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Wenn der Neubau schimmelt

70 000 Hamburger Haushalte sind nach Expertenschätzungen von dem Pilz betroffen - und es werden gerade durch Fensteraustausch mehr. Sogar neue Wohnungen haben erhebliche Schäden Von Elena Ochoa Lamiño

Groß, alt und schwer - der dunkle Holzkleiderschrank gefällt nicht mehr und soll durch einen neuen und schöneren ersetzt werden. Doch als das gute, alte Stück von der Wand abgerückt wird, erscheint ein noch unschöneres Bild - Schimmelflecken. Und das ausgerechnet in einem Neubau.

Spätestens jetzt beginnen die Streitereien mit dem Vermieter. Beim Neubau wurde gepfuscht. Oder die Sanierung war schlecht, heißt es. Doch die Frage, was für die unerwartete Schimmelbildung verantwortlich ist, kann nicht immer gleich geklärt werden. Fest steht nur: Schimmel gefährdet die Gesundheit. Der Pilz wächst und vermehrt sich über Sporen, die sie an die Luft abgeben. Atmet man eine große Menge davon ein, können dauerhaft Schäden entstehen. "Die gesundheitlichen Probleme erscheinen immer erst später", so die Ärztekammer. Dann können sich aber Allergien und Asthma entwickeln und im schlimmsten Fall innere Organe Schäden davontragen. Besonders gefährdet sind Menschen mit einem schwachen Immunsystem, Allergiker und Kinder.

Meike Ried vom Regionalverband Umweltberatung Nord (R.U.N.) kennt das Problem: "Immer häufiger kommen Anfragen von Verbrauchern zu Schimmelbefall im Wohnraum." Dabei geht es nicht nur um die Beseitigung, sondern auch um rechtlichen oder ärztlichen Beistand. Deshalb gründete sie mit Roland Braun, Sachverständiger beim R.U.N., das "Netzwerk Schimmelberatung Hamburg". Der Verbund besteht aus zwölf Partnern, darunter der Mieterverein, die Ärztekammer und die Verbraucherzentrale, die qualifizierte Ansprechpartner vermitteln können.

Die Zahlen der betroffenen Wohnungen steigen stetig. Wie viele Haushalte mit Schimmel befallen sind, ist nicht ganz klar. Eine bundesweite Wohnungsstudie, die von der Uniklinik Jena zusammen mit der TU Berlin und TU Dresden durchgeführt wurde, gibt erstmals repräsentative Zahlen. In Hamburg sind schätzungsweise rund zehn Prozent der etwa 700 000 Haushalte von Schimmel befallen - Alt- wie Neubauten. Bei etwa 20 Prozent sind sichtbare Feuchtigkeitsschäden und ein hohes Risiko auf verdeckten Schimmel vorhanden. Viele Firmen bieten Messungen auf Sporen an, um den Befall zu klären. Doch Braun rät davon ab: "Diese Messungen machen wenig Sinn. Die Berater wollen sie nur verkaufen." Zwar könne dann die Sporendichte in der Luft nachgewiesen werden, aber wo und wie man den Befall beseitigt, ist immer noch nicht geklärt.

Für Feuchtigkeit in einer Wohnung lassen sich grob zwei Ursachen unterscheiden: Bauschäden und Kondensfeuchte. Diese betrifft Altbauten ebenso wie Neubauten. Nur treten sie jeweils in einer anderen Kombination auf, erzählt Ried. Bei den Altbauten sind es Risse im Mauerwerk oder zerbrochene Dachziegel, die Feuchtigkeit einlassen. Doch häufig ist eine Sanierung Mitverursacher. Die Studie "Um Schimmels Willen" belegt, dass sich in den vergangenen 20 Jahren die Bauschäden durch Schimmel in modernisierten Altbauten versechsfacht haben. Insbesondere ein Fensteraustausch führte in 13 Prozent der Fälle offenbar erst zu Schimmelpilzbefall. Der Grund dafür: Ritzen und Fugen, durch die ein Luftaustausch stattgefunden hat, sind nun dicht. Zwar hilft dieser Umstand, Energie zu sparen, doch feuchte Luft kann hier nun nicht mehr entweichen. Das Fenster ist nicht mehr die kälteste Stelle im Zimmer, dies sind nun die Außenwände. Denn die werden häufig nicht zusätzlich gedämmt. Steht nun ein Sofa oder ein großer, geschlossener Schrank davor, wärmt auch die Heizung nicht. An dieser kühlen Stelle setzt sich die Kondensfeuchte direkt an der Tapete oder der Wand ab - ungesehen. Ein Nährboden für Schimmelpilze.

Auch ein Neubau hat seine Tücken. Ist etwa die Ausführung des Baus nicht richtig, wird die Dämmung nicht korrekt angebracht oder beschädigt, können Wärmebrücken entstehen, an denen die warme Luft schneller nach außen dringt. "Häufig kennen sich die Handwerker mit der neuen Methode des Dämmens noch nicht aus", erklärt Ried. Dann kann es auch hier passieren, das kalte Stellen entstehen und sich Kondensfeuchte absetzt.

Das größere Problem aber ist die Neubaufeuchte. "In einem Massivbau-Einfamilienhaus sind etwa 10 000 Liter Wasser in den Wänden und Fußböden, durch Beton, Estrich und Wandfarbe ", sagt Hans-Jürgen Peter, Architekt der Stadtentwicklungsfirma überNormalNull. Ebenso kann viel Regen während der Bauphase in den Wänden und Böden zurückbleiben. Diese Feuchtigkeit muss erst einmal entweichen, doch wird häufig nicht lange genug gewartet mit einem Erstbezug, bis der Bau komplett trocken ist. Die Dämmung verhindert zusätzlich, dass ein Luftaustausch durch Ritzen und Fugen stattfinden kann, sei es nun feuchte, warme oder kalte Luft.

Fehler beim Bau sind allerdings nur die eine Seite der Medaille. Das Verhalten der Nutzer spielt hier ebenso eine erhebliche Rolle. Während Architekten und Umwelttechniker sich darum bemühen, Häuser und Wohnungen immer umweltfreundlicher, energiesparender und technisch moderner zu gestalten, scheinen die Bewohner auf der Stelle zu treten. Sie leben in sanierten Altbauten, gut gedämmten Neubauten oder in Passiv-Häusern, die so dicht sind, dass dort keine Luft mehr zwischenpasst.

Was fehlt, ist das Wissen über den Umgang mit modernisierten Gebäuden. "Man bräuchte eine Gebrauchsanleitung. Für einen Toaster gibt es doch auch eine 40-seitige Anleitung. Für ein neues Haus nicht", erklärt Peter. Wer einen Neubau bezieht, muss diesen erst ein bis zwei Jahre lang Trockenwohnen. Die Baufeuchte muss aus den Wänden und Fußböden entweichen, damit sie ihren vollen Wärmeschutz leisten können. Es muss viel geheizt werden und mindestens dreimal die Stunde stoßgelüftet, das heißt: ein oder mehrere Fenster für ein paar Minuten offen lassen. Selbst ein Passiv-Haus-Besitzer muss in der Zeit mit höheren Energiekosten rechnen. Ähnliches gilt auch für Besitzer neuer Fenster in einem Altbau. Das Lüftungsverhalten muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Hier reicht es, fünf bis sechs Mal am Tag stoßzulüften - doch da es immer weniger Haushalte mit "klassischen Hausfrauen" gibt, die früher auch für den Luftaustausch sorgten, unterbleibt das häufig. Während jetzt gearbeitet wird, blüht daheim der Schimmel.

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