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In ihrem neuen Roman "Kurt" erzählt Sarah Kuttner direkt, leicht und ebenso ernsthaft von der Suche nach Familie und dem Umgang mit Trauer. Wir haben mit ihr über ihren neuen Roman gesprochen und darüber, warum man immer den Mund aufmachen sollte.
Sarah Kuttner schreibt wieder über emotionale ThemenUNICUM: Bist du auch eine so begeisterte Gärtnerin wie Lena, die Hauptfigur deines neuen Romans "Kurt"? Sarah Kuttner: Tatsächlich ja. Auch nur mit ähnlichem Google-Wissen wie meine Hauptfigur. Es ist ja nicht so, dass ich das gelernt hätte oder die letzten 20 Jahre im Garten verbracht hätte, aber ich hab seit fünf, sechs Jahren so ein kleines Wochenendgrundstück, auch im Oberhavelland, und da lernt man notgedrungen, wie man mit seinem Pflanzen umzugehen hat, wenn man will, dass die weiterhin halbwegs schön bleiben oder wenigstens überleben.
Was gefällt dir an der Gartenarbeit? Einfach die körperliche Arbeit. Ich war schon immer so ein bisschen ein Naturkind, bin als Kind oft in der Schorfheide gewesen an den Wochenenden und in den Ferien. Mir wurde schon sehr früh beigebracht, was ein Baum ist und welche Pilze man sammeln darf und welche nicht. Ich mag das gerne, dass man dann so richtig was zu tun hat, man sich ein bisschen dreckig macht und das körperlich anstrengend ist.
Dein neuer Roman erzählt von Verlust, Familie und der Frage nach Zugehörigkeit. Wie viel aus seinem privaten Erfahrungshorizont bringt man als Autorin eigentlich in seine Werke ein? Von dem privaten Erfahrungshorizont sicherlich viel, aber das bedeutet nicht, dass man dann seine eigene Geschichte aufschreibt. Ich kann im Grunde auch exakt das Gegenteil von meinem Leben in so ein Buch packen und trotzdem mit ganz viel Erfahrung, die ich gesammelt habe, arbeiten. Ich sorge schon immer dafür, dass die Geschichten, die ich schreibe, nie meine Geschichten sind, und dennoch habe ich genug Ahnung vom Leben und den Themen, über die ich schreibe, um darüber halbwegs fundiert schreiben zu können. Oder zumindest nachvollziehbar. Es sind ja eh alles emotionale Themen. Da geht es ja nicht so sehr um Recherche.
"Ich schreibe Sachen gerne so, wie ich sie sage"Du bist ja bekannt dafür, dass du viel redest. Klappt das Schreiben auch so flüssig? Ja sehr. Ich glaube, weil ich einfach so schreibe wie ich rede, was daran liegt, dass ich es nicht anders kann, aber auch nicht so richtig anders will. Ich mag das nicht so gerne, wenn Sätze so wahnsinnig schön poliert und glatt geschliffen sind. Ich lese Sachen gerne so, wie ich sie höre und ich schreibe Sachen gerne so, wie ich sie sage. Insofern geht mir das Schreiben tatsächlich recht leicht von der Hand. Ich mag das gerne, weil dann die Arbeit daran Spaß macht. Gleichzeitig verunsichert mich das auch immer ein bisschen, weil man denkt: "Müssen gute Sachen nicht super super anstrengend sein und muss man dafür nicht jeden Tag jede Minute kämpfen?" Ich muss halt nicht groß kämpfen, aber das bedeutet vielleicht auch nicht, dass das Produkt nicht trotzdem gut sein kann.
Woher nimmst du die Ideen für deine Geschichten? Die kommen einfach so. Es ist ja nicht so, dass es so ne Art Ideensupermarkt gibt, wo man reingeht und sich mitnimmt, was man kriegt, sondern irgendwann denkt man: "Ah, ich möchte gerne mal versuchen darüber was zu schreiben." Ich kann den Hergang nicht so richtig erklären, weil es in dem Sinne keinen gibt. Ich will schon über Dinge schreiben, mit denen ich mich ein bisschen auskenne, oder die mich sehr interessieren, an denen ich rumdenken will. So ein Buch zu schreiben ist auch so ein bisschen auf Themen rumdenken und den Leser an diesen Gedanken teilhaben lassen. Ganz viel passiert bei mir wirklich auch beim Schreiben, dass ich denke "Oh, jetzt haben wir diese Situation - welche Arten gibt es, mit dieser Situation umzugehen?" Jede der Figuren bekommt dann eine dieser Arten und dann wird umgegangen.
Was bist du denn für ein Schreibtyp? Setzt du dich ganz konzentriert an den Schreibtisch oder lümmelst du dich lieber auf die Couch? Nö, ich setze mich schon an den Schreibtisch und schreibe. Manchmal sitze ich auch in fremden Büros und schreibe, wenn ich zu Hause zu leicht abzulenken bin. Manchmal schreibe ich im Bett, aber eigentlich schon ganz klassisch Computer nehmen, hinsetzen, Kaffee und losschreiben.
Die Reaktionen auf deine Romane waren bisher ja immer sehr gespalten. Die einen finden sie super, die anderen nicht besonders originell. Wie gehst du damit um? Ich habe gar nicht so richtig ein Gespür dafür, wie die Leute meine Bücher finden. Ich geh einfach davon aus: Wer das mag, der kauft es und dann ist gut. Ich les' mir Rezensionen dazu kaum durch. Ich mache am Anfang von einem neuen Projekt immer so ein bisschen den Fehler und will einmal wissen, wie die Leute das finden und dann liest man natürlich - was auch total Sinn macht - irgendwann auch was nicht Gutes. Ich merke dann, dass mich das verunsichert und traurig macht und dann denke ich "Muss ich ja gar nicht machen." Ich kann es ja eh nicht mehr ändern, das Buch ist draußen und die Leute werden es finden, wie sie wollen. Also sollen sie's finden, wie sie wollen. Das ist ja auch das Recht von jedem.
Merkst du denn, dass dich sowas beim Schreiben doch irgendwie beeinflusst? Nee. Das ist ja genau das, was ich verhindern will. Ich will nicht beim Schreiben an den Leser denken. Oder schlimmer noch an den Journalisten. Das macht keinen Sinn, dann werden das keine guten Bücher, keine echten Bücher mehr. Ich habe mir für dieses Buch ja auch nicht das allereinfachste Thema ausgesucht - wenn ich da an die Rezensenten denken oder daran, dass Leute das vielleicht nicht lesen wollen, weil ein Kind stirbt... Das ist mir schon passiert, dass Leute sagen: "Ich hab' dich lieb, aber ich kann das nicht lesen. Das macht mir zu viel Angst." Ich will so ein Buch nicht für andere Leute schreiben.
Sarah Kuttner über "Kurt": "Ich dachte einfach, ich schreib' dieses Buch"Was macht "Kurt" denn für dich aus?" Das kann ich nicht gut beschreiben. Ich habe das Buch ja geschrieben. Ich dachte einfach, ich schreib' dieses Buch und diese Geschichte und darin spielen diese Leute mit. Ich mache mir diese Art von Gedanken nicht. Das ist so ne ganz klassische Journalistendenkweise: "Was macht dieses Buch aus? Wie kann man das zusammenfassen?" Ich muss das ja nicht zusammenfassen, ich habe ja über mehrere hundert Seiten Platz. Ich tu mich wahnsinnig schwer, da so einen Außenblick drauf zu richten, weil ich halt mitten drin stecke.
Wenn du so davon erzählst, hat man das Gefühl von so einer Leichtigkeit, mit der du das alles angehst. Aber wahrscheinlich hast du im Schreibprozess doch auch mal Momente, in denen du nicht weiter kommst. Es hat grundsätzlich tatsächlich diese Leichtigkeit. Natürlich gibt es Momente, in denen ich nicht zu Potte komme. Oder es gibt kleine Stellen, an denen ich einfach festhänge. Aber ich habe nie großartigeSchreibblockaden. Und wenn man mal festhängt, dann ist das einfach ein Zeichen, denke ich. Dann lässt man es kurz liegen und macht ne Woche später weiter. Aber grundsätzlich hat es schon eher eine Leichtigkeit als keine Leichtigkeit. Ich mag das auch gerne, sonst würde es mir keinen Spaß machen.
Hast du denn immer schon geschrieben oder kam das erst später? Ich glaube, ich habe das theoretisch immer drauf gehabt, aber in der Schule nie oder Geschichten geschrieben, wenn man's nicht machen musste. Da ich ja gut sprechen kann, ist das für mich einfach nur eine weitere Form dessen. Ich schreibe ja auch so wie ich spreche. Also Sarah Kuttner war jetzt nicht das Mäuschen, das in der Schule viel selbst verfasst hat. Das kam tatsächlich erst sehr viel später und eher zufällig.
"Ich hatte nicht den ultimativen Plan"Du bist nach der Schule in London gewesen, hast dort beim Spiegel gearbeitet und Geld mit Babysitten verdient. Wie wichtig sind Auslandserfahrungen? Also für mich war das tatsächlich sehr wichtig und relevant, aber ich kann das jetzt auch nicht verallgemeinern. Es war für mich insofern wichtig, als dass das in einer Zeit war, in der ich nicht so richtig wusste, was ich machen will mit meinem Leben. Ich hatte gerade das Abi gemacht und wollte nicht studieren, wusste auch nicht so richtig, was ich machen will. Das war eher so eine Art Notlösung, weil das einfach eine sehr gute Zeit im Leben ist, um nochmal wegzugehen. Später wird man irgendwie sesshafter und möchte irgendwie lieber zuhause bleiben. Ich war in immer sehr gut, hatte Englisch Leistungskurs, aber ich habe dort die Sprache im Alltag nochmal vertieft - was gerade bei Englisch schon wahnsinnig wichtig ist. Und ich bin wirklich erwachsener geworden dadurch, weil das die ersten Momente waren, in denen ich mir selber einen Job und eineWohnung suchen musste, selber Geld verdienen musste.
Und zurück in Deutschland wusstest du, was du machen willst? Hast du darüber nachgedacht, eine Ausbildung oder doch ein Studium zu machen? Nö, ich glaube, das war eher für die allgemeine Überlebensfähigkeit wichtig dahin zu ziehen und allein in einer fremden Stadt zu sein. Ich bin da nicht rausgekommen und wusste, dass ich zum Musikfernsehen will oder so. Gar nicht. Ich habe dann ja auch in Berlin erstmal ein gemacht. Ich hatte nicht den ultimativen Plan. Man lernt eher so den Alltag außerhalb der normalen Komfortzone von zuhause. Da sind eben keine Freunde und keine Familie und man muss sein Leben ganz allein hinkriegen. Das war so das Wichtigste, was ich da gelernt habe.
Wenn man sich deinen Lebenslauf so anguckt, sieht es so aus, als hättest du das Glück, dass du immer machen konntest, worauf du Bock hattest. Ich bin immer nicht sicher, ob das Glück ist oder nicht. Ich fühle mich glücklich, weil so mein beruflicher Werdegang ist, aber all das wäre sicherlich nicht möglich gewesen, wenn ich nicht ein grundsätzliches Handwerk beherrscht hätte. Du lässt ja jemanden auch nur dann machen, was er will, wenn du ihm vertraust, dass er weiß, was er da macht. Und gleichzeitig habe ich mir das auch erkämpft. Es ist nicht so, dass die Leute gesagt haben "Ja, Frau Kuttner, machen sie einfach, was sie wollen". Ich glaube, ich gelte als nicht so einfach zum mit mir Arbeiten, weil ich eben wirklich sehr genau weiß, was ich will und auch weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Ich bin auch sehr direkt, was die Leute immer ein bisschen verstört, was glaube ich eine gute und eine schlechte Eigenschaft ist. Aber ich sag Bescheid und mach den Mund auf. Das sorgt dafür, dass man gewisse Sachen dann auch machen kann, weil sie einem zugetraut werden.
"Man muss sich trauen, zu formulieren, was man möchte"Das ist eine total wichtige Eigenschaft, für die vielen aber das Selbstbewusstsein fehlt. Hast du da einen Tipp, wie man entschlossener auftreten und seine Wünsche durchsetzen kann? Es ist ja ein schmaler Grad zwischen durchsetzen und äußern. Durchsetzen hat immer sowas Gewaltvolles, gegen den Willen von jemand anderem. Und Selbstbewusstsein kann man jetzt auch nicht anschalten. Man muss ja auch nicht mal wirklich selbstbewusst sein. Man muss sich nur trauen, zumindest zu formulieren, was man möchte. Das trauen sich schon viele Leute nicht. Das bedeutet natürlich nicht automatisch, dass man auch bekommt, was man möchte, aber der erste Schritt wäre es, es zu formulieren und zu gucken, wie weit man damit kommt. Das würde ich jedem raten. Man muss dabei sehr wohl auch auf den Ton achten, aber einfach mal formulieren, was man gerne möchte und sich überlegen, was man tatsächlich kann, was man bereit ist, in Kauf zu nehmen und welche Kompromisse man eingehen würde - es schadet nicht, sich das vorher schon zu überlegen, damit man einfach besser weiß, wo man ist, was man kann, was man will. Ich finde, man sollte immer den Mund aufmachen. Es kommt sehr auf den Ton an, aber Mund aufmachen schadet nie.
Moderieren oder schreiben - was macht dir mehr Spaß? Beides zu den Zeitpunkten, in denen ich es brauche. Müsste ich mich für eines von beiden entschieden, wäre es vermutlich trotzdem das Moderieren, denn das mache ich länger, das mache ich mit mehr Sicherheit. Das habe ich länger allein durchs Machen gelernt. Aber ich muss mich ja nicht entscheiden und kann beides machen und das ist schon ganz schön toll an meinem Leben.
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VÖ: 13.03.2019
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