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Zwei Schwester wollen mit Verlag in der Türkei etwas bewegen

Inci Bürhaniye und Selma Wels haben einen eigenen Verlag gegründet. Dafür sind sie gerade ausgezeichnet worden.

Elisa von Hof


Irgendwann hatten sie einfach keine Lust mehr zu warten. Darauf, dass es ein anderer macht. Darauf, dass jemand endlich das in die Hand nimmt, was ihnen so unabdinglich erscheint. 2010 ist es, als die Schwestern Selma Wels (38) und Inci Bürhaniye (50) nach Istanbul reisen und dort - ohne es geplant zu haben - entscheiden, selbst einen Verlag zu gründen. Binooki, so nennen sie ihn, soll sich ausschließlich darum kümmern, türkische Literatur auf den deutschen Buchmarkt zu bringen.

Denn die empfinden sie hier als unterrepräsentiert. Zu wenig übersetzt, zu wenig beachtet. Häufig haben die beiden Töchter türkischer Einwanderer sich angesehen und gedacht: Schriftsteller wie Metin Eloğlu, Emrah Serbes und Oğuz Atay etwa, die muss der deutsche Leser doch auch kennenlernen, die dürfen doch nicht nur in der Türkei gelesen werden. "Da war uns plötzlich klar: Wenn wir das nicht ändern, wer sonst?", sagt Inci Bürhaniye, die Ältere, und schaut ihre Schwester an.


Systemkritische Autoren zu verlegen birgt manches Risiko

Bürhaniye ist eigentlich Anwältin für Gesellschafts-, Handels- und Steuerrecht mit eigener Kanzlei, Wels Betriebswirtin. Mit Verlagsarbeit hatten beide noch nie zu tun. Als die Entscheidung steht, in Istanbul auf der Buchmesse, zögern sie dennoch nicht. Vielleicht weil sie schon zu lange gewartet haben. Vielleicht weil die Schwestern wissen, dass sie das bloß zusammen schaffen. Wenn sie heute darüber sprechen, dann ist da jedenfalls kein Platz für Zögerlichkeit. Die liegt ihnen sowieso nicht. Die wirft nur zurück. Die Verlagsgründung ist mittlerweile sechs Jahre her. Für ihren unternehmerischen Mut, ihren Pioniergeist und ihre kulturelle Vermittlungsarbeit wurden die beiden Verlegerinnen am vergangenen Sonnabend mit dem mit 75.000 Euro dotierten Kairos-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung ausgezeichnet.

Als die beiden von dem Preis erfahren, sind sie erstmal sprachlos. Wegen des Geldes, aber auch wegen der Begründung. Der Kairos-Preis, einer der höchstdotierten Kulturpreise in Europa, wird seit 2007 an europäische Künstler und Wissenschaftler vergeben, die häufig abseits der öffentlichen Wahrnehmung für Kultur sorgen. Wels und Bürhaniye werden als "Brückenbauerinnen" prämiert - zwischen Europa und der Türkei, die sich in diesen Tagen immer mehr abschottet. Die Schwestern, so das Preiskuratorium, "ebnen den Weg für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das die politischen Grenzen der EU überschreitet". Der Preis für Wels und Bürhaniye ist also nicht nur ihrem Literaturgeschmack geschuldet, das ist auch ein Politikum. Ein klares Signal gegen die Frontbildung des Erdoğan-Regimes.

"Verleger zu sein, bedeutet heute nicht nur die Arbeit am Buch, mit den Autoren und Übersetzern, durch die aktuelle Situation in der Türkei fährt man mit dem Büchermachen auch im politischen Fahrwasser", sagt Bürhaniye. Denn die Schwestern verlegen systemkritische Autoren, etwa den Krimiautor Emrah Serbes. Wegen seiner Teilnahme an den Gezi-Protesten 2013 und seiner Meinungsäußerung gegen den Premierminister wurde er wegen Majestäts- und Beamtenbeleidigung angeklagt. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft forderte zwölf Jahre Haft. Auch wenn Serbes freigesprochen wurde, die Angst, doch inhaftiert zu werden, wie viele Journalisten und andere Künstlerkollegen, die ist geblieben. Die ist auch bei den anderen Schriftstellern spürbar, die Bürhaniye und Wels verlegen. Sich aus Deutschland zu sehr in den Diskurs einmischen, das möchten die Schwestern aber nicht.

Man sei ja hier geboren, in Deutschland, sagt Bürhaniye, man lebe eben nicht in der Türkei, wolle sich also nicht als Experte aufspielen. "Aber wenn unsere Autoren in ihren Romanen auf die politische Gegenwart in der Türkei reagieren, dann möchten wir ihre Stimme ins Ausland sein." Dass sich die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei verschlechtern, das spüren sie auch im Verlag. Seit den Gezi-Protesten und der Anthologie darüber, die die Schwestern auf Deutsch verlegten, erhalten sie keine Übersetzungsförderungen mehr, von der Türkei nicht und auch nicht von der EU. Die sind für einen kleinen Verlag wie Binooki aber wichtig, um Übersetzungen wie die des Romans "Die Haltlosen" von Oğuz Atay zu stemmen, der jahrelang als unübersetzbar galt.


Die Zeit der schlaflosen Nächte ist inzwischen vorbei

Dass sie es geschafft haben, das zu übersetzen und auf den deutschen Markt zu bringen, das freut die Schwestern noch heute. Das ist auch der Grund, warum sie das überhaupt gemacht haben mit dem Verlag. Geschichten verbreiten. Seit ihr Vater sich jeden Abend ans Bett der Töchter setzte, in Pforzheim in den 80ern, und auf Türkisch selbst ausgedachte Märchen erzählte, kommen sie davon nicht los. Die Lust auf Geschichten ist geblieben. Die motiviert auch, wenn es mal nicht gut läuft. Denn auch wenn sich das mit der Verlagsgründung heute so mühelos anhört, einfach war das nicht. Vertrieb, Lizenzen, Verträge, PR, alles, was Verlagsarbeit bedeutet, musste angelesen und erfragt werden.

"Klar, wir hatten ein paar schlaflose Nächte und haben uns auch mal gefragt: Wieso machen wir das eigentlich?", sagt Wels. Aber dann konnten die beiden diese Frage doch immer beantworten. "Die Arbeit erfüllt uns, und es ist das, was wir wirklich machen wollen." Und es kommt gut an. Der kleine Verlag an der Schöneberger Motzstraße hat sich festgebissen in einer Nische des deutschen Buchmarkts, die Übersetzungen werden gut besprochen, es hat sich eine kleine Stammleserschaft entwickelt.

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