Elisa Makowski

Journalistin, Redakteurin und Buchautorin, Frankfurt am Main

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Ungleiche Freunde: Der NS-Star, sein Sohn und die Liebe des NS-Jägers - WELT

Zweiter Weltkrieg Ungleiche Freunde

Der NS-Star, sein Sohn und die Liebe des NS-Jägers

Thomas Harlan, Sohn von Goebbels' Lieblingsregisseur Veit Harlan, und Holocaust-Ankläger Fritz Bauer waren eng befreundet. Die Gründe finden sich in Briefen, die jetzt bekannt geworden sind.

„Du kannst Dir denken, dass ich unsere Zeit mit mir trage und sie immer wiederhole. Es ist nicht hymnisch gemeint, aber es ist gewiss richtig, dass Du ein Ozean von Gefühlen und von Denken bist. Man muss sich glücklich wissen, Dich zu kennen und gern haben zu dürfen." Als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968) am 13. Juni 1965 diese Zeilen an Thomas Harlan schreibt, verbindet die beiden Männer bereits seit rund drei Jahren eine innige Brieffreundschaft. Zwischen dem ersten Brief von April 1962 und dem letzten vom Mai 1968, knapp zwei Monate vor Bauers Tod, sind 131 überliefert; zeitweilig gehen wöchentlich Briefe bei Harlan ein.

Für Werner Renz, der sie jetzt für das Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main herausgegeben hat, sind die Briefe vor allem ein weiteres Puzzleteil zum Verständnis Bauers: „Bislang ist Bauer in seiner Funktion als Generalstaatsanwalt dargestellt worden, diese Briefe zeigen uns den Juristen in persönlichen Beziehungen." Zwar habe Bauer zu weiteren Menschen tiefe Freundschaften gepflegt, zu Männern wie Frauen. Das sei aber nur bekannt aus Erzählungen Dritter.

Bauer war ein Mann mit großer öffentlicher Wirkung: Er initiierte maßgeblich den ersten Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965. Es war das erste große Verfahren, bei dem sich ehemalige NS-Täter vor einem deutschen Gericht verantworten mussten. Dementsprechend isoliert war und fühlte sich Bauer, der 1936 vor den Nazis zuerst nach Dänemark und dann nach Schweden flüchtete. Zwei Jahre nach dem Ende des Prozesses schreibt er: „Die Aversion hierzulande gegen 'Bewältigung der Vergangenheit' wächst, sie ist groß, wird riesengroß und gefährlich. Was wir vor zwei Jahren dachten, ist einfach Geschichte."

Ein gänzlich anderer Typ war Thomas Harlan (1929-2010). „Er war ein wirklich wilder Kerl", charakterisiert ihn sein Biograf Jean-Pierre Stephan: „Rücksichtslos, charmant und charismatisch." Thomas Harlans Leben und Arbeit ist geprägt von der NS-Karriere seines berühmten Vaters: Veit Harlan (1899-1964) war der Star-Regisseur im NS-Regime. Von ihm stammt der antisemitische Propagandafilm „Jud Süß".

Der Sohn aber sagte sich nach dem Krieg von den Eltern los: 1959 emigriert er nach Polen, um dort den Völkermord der Deutschen während des Nationalsozialismus zu erforschen. Zeitlebens beschäftigte er sich als Filmemacher und Schriftsteller mit der NS-Vergangenheit seiner Eltern und den deutschen Verbrechen.

„Unser aller Verhältnis zu unseren Vätern ist nicht ohne Spannung, und Sie haben es besonders durchgeliebt und durchgelitten", schreibt Bauer an Harlan im April 1964. Der Nazi-Jäger habe besonders in die junge Generation sein Vertrauen gesetzt, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sagt Historiker Renz. Harlans Bemühen „war für Bauer beispielhaft".

Auch deshalb habe der Jurist Bauer seinen Brieffreund Harlan in seiner schriftstellerischen Tätigkeit unterstützt und gefördert. Immer wieder bezieht Bauer in seinen Briefen kritische Stellung zur Arbeit des Freundes: „Heute erhielt ich Dein Manuskript. Die Idee ist genial, aber was in aller Welt hast Du alles hineingepackt?", kommentiert Bauer den Entwurf zum Theaterstück „Lux".

Im Laufe der Freundschaft sei „ein persönliches Moment" hinzugekommen, betont Renz vom Fritz Bauer Institut. Bauer habe Gefallen an der faszinierenden Person Harlan gefunden - „ob es väterliche Liebe war oder eine andere Liebe, ist reine Spekulation".

In seinen Briefen zeigt sich Bauer immer wieder verletzlich und nach der Nähe des Freundes suchend. „Jedenfalls müssen wir uns aber in absehbarer Zeit treffen. Ich benötige jemand, bei dem ich mich über die Trostlosigkeiten 'ausweinen' kann", schreibt Bauer im März 1964. Zu dieser Zeit ist der Auschwitz-Prozess in Frankfurt in vollem Gange.

Bauer habe Harlan als emotionale Stütze gebraucht, charakterisiert Renz das Verhältnis. Harlans Interesse war von anderen Beweggründen geprägt: Anfangs habe er zu dem 26 Jahre älteren Bauer aufgeschaut und eine Vaterfigur in ihm gesehen, sagt Stephan, der 2007 die Biografie „Thomas Harlan" verfasst hat. „Bauer war für Harlan, der ja kein Jurist war, ein Lehrmeister in rechtlichen Dingen", beschreibt er die Beziehung.

Nach seinen Recherchen in Polen erstattete Harlan mehr als 2000 Strafanzeigen gegen deutsche Angehörige der Gestapo, die in den Vernichtungslagern tätig waren. Immer wieder hat der Jurist ihn dabei beraten. „Bauer war nützlich für Harlan", sagt Stephan.

Die Briefe von Harlan sind nicht überliefert, weil man über den Nachlass Bauers und dessen Verbleib nichts weiß. Deshalb fehlt eine Seite, um die freundschaftliche Beziehung gänzlich zu erfassen. Es bleibt eine Leerstelle, die es mit eigenen Gedanken zu füllen gilt.

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