Über Panikattacken, Einsamkeit, die AfD und Crocs: In ihrem neuen Buch schreibt sich Ronja von Rönne schonungslos an der Gegenwart ab
Elisa von Hof
Sie plaudert mit dem Sensenmann und trifft den Geist von Marcel Reich-Ranicki, sie spielt Mäuschen im Bett der Obamas und treibt über Buchmessen-Partys. Aber das sind alles Ablenkungsmanöver, alles Schaukämpfe. Denn die meiste Zeit hinterfragt Ronja von Rönne (25) die Gegenwart, sie schlägt sich herum mit Einsamkeit und Panikattacken, Deadlines und Selbstzweifeln. Sie leidet und hasst und jammert, jedenfalls in ihrem neuen Buch "Heute ist leider schlecht. Beschwerden ans Leben". Es versammelt ihre Kolumnen aus der "Welt am Sonntag", für die sie seit 2015 schreibt, und Stücke aus ihrem Blog "Sudelheft", ein paar neue Gedankenspiele sind auch dabei.
Das ist nicht nur ziemlich witzig, sondern auch mutig geschrieben. Denn die Berliner Schriftstellerin verpackt Teile ihres Alltags in Literatur. Sie schreibt sich ab an den Ungeheuern des Jetzt, an der AfD, Croc-Schuhen, bedruckten T-Shirts und sowieso am Unglück der menschlichen Existenz. "Schreiben ist wie jammern, wenn keiner mehr zuhören will", hat sie neulich gesagt. Ihr will man zuhören. Genau wie ihrem Debütroman "Wir kommen".
Den hat sie erst im vergangenen Jahr auf den Büchertisch gebracht, aber er hat schon vorher für Furore gesorgt. Denn von Rönne hat einen Vertrauensvorschuss vom Aufbau-Verlag für diesen Erstling bekommen, weil sie schreiben kann, das hatte man ja in ihren "Welt"-Texten und auf ihrem Blog gesehen. Lange hatte der Roman nicht mal einen Arbeitstitel. Auf seinem Cover prangt ein brennendes Streichholz, ein Symbol für die Unruhe, die diesen Roman mehr als der ereignislose Plot vorantreibt. Ein Symbol auch für den Rönne-Sound, der die Einsamkeit, ein zentrales Thema ihres Schreibens, so schonungslos ausleuchtet wie ein Streichholz die Dunkelheit.
Sie zeigt das Gefühl so hässlich, wie es nun mal ist. Einsam sein will niemand. Da hilft es nicht, sich einzureden, die "weltkleinste Polonaise" zu sein oder ein "erfolgreicher Ein-Mann-Betrieb". Für Einsamkeit gibt es kein versöhnliches Synonym. Von Rönne weiß das, und sie schreibt darüber, um es ein bisschen besser zu machen.
Respektlos, wütend, ein bisschen polemisch und dabei herrlich schnoddrig sei sie, ja, von Rönne sei das Sprachrohr einer ganzen Generation, der Generation Y. Also die, die mehr suchen als finden, vor allem sich selbst und ihren Platz in der Welt. Solche Dinge liest man häufig über sie. Es gefällt ihr nicht. Mit ihrem neuen Buch zeigt sie, es stimmt auch nicht. Von Rönne ist zwar radikal. Sie ist aber auch schüchtern, ängstlich ab und zu, und sensibel, zumindest wenn's um Wörter geht. Sie lässt sich von Tagträumen treiben, schreibt mal über Banales wie Kaufhaus- und Media-Markt-Besuche, über Ikea und das Umziehen.
Häufig zieht sie her über C-Promis und öde Berlinale-Feten zum Beispiel. Meistens hasst sie aus ihrem Bett heraus unsere "Authentizitätssehnsucht" und Kunst, die ihr das Gefühl gibt, "der letzte Dorftrottel zu sein". Sie widmet sich ihrem eigenen Unglück - "alles ist sehr schlimm" - und aalt sich in Weltschmerz und Misanthropie, als hätte Travis "Why does it always rain on me" eigentlich für sie gesungen. Dabei will man ihr am liebsten einen Kakao machen und sagen: So schlimm ist es doch gar nicht. Denn, das weiß man bereits nach ein paar ihrer Tagebucheinträge, von Rönnes Tage sind nicht immer regnerisch. Sie trifft sich mit der "Spiegel"-Schreiberin Margarete Stokowski, verbringt Zeit mit dem Mann, den sie liebt, der auch schreibt und "sie am besten kennt", sie veröffentlicht ihren ersten Roman und berichtet von der Buchmesse. Könnte also schlimmer sein. Aber gegen Melancholie gibt es eben kein Argument.
Das bewies bereits ihr Debütroman, "Wir kommen". Darin kämpft ihre Protagonistin Nora mit dem Tod einer alten Schulfreundin und auch mit ihrem Platz in der Welt. Sie ringt mit dem Leben, den Panikattacken in der Nacht und mit dieser Liebe für vier, die sie mit drei Freunden teilt. Wie Depression und Panik in den Kopf und dann langsam in die Glieder kriechen, wie erschöpfend das ist und das Herz gleichzeitig zum Sprinten bringt, das schreibt sich nicht vom Schreibtisch. Da muss man selbst nachts wach gelegen und das Morgengrauen herbeigesehnt haben. So wie von Rönne. Nach einem LSD-Unfall konnte sie jahrelang nicht normal atmen, litt unter Panikattacken wie ihre Protagonistin.
Von Rönne schreibt rigoros, sich selbst gegenüber und allen anderen sowieso. Das polarisiert, das ist nicht immer angenehm, für den Leser, aber auch für von Rönne. Das hat sie 2015 erfahren. Für ihren Text "Warum mich der Feminismus anekelt", der in der "Welt" erscheint, wird sie angefeindet, nicht nur von Feministinnen, sie steht mittendrin in einem echten Shitstorm. Als sie wenig später einen Preis für ihren Text bekommen soll, lehnt sie ab. Sie wolle keine Galionsfigur des Antifeminismus werden.
Immer schreibt sie unbedingt, fast immer über sich. In "Heute ist leider schlecht" kümmert sich von Rönne genauso um die großen Fragen unseres Daseins - Alter, Liebe, Einsamkeit - wie um die AfD-Demo, diese "Ü-80-Party", auf der alle "ängstlich, frustriert und überfordert" sind. Oder um die Zeit, wie in "Dieser Text ist Zeitverschwendung". Er hält natürlich nicht, was er verspricht. Was von Rönne über die Zeit zu sagen hat, das ist zwar simpel und bekannt - das sagt sie selbst -, dennoch zeigt es, was sie mit Sprache machen kann.
"Ohne jedes Bewusstsein für das Jetzt ist Heute immer nur eine unverschämte Erwartungshaltung an Morgen", schreibt von Rönne. Und Morgen vertröste nur, "guckt einen mit großen Augen an und verweist scheinheilig auf den nächsten Tag". Es sind Sätze wie diese, die man ausschneiden möchte, weil sie ihre Sprachgewalt ausmachen, diesen viel gelobten Rönne-Sound, der zwischen Lakonie und Poesie oszilliert. Ihre Worte brauchen keine Geschichte, keinen Plot, kein Pathos, die brauchen nur sich selbst.
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