27. Dezember 2015 - 18:35 Uhr
PanoramaHopfen und Malz sollten die einzigen Zutaten für Bier sein. Aber immer mehr Menschen brauen selbst und umgehen das Reinheitsgebot.
Essen. Es riecht nach Hopfen im Hausflur. Das herbe Aroma durchflutet das mehrstöckige Gebäude im Essener Stadtteil Rüttenscheid, in dem Malte Löpmann wohnt. Wer eintritt, denkt, er komme in eine Brauerei. Und das stimmt. Denn Löpmann braut zu Hause Bier. Auf dem Herd. Neben Wasser, Malz, Hopfen und Hefe braucht er kaum mehr als zwei Edelstahltöpfe, einen Läuterbottich - um das Malz herauszufiltern - und einen Schlauch. Und Zeit. Denn ein Brautag dauert sechs bis acht Stunden. Anschließend muss das Gebräu noch wochenlang stehen und reifen. Der 39 Jahre alte Softwaredesigner braut seit knapp einem Jahr selbst. „Alle sechs bis acht Wochen versuche ich einen Brautag einzulegen", sagt er.
Craft-Beer-Bewegung kommt aus den USASelbstbrauen liegt im Trend. Es ist Teil der Craft-Beer-Bewegung, die seit einigen Jahren vor allem aus den USA zu uns herüberschwappt. Craft bedeutet Handwerk. Und darum geht es. Bier soll kein Industrieprodukt sein, sondern von Hand hergestellt. In kleinen Brauereien, mit hochwertigen Zutaten und gerne auch mit Geschmackssorten abseits des Massengeschmacks.
Für den Brauerbund ist jedes deutsche Bier Handwerksbier. Zum einen weil die US-Definition von Craft Beer Produktionsmengen beinhaltet, die in Deutschland auch die ganz Großen nicht überschreiten. Zum anderen seien alle Biere hier traditionell handwerklich gebraut.
Craft-Beer-Freunde sehen das natürlich anders. Sie bemängeln vor allem die Einheitlichkeit der Biere. So auch Diplom-Braumeister und Biersommelier Gunnar Martens: „Der Markt wird zu 60 bis 70 Prozent von Pils dominiert, und die schmecken alle sehr ähnlich. Die sollen eben den Massengeschmack treffen." Wer etwas Individuelles haben wolle, etwas, das man mit kulinarischem Genuss trinken könne, müsse mehr Geld für Biere aus kleinen Brauereien investieren oder selber brauen.
Martens gibt seit zehn Jahren Brauseminare. Anfangs waren es zwei im Jahr, heute zwei im Monat. „Früher wollte einer von zehn Teilnehmern danach selbst brauen, heute sind es zwei Drittel." Martens geht großzügig von 50 000 Hobbybrauern in Deutschland aus. Pascal Collé vom Verein der Haus- und Hobbybrauer (VHD) schätzt die Zahl auf 4000. Sein Verein hatte im vorigen Jahr 535 Mitglieder. Daneben gibt es zahlreiche Internet-Foren.
Aromatische Sorten haben es auf dem deutschen Markt schwerNicht nur das Interesse am Selbstbrauen steigt - auch die Kauflust nimmt zu. Der Brauerbund geht zwar nur von einem Marktanteil von 0,9 Prozent aus. Die zum Teil hocharomatischen Sorten hätten es schwer auf dem deutschen Markt, sagt Marc Oliver Holzhuhn, der Sprecher des Bunds. Trotzdem machen in vielen Großstädten Craft-Beer-Kneipen auf. Auch Getränkehändler nehmen zunehmend solche Biere ins Sortiment auf. Thorsten Ulbrich (41) bestätigt das Potenzial: Er vertreibt Craft Beer in Wuppertal unter dem Namen „Craft Beer Kiosk" und eröffnet Anfang 2016 seinen ersten Laden. „Das Interesse ist groß, und zwar nicht nur bei den bärtigen Hipstern, sondern in allen Gesellschaftsschichten." Die Menschen würden wieder mehr Wert auf hochwertige Lebensmittel legen - auch beim Bier.
Dabei muss nicht einmal das Reinheitsgebot befolgt werden. Craft-Biere gibt es mit vielen Zusätzen. Malte Löpmann hat etwa schon Orangenschalen, Zimt und Koriander benutzt. Auch Himbeeren oder Haferflocken sind für ihn kein Tabu. Auch Ulbrich ist kein Freund des Reinheitsgebots: „Bier kann viel mehr Spaß machen, wenn man sich davon frei macht."
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