Inzwischen werden Gentests sogar zur Partnersuche genutzt. Eine US-amerikanische App namens Pheramor kann die Kompatibilität zweier Menschen bewerten.
Ein Röhrchen mit Speichel in einem Briefumschlag - mehr braucht es nicht, um das wertvollste seines Körpers analysieren zu lassen: das eigene Erbgut. Vor 16 Jahren wurde das erste Genom eines Menschen vollständig entschlüsselt. Die Kosten betrugen damals rund drei Milliarden Euro. Mittlerweile gibt es zahlreiche Gentestanbieter im Internet, die Teile der DNA analysieren - für weniger als 100 Euro.
Die kalifornische Biotechnologiefirma 23 and Me ist nur eine davon. Kunden werden durch ihre Speichelprobe in einem Röhrchen automatisch Teil einer riesigen genetischen Datenbank. Im Labor von 23 and Me wird die DNA auf defekte Gene untersucht.
Diese sollen Aufschluss über mögliche Erbkrankheiten geben. Kunden können außerdem etwas über die eigene Herkunft erfahren. Aus den Erbinformationen lässt sich ableiten, wo die Wurzeln der eigenen Familie liegen, ob sie ausgewandert ist und vieles mehr. Ab 99 Euro gleicht 23 and Me sie mit DNA-Daten anderer Menschen in der Datenbank und anthropologischen Erkenntnissen ab.
Das boomende Geschäft mit den Gentests Gentest als GeburtstagsgeschenkSelbst für die Partnersuche werden bereits Gentests angeboten. Die US-amerikanische App Pheramor bewertet etwa die genetische Kompatibilität zweier Menschen. Diese untersucht elf Gene, die für die sexuelle Anziehung verantwortlich sein sollen. Um welche Gene es sich dabei handelt, gibt die App nicht preis. Die Genanalyse im Internet ist ein lukratives Geschäft.
Die Nachfrage steigt stetig. Millionen von Menschen interessieren die Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Welche Krankheiten habe ich? Gentests werden mittlerweile sogar zum Geburtstag oder zu Weihnachten verschenkt. Dabei ist gar nicht immer klar, ob die getroffenen Aussagen überhaupt mit dem Erbgut in Verbindung gebracht werden können - oder ob Zusammenhänge hergestellt werden, die es gar nicht gibt.
Auch deswegen betrachten Datenschützer das florierende Geschäft mit den Genen mit Sorge. Die Datenweitergabe an Dritte gehöre bei vielen dieser Firmen zum Unternehmenskonzept. So ist 23 and Me eine Tochter von Google - ein Unternehmen, das schon des Öfteren von Datenschützern kritisiert wurde.
Auch der Verkauf von Daten an Pharmakonzerne sei laut Datenschützer problematisch und längst kein Geheimnis mehr. Im vergangenen Jahr bestätigte 23 and Me, dass es 300 Millionen Dollar vom britischen Arzneimittelhersteller Glaxosmithkline für die Bereitstellung von insgesamt fünf Millionen Genprofilen erhalten habe.
Mit Wattestäbchen auf Familiensuche„Wir raten von der Nutzung solcher Plattformen ab", sagt der Jurist und Datenschutzexperte Thilo Weichert. Er war mehrere Jahre Leiter der Datenschutzbehörde in Schleswig-Holstein und arbeitet aktuell bei Netzwerk Datenschutzexpertise. Weichert kritisiert das undurchsichtige Vorgehen von Gentestanbietern wie 23 and Me. Kunden hätten keine Kontrolle über ihre DNA-Daten.
Der größte aller Gentestanbieter ist Ancestry. Das Konzept: die Analyse der Herkunft und die Rekonstruktion des Familienstammbaums. Anfang Juni hat Ancestry den Big-Brother-Award in der Kategorie Biotechnik vom Verein Digitalcourage erhalten - ein Negativpreis für Datenschutz. Thilo Weichert hat die Laudatio gehalten. „Wir befürchten, dass ein riesiger Datenbestand angesammelt und ökonomisch ausgewertet wird", sagt er. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Firma steht, dass auf einer Einwilligungsgrundlage, Daten für wissenschaftliche Forschung weitergeben werden. „Die Forschungsprojekte sind nicht kontrollierbar. Man weiß nicht, welche Fragestellungen verfolgt werden, wie sicher die Daten der Kunden sind. Das ist ein großes schwarzes Loch", sagt Weichert. „Wir befürchten, dass Ancestry die Daten an Pharmakonzerne verkauft, ähnlich wie 23 and Me."
Datenweitergabe ist problematischEin weiteres Problem sei, dass nicht legale DNA-Tests mithilfe von Ancestry durchgeführt werden können. Denn die Firma überprüfe nicht, ob diejenigen, die die DNA einsenden, auch die sind, die das behaupten. Ein Vater könne etwa die DNA seines vermeintlichen Kindes einschicken. Laut Weichert sei dies ein unzulässiger Vaterschaftstest.
„Durch das Einreichen von Speichel, der eigenen Identität wird außerdem ermöglicht, dass automatisch Schlüsse auf Verwandte gezogen werden können, obwohl diese keine Probe eingereicht haben. Das ist unzulässig", sagt Weichert. Diese seien ebenfalls von der Datenerfassung und von Forschungsprojekten betroffen. Mittlerweile nutze sogar die Polizei die Informationen der Gendatenbanken von 23 and Me, Ancestry und anderen Gentestfirmen für Strafverfolgungsmaßnahmen. „Darüber werden die Betroffenen nicht hinreichend informiert", sagt Weichert. „Die Firmen müssen dringend spezielle Sicherungsmaßnahmen ergreifen."
Miniatur-Labor für DNA-AnalysenAncestry wehrt sich gegen die Vorwürfe der Datenschützer. Alexandra Rudhart, Sprecherin der Firma, sagt dem WESER-KURIER: „Die Anschuldigungen sind falsch. Wir kooperieren nicht mit Pharmaunternehmen. Wir haben nur eine einzige Forschungskooperation, und zwar mit der Universität von Utah in den USA." Bei den Forschungen gehe es um die Analyse von Migrationsbewegungen und die Verteilung genetischer Variation in Gesellschaften. Rudhart versichert, dass die zur Forschung genutzten Daten anonymisiert sind.
„Die Aussage ist interessant, kann aber kaum sein", sagt Weichert auf die Antwort von Rudhart. „Ohne eine kommerzielle Ausbeutung der DNA-Daten kann Ancestry nicht gewinnorientiert arbeiten." Alleine der Verkauf der DNA-Kits sei nicht rentabel. Die Datenschützer um Weichert stehen der Arbeit von Ancestry daher weiterhin skeptisch gegenüber.„Wir haben bereits eine Beschwerde an das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht geschickt, da sich der deutsche Sitz von Ancestry in Bayern befindet", sagt Weichert. Er hofft, dass die Behörde Ancestry verbietet, ihr Angebot in dieser Form weiter aufrechtzuerhalten.
„Andere Gentestanbieter, wie My Heritage 23 and Me unterscheiden sich qualitativ überhaupt nicht von Ancestry. Die Methoden sind stets problematisch", sagt Weichert. Er rät dazu, nicht auf Angebote im Netz zuzugreifen, auch wenn die Analyse der Herkunft und der Gesundheit ein verlockender Gedanke sei. Medizinische Gentests sollte man besser direkt beim Arzt durchführen lassen.