Elena Matera

Journalistin (Wissenschaft & Gesellschaft), Berlin

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Bremer Stahlwerk will bis 2050 klimaneutral produzieren

Rauchende Schlote und große Hochöfen prägen die Silhouette des Bremer Stahlwerks. Sie stehen für 3,5 Millionen Tonnen produzierten Rohstahl jährlich und für gut 3100 Arbeitsplätze, kurz: für den Bremer Sitz des Stahlkonzerns Arcelor-Mittal. Doch sie stehen auch für den Ausstoß von gut sechs Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) - pro Jahr. Das ist so viel, wie der Rest der Stadt ausstößt. Damit ist das Stahlwerk einer der größten CO2-Verursacher Bremens.

Ökologische und finanzielle Gründe

Das soll sich in den nächsten Jahren ändern - nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus finanziellen Gründen. Die Bremer Stahlhütte zahlt bereits heute mehrere Millionen Euro im Jahr für das CO2, das sie ausstößt. Die Kosten könnten in den nächsten Jahren nochmals steigen. Grund sind unter anderem der beschlossene Green Deal der EU-Kommission und das Klimapaket der Bundesregierung. Arcelor-Mittal, Ingaver und die Versorgungsunternehmen SWB und EWE haben daher ein gemeinsames Ziel: Das Stahlwerk soll bis 2050 klimaneutral sein. Statt auf Kohle und Erdgas wollen sie unter anderen auf grünen Wasserstoff setzen.

„Grüner Stahl aus Bremen, das ist unser Ziel", sagt Reiner Blaschek, Vorstandsvorsitzender von Arcelor-Mittal Bremen. „Dafür werden verschiedene Technologien zur schrittweisen Reduzierung des Einsatzes von Kohlenstoff als Energieträger und Reduktionsmittel untersucht und erprobt." Einer dieser alternativen Träger ist grüner Wasserstoff, der mithilfe von erneuerbaren Energien hergestellt wird. Sein Vorteil im Gegensatz zur Kohle: Bei der Verbrennung entsteht kein CO2, sondern nur Wasserdampf.

Umstellung ist eine Herausforderung

„Die Umstellung auf Wasserstoff ist technisch und finanziell eine Herausforderung", sagt Thomas Kalkau, Leiter des von der SWB betriebenen Kraftwerks Mittelsbüren, „aber wir sind überzeugt, dass wir das schaffen können." Der 50-Jährige steht in einer Maschinenhalle der zurückgebauten Blöcke 1 bis 3 im swb-Kraftwerk, ausgerüstet mit gelber Arbeitsjacke, Helm und Schutzbrille. Die Halle dient momentan als Lager, doch das könnte sich bald ändern. Kalkau steigt die Treppe hoch zur sogenannten Neun-Meter-Ebene. Dort zeigt er auf einen freien Bereich in der Mitte und sagt: „Hier könnte der Elektrolyseur stehen, der den grünen Wasserstoff herstellt."

Wie kann man sich Elektrolyseure vorstellen? „Sie werden typischerweise in Schiffscontainern verbaut und können durch ihre modulare Bauweise beliebig erweitert werden", erklärt Christian Schnülle, Umweltwissenschaftler und Physiker am Fachgebiet Resiliente Energiesysteme der Universität Bremen. Gemeinsam mit Torben Stührmann, Teamleiter des Fachgebiets, führt er das Forschungsprojekt in Kooperation mit dem Stahlwerk seit Anfang Januar. Über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren wollen sie analysieren, wie das Stahlwerk auf grünen Wasserstoff umsteigen kann. Finanziert wird das Projekt aus einem Programm zur Förderung der angewandten Umweltforschung Bremen.

Gemeinsam Ideen voranbringen

Die beiden Wissenschaftler stehen neben Thomas Kalkau in der großen Halle. Sie sind bereits das vierte Mal zu Besuch im Bremer Stahlwerk. „Es ist gut, dass wir direkt mit dem Stahlwerk zusammen arbeiten", sagt Stührmann und blickt zu Kalkau. „Gemeinsam können wir neu denken, Ideen voranbringen, Daten und Ergebnisse austauschen."

Das Ziel ihres Forschungsprojekts: Die Wasserstofftechnologie zu analysieren und zu bewerten. Wie lässt sich Wasserstoff am effizientesten speichern und transportieren? Wie viel kostet die Wasserstofferzeugung? Und wie grün ist Wasserstoff wirklich? All das wollen die Wissenschaftler versuchen zu beantworten. Aus ihren Ergebnissen erstellen sie dann einen Plan für weitere Schritte. „Wir zeigen, was man kurzfristig, mittelfristig und langfristig im Stahlwerk und im Land Bremen tun kann", sagt Schnülle. Die Ergebnisse der Studie sollen auch eine Empfehlung für die Politik und für andere Unternehmen sein.

Grauer Wasserstoff soll grün werden

„Das Fernziel ist der Wechsel zu einem klimaneutralen Stahlwerk", sagt Stührmann. Das soll Stück für Stück geschehen, anders ließe sich das Ganze auch gar nicht finanzieren. Der erste Schritt dieser Transformation setzt an der bisherigen Wasserstoffproduktion im Stahlwerk an. Bislang wurde sogenannter grauer Wasserstoff genutzt. Grau, weil er aus Erdgas hergestellt und bei der Veredlung von Stahl eingesetzt wird. Mithilfe des geplanten Elektrolyseurs soll eben jene Produktion bald grün werden. Im zweiten Schritt des Projekts sollen auch die Hochöfen klimaneutral produzieren, in dreißig Jahren möglicherweise das ganze Stahlwerk.

Wann der Elektrolyseur gebaut werden soll? „Vielleicht schon im nächsten Jahr", sagt Kalkau. Allerdings seien für die Realisierung des Projekts zwingend Fördermittel nötig. Denn ein Elektrolyseur koste gut zehn Millionen Euro. „Wir fangen erst mit einer geringen Kapazität an und stocken immer weiter auf", sagt der Werksleiter, alleine könne das Stahlwerk die Kosten nicht tragen.

Stahlbranche steckt in schwerer Krise

Als wären die hohen Kosten nicht schon Problem genug, steckt die Stahlbranche in einer schweren Krise. Die europäischen Stahlhersteller müssen die immer teurer werdenden CO2-Zertifikate zahlen. Für ausländische Hersteller gilt diese Regelung nicht. Sie können weiterhin billigen Stahl nach Europa exportieren, der dann aber oft eine schlechtere Umweltbilanz hat. Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung. Auch die Strafzölle des amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf ausländischen Stahl bedrohen das Geschäft. Laut Arcelor-Mittal sind gleiche Wettbewerbsbedingungen und klare Regelungen weltweit notwendig. Das müsse die Politik regeln. Importierter Stahl solle mit Strafzöllen belegt werden, wenn er nicht den EU-Auflagen entspreche - ein sogenannter „Grüner Grenzausgleich". Das Geld, das aus dem Zertifikate-Handel gewonnen wird, sollte laut Arcelor-Mittal dann für Investitionen zur CO2-Reduzierung genutzt werden.

Denn Investitionen für die Wasserstofftechnologie sind sehr teuer, „aber der Klimawandel wird letztendlich noch teurer sein", sagt Stührmann. Man dürfe außerdem nicht vergessen, dass grüner Wasserstoff großes Potenzial habe - nicht nur für das Stahlwerk, auch für andere Bereiche der Stadt.

Hans Georg Tschupke, Leiter der Abteilung Industrie und Innovation bei der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, sieht es als sinnvoll an, den Wasserstoff importieren zu können. „Wir haben die Häfen. Wir könnten den Wasserstoff etwa aus Südeuropa importieren", sagt Tschupke. „Als die ersten Autos gebaut wurden, gab es das Benzin auch nur in der Apotheke zu kaufen. So ist das auch mit dem Wasserstoff. Das muss sich erst alles entwickeln."

Chance für Bremen

Tschupke sieht die Wasserstofftechnologie in Bremen als Chance für die Stadt. Man könne Kerosin für Flugzeuge und Kraftstoffe für Autos aus Wasserstoff herstellen. Auch Schiffe könnten in Zukunft mit Wasserstoff angetrieben werde. Das Projekt im Bremer Stahlwerk sei daher keine Insellösung, „wir wollen damit eine breite Transformation erzielen", sagt Tschupke.

Nicht nur das Stahlwerk in Bremen, in ganz Deutschland und Europa investieren Industrien bereits in die Wasserstofftechnologie, so auch das Stahlwerk in Hamburg. „Die Projekte in diesen Städten und Ländern können voneinander lernen", sagt Stührmann, „wir brauchen da auf jeden Fall einen internationalen Austausch." Für den Wissenschaftler ist es ein gutes Zeichen, dass es in dieser Hinsicht endlich vorangeht. Stahl ist zu 100 Prozent recycelbar, zusammen mit der Wasserstofftechnologie könnten die Stahlwerke in Deutschland in Zukunft komplett grün produzieren.

Wirtschaft und Wissenschaft sind bereits weit

Stührmann ist der Meinung, dass die Wirtschaft und die Wissenschaft bereits weiter sind als die Politik, das zeige auch die enge Zusammenarbeit mit dem Bremer Stahlwerk. „Wir sind eh schon spät dran. Die aktuellen Prozesse hätten schon vor fünf oder zehn Jahren laufen sollen."

Stührmann ist Vater, Schnülle wird es demnächst. Für die beiden Wissenschaftler steht auch aus diesem Grund fest: Sie wollen eine nachhaltigere Zukunft schaffen, auch für ihre Kinder. „Wenn das Stahlwerk klimaneutral werden könnte, wäre das ein großer Schritt nach vorne", sagt Stührmann. Ähnlich sieht es auch Kalkau, er hat vier Kinder. „Ich habe diese Verantwortung für ihre Zukunft", sagt er. „Es ist gut, dass wir gemeinsam gegen den Klimawandel angehen."

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