Für seine Rolle in dem Film „Mathilde" wird Lars Eidinger angefeindet, nun bringt er eine dadaistische Platte heraus. Ein Treffen.
Elisa von Hof
Dunkle Ringe umrahmen die Augen, die Haare fliehen struwwelig vom Kopf weg. Müde sieht er aus und abgekämpft auch. Lars Eidinger steckt gerade in einer atemlosen Phase. Gerade kommt der Schauspieler aus New York, hat dort seinen "Richard" gespielt, das Stück, für das Groupies regelmäßig in die Schaubühne pilgern. Fast zeitgleich läuft nun sein Film "Mathilde" in den Kinos an, wegen dem bereits Molotow-Cocktails flogen und Autos in Russland brannten.
Darin spielt Eidinger den letzten Zaren Nikolaus II., der sich in eine Ballerina verliebt. Das bricht nicht bloß mit den Konventionen jener Zeit, sondern provoziert den Hass christlicher Fundamentalisten der Gegenwart. So sehr, dass die den Berliner einen Satanisten nennen und einen homosexuellen Pornodarsteller, und allen russischen Kinos, die den Film zeigen, mit Brandanschlägen drohen. Und jetzt, auch das noch, stellt Eidinger seine erste Platte vor, "I'll break ya legg".
Wir treffen den 41-Jährigen in einem ehemaligen Krematorium in Wedding. Rotes Efeu an den Wänden, totes Laub auf der Erde und dann diese Steinengel überall. Eidinger fühlt sich hier wohl. Wer ihn schon mal auf der Bühne gesehen hat, als exzentrischer Hamlet oder perverses Müttersöhnchen in "Dämonen", der weiß, das Morbide liegt ihm. Das passt auch gut zu dieser Platte. Die hat er vor 20 Jahren im Keller seiner Eltern aufgenommen, und dann etwas später in geringer Stückzahl auf den Markt gebracht.
1996 war das, bevor Eidinger auf den Berliner Bühnen gelandet ist - in dem Reihenhaus in Marienfelde, wo das Mittagessen unter Alufolie im Kühlschrank wartet und er sich mit Eifer an den ratternden Computer setzt, um seine Beats zu zimmern. "Ich hab damals 24 Stunden Musik gemacht", sagt er und lächelt, er erinnert sich genau an die Zeit.
Wenn er sich die Stücke heute anhört - die alten wurden auf der Platte angereichert mit unveröffentlichten, die noch auf seiner Festplatte geschlummert haben - wird er ein bisschen nostalgisch. Dann gräbt er die Fäuste in seinen Pullover und denkt nach. "Ich hatte damals einen sehr direkten, naiven Zugang zu Musik, das hört sich abgehoben an, aber einen fast genialischen. Ich höre etwas, von dem ich glaube, dass ich es heute nicht mehr könnte", balanciert er zwischen Koketterie und einer Selbstgewissheit, die man gern mit Arroganz verwechselt.
Dabei ist es die Erwartung der Zuhörer, die Eidinger zu schaffen macht. Während man etwas tue, höre man schon, was die Menschen darüber denken. Im Theater stiftet das Kreativität, da kann Eidinger improvisieren, was er gern tut, gut und häufig, und nicht immer zum Vergnügen seiner Mitspieler. Aber im Studio ist Improvisation schwierig. Kann man die Stimmen der Zuhörer nicht ausblenden, zerschießt man sich die Platte. Vielleicht hat er deswegen nie wieder etwas aufgenommen nach 1996, bloß Platten aufgelegt als DJ in der Schaubühne und in Clubs. Vielleicht hat er sich auch einfach mehr aufs Schauspielen konzentriert. Das brachte ihm ja auch Fans ein, viele Rollen, Erfolg.
Und nebenbei Musik machen, das reicht ihm nicht. "Man kann sich dann nicht ganz der Musik verschreiben", sagt er, und man ahnt, dass es das ist, worum es ihm geht, der Rausch, das Maßlose. Auch auf der Bühne. Ja, sagt er, "als Künstler geht es mir um die Intensität, die ich im Alltag nicht erlebe." Das ist ja das Paradox, das man für Exzentrik hält und manchmal auch für Eitelkeit: Wenn er aus sich heraus geht, kommt er bei sich an.
Wer erwartet, dass Eidinger auf seinem Album singt, wird enttäuscht. Auf die Platte hat er verstörende Instrumental-Beats gepresst, dadaistische Minimal Music, die sich in kein Genre drücken lässt. Für ihn hört sich die nach Weltschmerz an und nach eingerissenen Nagelbetten, sagt er und fügt an: "Mich hat es als Kind viel beschäftigt, dass man nie ganz glücklich ist. Dass, wenn alles in Ordnung ist und man keine Probleme hat, man sich dann das Nagelbett einreißt."
So wie jetzt also, wo Eidinger in "Babylon Berlin" über den Bildschirm wandert, gerade einen Kinofilm abgedreht hat und mit dem nächsten auf der Leinwand zu sehen ist. Wo eigentlich alles ganz gut sein könnte - wäre da nicht ein eingerissenes Nagelbett, die Reaktionen auf seinen Film "Mathilde", auf die er in einem Brief in der Wochenzeitung "Zeit" reagiert hat. Dass es ihm das Herz breche, nicht zur Premiere nach Moskau fahren zu können, schrieb er darin dem Regisseur des Films, Alexei Utschitel. Dass er Angst habe vor Angriffen dort.
"Ich hab auf die Absage Unmengen an Reaktionen bekommen, nur positive. Kurioserweise auch aus Russland", sagt er heute. Und dann, als wollte er der nicht ausgesprochenen Kritik begegnen: "Man könnte mir unterstellen, dass es eine gewisse Koketterie ist, aber weil der Brief nicht offen gedacht war, wollte ich nur ehrlich zu meinen Gefühlen sein. Man muss zu seiner Angst stehen."
Für die Dreharbeiten war er lange Zeit in Russland, er hatte Freude an seiner Zaren-Rolle. Dass man ihn nun als Satanisten bezeichnet und als homosexuellen Pornodarsteller - man hat Fotos von ihm gefunden, auf denen er sich ein Würstchen in den Po schiebt - und dass man damit Propaganda macht gegen den Film, das tut ihm weh. "Ich hab keine Vorbehalte gegen Homosexuelle, ich hab keine Vorbehalte gegen die Pornoindustrie. Ich schaue selber Pornos, aber ich störe mich daran, dass das ein Grund sein soll, den Film nicht zu zeigen: weil man schwul ist."
Lars Eidinger: "I'll break ya legg". Studio K7, 24,95 Euro. Erhältlich ab: 10.11.2017© Berliner Morgenpost 2017 - Alle Rechte vorbehalten.