brüggemann.


Ein Kurswechsel ist dringend notwendig

Statt der Ernennung durch Grütters schlagen die Filmemacher vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen. So hofft man, "eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen". Es geht also nicht bloß um die Leitung der Berlinale, es geht auch um die Ausrichtung des Festivals: Die Berlinale soll breiter aufgestellt und internationaler werden.

Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und AdK-Präsidentin, wehrt sich gegen eine einseitige Lesart des offenen Briefes. "Wir wollen kein Blut vergießen! Es geht nicht um eine Kritik an Dieter Kosslick, sondern um den Wunsch und die Forderung nach einem transparenten Auswahlverfahren zur Nachbesetzung der Festivalleitung", sagt sie. Also eine Kommission von ausgewiesenen Filmleuten, die in einem demokratischen Verfahren Vorschläge für die Nachfolge erarbeitet. Diese Kritik trifft also Grütters. Die Berlinale sei "gut", findet sie, aber man könne doch keinen Nachfolger "aus dem Hut zaubern".

So sieht das auch Regisseur Dietrich Brüggemann. Man wolle nicht mit Kosslick abrechnen, er habe die Berlinale sehr erfolgreich ins neue Jahrtausend geführt, seine Verdienste seien klar und unbestreitbar. Für Brüggemann steht nun aber die Frage im Raum: Wie geht es weiter?

Für Regisseur Hans-Christian Schmid ist das klar: Für ihn sei es am wichtigsten, dass sich jemand für die Leitung findet, der eine eigenständige Handschrift habe, eine unabhängige, künstlerische Vorstellung vom Kino. "Lebendigkeit und Offenheit fände ich dabei wichtiger, als auf bewährte Muster und Repräsentation zu setzen", sagt er.

So formuliert das auch Brüggemann: "Ich wünsche mir einen präziseren Blick für das, was einen Film im Moment und generell relevant macht. Ich sehe zu viel Beliebiges und andererseits immer wieder sehenswerte Filme, die hier unter den Tisch fallen." Es sei leicht, übersehen zu werden. "Eine gewisse Verschlankung wäre also auch nicht schlecht." Dem schließt sich Schmid an: "In den letzten Jahren hat das Festival an Profil verloren. Mir war manchmal ein Rätsel, warum dieser oder jener Film im Wettbewerb lief, und mir fiel es zunehmend schwer, zwischen den einzelnen Reihen des Festivals zu unterscheiden."

Der Vorstand des Verbands der deutschen Filmkritik formuliert es drastischer: Angesichts der langjährigen Amtszeit von Kosslick und des mit ihr einhergehenden künstlerischen Bedeutungsverlusts der Berlinale sei ein Kurswechsel dringend notwendig. "Die Berlinale-Intendanz muss wie andere Intendanzen unter öffentlicher Aus-schreibung und in einem gerechten, sachkundigen Verfahren gefunden werden.

Um zu garantieren, dass Kosslick, der dem über seine Nachfolge entscheidenden Gremium angehört, lediglich eine beratende Rolle zufällt, sollten die Kriterien für die Besetzung offengelegt werden." Julia von Heinz formuliert es so: "Für mich ist es ein Aufruf gegen Mauschelei und für ein transparentes Verfahren, um die Berlinale deutlich zu verschlanken und ihr damit wieder mehr Gewicht zu geben."


Zu unübersichtlich, zu beliebig sei das Programm, lautet die Kritik an der Berlinale

Die Kritik an der Berlinale ist nicht neu: Zu unübersichtlich, zu beliebig sei das Programm, so seit Jahren der Vorwurf. Und es mangelt zunehmend an einem scharfen Wettbewerbsprofil gegenüber den beiden anderen wichtigen Filmfestivals. Während Cannes das Mekka des Autorenkinos ist und die Größen der Branche versammelt, konnte sich Venedig in den letzten Jahren dank des Termins im September als Startrampe für Oscar-Kandidaten positionieren. Das Markenzeichen der Berlinale, das politischste der großen Festivals zu sein, führte oft zu einer Präferenz zugunsten von Botschaft statt des künstlerischen Werts.

Und auch an Fehlentscheidungen mangelte es nicht. Filme wie "Das Leben der Anderen" oder das ungarische Holocaustdrama "Son of Saul" wurden abgelehnt - und gewannen später weltweit Preise. Vielleicht ist das der Grund, warum immer mehr Regisseure - zum Beispiel Akin und Ade - ihre Arbeiten zuletzt lieber in die Wettbewerbe von Venedig und Cannes schickten. Auch Tom Tykwer, der Juryvorsitzender der nächsten Berlinale ist und die Erklärung nicht unterschrieben hat, plante die Premieren seiner letzten Filme lieber auf den Festivals in New York und Toronto.

Der Leiter kann den Wunsch der Unterzeichner verstehen

Auch die Debatte um Kosslicks Nachfolge ist nicht neu. Häufig wird Kirsten Niehuus als Kandidatin genannt, die Geschäftsführerin des Medienboards Berlin-Brandenburg. Eine Person aus der Filmförderung ist aber wohl nicht das, was die Unterzeichner unter "kuratorischer Persönlichkeit" verstehen. Niehuus war am Freitag nicht für ein Statement zu erreichen. Aber Kosslick.

Der erklärte, er könne den Wunsch der Filmemacher nach einem transparenten Prozess der Neugestaltung der Berlinale verstehen. "Die Zukunft der Berlinale ist uns allen ein Anliegen", so der Festivalchef. "Der Aufsichtsrat hat mich aufgefordert, einen Vorschlag zu einer möglichen Neustrukturierung der Berlinale zu unterbreiten. Diesen Vorschlag werde ich, völlig unabhängig von meiner Person, vorlegen."

Aus Grütters Büro heißt es indes, man befinde sich in einem "intensiven Diskussionsprozess". Ihr sind momentan ohnehin die Hände gebunden: Solange keine Regierung steht, ist sie geschäftsführend im Amt. Personalfragen liegen auf Eis. Vielleicht ist der Zeitpunkt der Kritik also doch nicht so überraschend. Die Unterzeichner nutzen dieses Vakuum, um für ihr Vorhaben zu werben - und Druck auszuüben.

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