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Ein Sommer in der Potsdamer Platte

Der Berliner André Kubiczek ist für seinen Roman über eine DDR-Jugend für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Elisa von Hof


Eigentlich ist ihm das alles zu viel. Die Interviews, die Fotos, die Lesungen. Er ist froh, wenn er wieder an seinen Schreibtisch in die Dunckerstraße zurück kann. Zum Schreiben, so wie vor dem Trubel, vor der Nominierung zum Deutschen Buchpreis. Der Berliner Schriftsteller André Kubiczek ist mit seinem Roman "Skizze eines Sommers" unter den sechs Finalisten, die am kommenden Montag auf die Auszeichnung hoffen.

Wenig hat in der deutschsprachigen Literatur so viel Strahlkraft wie dieser Preis. Kubiczek weiß das. Im Oktober, es ist frisch in Prenzlauer Berg, seinem Heimatkiez, er schlingt seine schwarze Jacke enger um sich und sagt: "Ich bin nicht aufgeregt, weil ich mir echt keine großen Chancen auf diesen Preis ausrechne." Selbst mit der Nominierung habe er nicht gerechnet. Aber klar, schon schön, dass es geklappt hat. Kubiczek, die grauen Haare leicht verstrubbelt, ist keiner, der kokettieren will. Der ganze Trubel, die Euphorie, scheint ihm bloß ein bisschen suspekt.

Wer Kubiczeks Romane kennt - sieben sind es mittlerweile - der weiß, er muss nicht viel von sich erzählen. Das übernehmen schon seine Bücher. Sein aktueller Roman, der ihm die Nominierung einbrachte, zum Beispiel. "Skizze eines Sommers" erzählt vom 16-jährigen René, dem Sommer in der Potsdamer Platte und einer Zeit, als das Ende der DDR noch so weit entfernt war wie der erste Herbsttag im Juli: unendlich.


Sein Roman erzählt vom Sommer in der Platte

1985, keine Spur von Glasnost und Perestroika, René hat sturmfrei und erlebt, diesen Superlativ kann man schon benutzen, den Sommer seines Lebens: erste Liebe, erster Rausch, viel Baudelaire und eine hoffnungsfrohe Sehnsucht, die einen nur mit 16 Jahren so verschlingen kann - eigentlich. Kubiczek wollte es nicht dabei belassen. "Das Buch war ein Geschenk an mich. Ich habe es geschrieben, um selbst nochmal jung zu sein", sagt der 47-Jährige.

Ob das funktioniert hat, möchte man wissen. Sehr gut sogar, sagt Kubiczek. Er hat beim Schreiben viel gelacht, auch von den Figuren geträumt. Die fünf Monate Schreibarbeit, die waren also Spaß. "Das war abgefahren", sagt er, schaut auf die Pappelallee und grinst. Sätze wie dieser beweisen das. Sie könnten direkt von den jugendlichen Protagonisten seines Romans stammen.

Man muss also nicht zwischen den Zeilen lesen, um zu ahnen, dass René André Kubiczek ist und André Kubiczek René. Wie der Antiheld seines Buchs wächst Kubiczek in der Potsdamer Platte auf. Auch den frühen Tod der Mutter haben beide gemein.

Bei den weiteren Figuren seines Romans, Bianca, Cornelia, Mario und all die anderen, da hat er nicht erst verschleiert, dass er sie direkt aus seinem eigenen Leben ins Buch mitgenommen hat. So funktionieren seine Geschichten. "Es braucht die absolute Subjektivität", sagt er.


Ein Buch mit seiner Biografie

Bereits in seinem Buch "Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn" hat er mit seiner eigenen Biografie gearbeitet. Damals, 2012 ist es, lotet er darin seine Familiengeschichte aus. Der Roman handelt von der Liebe seiner Eltern, einer Laotin und einem Jungen aus dem Harzer Vorland.

Für den Roman recherchiert Kubiczek ein Jahr und fährt nach Laos, um die Familie seiner Mutter kennenzulernen und, klar, ein bisschen auch seine eigenen Wurzeln. Denn es geht auch um ihren Sohn, ihn, "Kubi". Um sein Erwachsenwerden in der DDR, die NVA, die Wende. All seine Bücher scheinen darum zu kreisen. Kubiczek reist gern zurück in diese Zeit.

Wie zum Mauerfall in "Das fabelhafte Jahr der Anarchie" von 2014 oder in seinem Debütroman "Junge Talente". Damals ist Kubiczek knapp über 30, und arbeitet ein Jahr, ohne Verlag, ohne Agentur, ohne die Aussicht, dass dieser Roman, der da entsteht, je gedruckt wird. Kubiczek, der an der Uni "Germanistik, Philosophie und noch irgendwas" studiert, aber nicht zu Ende bringt, hält sich mit Amazon-Rezensionen über Wasser und mit dem Ghostwriting einer Diplomarbeit.

Beim Schreiben versucht er, nochmal jung zu sein

Heute sagt er, der wachsende Stapel an dicht beschriebenen Blättern auf seinem Schreibtisch, habe ihn motiviert, nicht aufzugeben, bis das Buch gedruckt war. Vielleicht ist es aber auch, wie bei Renés Geschichte, dieses Gefühl, beim Schreiben nochmal jung zu sein und die Jahrzehnte hinter sich schmelzen zu lassen wie ein Zuckerstück im Regen. Denn in "Junge Talente" geht Kubiczek zurück in die Untergrundszene in Prenzlauer Berg. Statt Bianca, Cornelia und Mario aus der Platte sind da Literaten, Dandys und Punks anzutreffen.

Das Gefühl, wie es ist, jung zu sein in dieser bröckelnden DDR der alten Herren, das hat er immer mit sich herumgeschleppt. Bis jetzt. Seit er es in "Skizze eines Sommers" aufgeschrieben hat, sei es endgültig fort. "Aber wenn es jetzt zwischen den Seiten des Romans steckt", sagt er und lacht kehlig, "dann habe ich ja geschafft, was ich wollte." Die Atmosphäre seiner Jugend konservieren nämlich.

Kubiczek, das Gefühl wird man nicht los, schreibt in seinen Romanen sein eigenes Tagebuch nach. Platte, Rebellion, Mauerfall, auch die unwirkliche Zeit direkt nach 1989. All das kann man bei ihm nachlesen, wenig verklärt. Nostalgie ist zwar der Motor seiner Schreibarbeit, doch nicht der seiner Erzählungen. Zu schnoddrig sind seine Helden, zu lakonisch die Handlung, zu leicht und jugendlich der Sound.


Potsdam zum Altwerden

Hier in Prenzlauer Berg wohnt er schon so lange. Er fühle sich langsam zu alt dafür. Potsdam, mit seinen Gärten und dem vielen Wasser, das könnte er sich besser vorstellen. Da war er jetzt ja auch häufig wegen seines Romans. Noch kann er aber nicht weg, seine Tochter lebt noch hier.

"Eigentlich", sagt er, "habe ich meine Geschichte wegen ihr in den Romanen festgehalten. Damit sie weiß, wo sie herkommt." Von der Vergangenheitsrekonstruktion hat er nun genug. Sein nächster Roman soll in der Gegenwart spielen. Aber dann, später, kommt er vielleicht nochmal auf die DDR zurück. Ein paar Episoden wären doch noch zu erzählen.

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