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Trümmerliteratur (1945-1950): Das sind die typischen Merkmale

Die Trümmerliteratur beschreibt die Trümmer, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. | Foto: iv-serg/Getty Images


Die Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs fand auch in der deutschen Literatur statt. Wir erklären dir, was für die sogenannte Trümmerliteratur typisch ist und an welchen Merkmalen du die Literatur dieser Literaturströmung erkennst.

Trümmerliteratur: Eine Epoche des Kahlschlags

Die deutsche Literaturepoche der Trümmerliteratur beginnt 1945 mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und endet mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Anfang der 1950er Jahre. Sie wird auch als Heimkehrerliteratur oder "Literatur der Stunde Null" bezeichnet und bezieht sich auf das, was die Menschen nach Ende des Krieges in den Städten vorfanden: Trümmer. Die Trümmerliteratur ist vor allem in Deutschland eine wichtige Strömung der Literaturgeschichte. In anderen Ländern spielt sie kaum oder gar keine Rolle. Sie ist nicht mit der Epoche der Nachkriegsliteratur gleichzusetzen, sondern ist eine eigene Strömung in der deutschen Literatur nach 1945.

„Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund."

Referenz: https://beruhmte-zitate.de/autoren/wolfgang-borchert/

"Wir sind die Generation ohne Bindung und Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund." (Wolfgang Borchert, Schriftsteller) Inhaltsverzeichnis Trümmerliteratur: Zeitgeschichtliche Einordnung

Die Epoche der Trümmerliteratur beginnt unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieser endete im September 1945 mit der Kapitulation Japans. In Deutschland war der Krieg bereits am 8. Mai zu Ende, als die Alliierten ins Dritte Reich einmarschierten und die Herrschaft der Nationalsozialisten beendeten.

Die Menschen standen vor den Trümmern des Krieges und den Trümmern ihrer Existenz. Durch den Krieg hatten sie Familie, Freunde und ihr Heim verloren, die Städte waren völlig zerstört. Viele Männer befanden sich in Kriegsgefangenschaft, zahlreiche Deutsche wurden aus den zuvor von Deutschland besetzten Gebieten vertrieben. Aber nicht nur Städte und Existenzen lagen in Trümmern. Der Begriff der Trümmerliteratur bezieht sich auch auf die Träume der Menschen, die der Krieg ebenfalls zerstört hatte.

Merkmale der Trümmerliteratur

Die Verfasser der Trümmerliteratur gehörten zu diesen Menschen. Sie waren größtenteils selbst aus Krieg oder Gefangenschaft heimgekehrte Soldaten, die ihre Erlebnisse schilderten. Aus diesem Grund nimmt diese Epoche auch in den Zeitschriften der Kriegsgefangenenlagern ihren Anfang.

Nur wenige der Heimkehrer waren vor dem Krieg schon als Autoren tätig gewesen. Das spiegelt sich deutlich in den Merkmalen der Trümmerliteratur wider:

Einfache Sprache: Vorbild waren die amerikanischen Kurzgeschichten, Short Stories, mit ihrem knappen und einfachen Stil. Die Autoren und Autorinnen der Trümmerliteratur wollten die Sprache von der ideologischen Prägung der NS-Zeit befreien. Die Sprache ist nicht nur einfach, sondern auch unpoetisch. Die Autoren wandten sich von gängigen Normen ab und wollten eine neue Sprache schaffen. Zentrales Thema ist die Zerstörung, sowohl die der Städte als auch die zerstörten Träume der Menschen. Die Autoren setzen keinerlei Traditionen fort, weder die der nationalsozialistischen Literatur noch die der Inneren Emigration oder der Exilliteratur, also die jener Autoren und Autorinnen, die gegen das NS-Regime, aber in Deutschland geblieben waren und jenen, die Deutschland verlassen hatten. Stattdessen wollten sie sich formal wie inhaltlich von vorhandenen Strömungen abheben. Die neue Literatur sollte realistisch, unpsychologisch und wahrhaftig sein. Der Ausdruck von Ideologie und Gefühl war ein Tabu.

Wichtige Stilmittel sind die lakonische Sprache und viele Wiederholungen.

Themen der Trümmerliteratur

Inhaltlich beschäftigt sich die Trümmerliteratur vor allem mit direkten und gewollt kargen Beschreibungen der zertrümmerten Welt sowie des elenden Lebens in den Ruinenstädten und Flüchtlingslagern. Ein weiteres wichtiges Thema dieser Zeit war das Schicksal herumirrender, orientierungsloser und isolierter Menschen, die vor den Trümmern ihrer Heimat und ihres Besitzes standen.

Neben den existenziellen Trümmern standen die Menschen aber auch vor den Trümmern ihrer Wertvorstellungen und fühlten sich verloren in einer Welt, in der es gefühlt keinen Platz mehr für sie gab. Gerade deshalb konnten sich die Menschen mit der Heimkehrerliteratur identifizieren. Damit einhergehend kam auch die Frage nach Schuld und Kollektivschuld an Krieg und Holocaust auf. Viele Autoren waren als Soldaten am Krieg beteiligt gewesen und mussten nun ihre eigene Rolle darin hinterfragen. Gleichzeitig wollten sich die Autoren klar vom Nationalsozialismus distanzieren. Deswegen waren Propaganda, Literaturklassiker, das Stilmittel des Rückgriffs auf die Antike, Pathos sowie stilistischer Eskapismus als literarische Feindbilder verpönt.

Die Themen der Trümmerliteratur auf einen Blick:

Trümmer, Heimkehr und Krieg Verarbeitung, aber auch Verdrängung des Kriegsgeschehens Auseinandersetzung mit der Schuldfrage Die Literatur: Wahrhaft und realistisch

Die Autoren der Trümmerliteratur verstanden das Kriegsende im Mai 1945 als "Stunde Null", sie glaubten an einen kompletten Neuanfang. Als Bruch mit dem Vorangegangenen setzen sie dazu auf eine wahre und realistische Ausdrucksweise, die zusammen mit den typischen Themen dieser Zeit vor allem in der Lyrik und Epik zum Ausdruck kam.

Die Lyrik der Trümmerliteratur

Die Lyrik ist die literarische Gattung, die sich für die Verfasser der Trümmerliteratur am ehesten dafür anbot, ihre knappen und unreflektierten Beobachtungen auszudrücken. Außerdem war die Lyrik im Gegensatz zur erzählenden Literatur der Prosa nicht von den Nationalsozialisten geprägt. Anders als du es etwa aus den sehr bildgewaltigen Gedichten des , der oder des Sturm und Drang kennst, sollte die lyrische Sprache in den Gedichten der Trümmerliteratur nichts verschleiern, sondern die Dinge direkt und ungeschönt benennen. Hier ein Beispiel von Günther Eich "Die Latrine" (1946):

Über stinkendem Graben, Papier voll Blut und Urin, umschwirrt von funkelnden Fliegen, hocke ich in den Knien

Neben der direkten Sprache zeigt das Gedicht, was für die Lyrik der Trümmerliteratur sonst noch typisch ist: Es gibt kein Reimschema und kein Metrum. Durch den bewussten Verzicht auf diese an sich typisch lyrischen Merkmale wandten sich die Verfasser der Heimkehrerliteratur gezielt gegen die Tradition des Dichtens.

Die Epik der Trümmerliteratur

Die Prosa erschien den Trümmerliteraten durch die Propagandamaschinerie des NS-Regimes abgenutzt und missbraucht. Um sich von den pathetischen und ideologisch aufgeladenen Werken der nationalsozialistischen Literatur abzugrenzen, bot sich den Autoren und Autorinnen vor allem die Kurzgeschichte als epische Form des Erzählens an. Inspiriert von der amerikanischen Short Story war sie genau das, was den Verfassern wichtig war: Sie ist eine literarische Kurzform, die sprachlich einfach und sachlich gehalten ist.

Die Dramatik der Trümmerliteratur

Auch wenn es dramatische Stoffe gab, die durchaus auch aufgeführt wurden, spielt das Drama in der Trümmerliteratur bloß eine untergeordnete Rolle. Nur wenige Stücke, etwa "Die Küchenuhr" (1947) von Wolfgang Borchert oder " Des Teufels General" von Carl Zuckermayer (1946) erreichten ein breites Publikum. Typisch für die dramatischen Werke dieser Zeit ist aber ebenfalls das Erleben des Krieges sowie die ungeschönte Realität der Nachkriegszeit.

Kahlschlagliteratur

Eine thematisch ähnliche Nebenströmung der Trümmerliteratur ist die sogenannte Kahlschlagliteratur. Sie beschreibt das Erleben der Kriegs- und Nachkriegszeit aus der Sicht der "kleinen" Leute. Auch hier war es das Ziel, die von der nationalsozialistischen Ideologie missbrauchten Sprache durch Verknappung, also Kahlschlag, zu reinigen. Wie die Trümmerliteratur so betont auch die Kahlschlagliteratur den magischen Realismus. Das bedeutet, dass die Literatur dabei helfen sollte, das Vergangene zu verarbeiten und die Zukunft neu aufzubauen.

Wichtige Autoren und Werke

Wolfgang Borchert (1921-1947), zum Beispiel "Nachts schlafen die Ratten noch" oder "Das Brot" Günter Eich (1907-1972), zum Beispiel "Latrine" oder "Züge im Nebel" Heinrich Böll (1917-1985), zum Beispiel "Der Mann mit den Messern", "Wo warst du, Adam?" oder "Bekenntnis zur Trümmerliteratur" Erich Kästner (1899-1974), zum Beispiel "Die Schaubude" Walter Kolbenhoff (1908-1993), zum Beispiel "Heimkehr in die Fremde" oder "Von unserem Fleisch und Blut" Arno Schmidt (1914-1979), zum Beispiel "Leviathan"

Tragend für das literarische Schaffen dieser Zeit war die Gruppe 47. Bei diesem Schriftstellertreffen, zu dem Hans Werner Richter von 1947 bis 1967 einlud, hatten Autoren und Autorinnen die Möglichkeit, sich ihre Texte gegenseitig vorzulesen und Kritik zu üben. Außerdem wurden junge, unbekannte Autoren und Autorinnen gefördert. Ab 1950 wurde zudem der "Preis der Gruppe 47" vergeben. Er ermöglichte seinen Preisträgern, zu denen etwa Heinrich Böll, Günter Grass und Ingeborg Bachmann gehörten, eine steile Karriere. In der Anfangszeit war die Gruppe 47 aber vor allem eine Plattform zur Erneuerung der deutschen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Ende der Trümmerliteratur

Im Gegensatz zu vielen anderen Literaturepochen und -strömungen beschränkt sich die Phase der Trümmerliteratur auf einen vergleichsweise kurzen Zeitraum. Mit dem fortschreitenden Wiederaufbau der Städte und der zunehmenden Distanz zum Kriegsgeschehen trat die Trümmerliteratur auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung zu Beginn der 1950er Jahre immer weiter in den Hintergrund. Dass einige Literaten sich von ihren Werken als "Jugendsünden" distanzierten, trug ebenfalls zum Niedergang dieser literarischen Epoche bei. Einige Autoren, wie etwa die Gruppe 47, prägten aber weiterhin die Literatur der Nachkriegszeit.

Weitere Literaturepochen:
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