1 Abo und 13 Abonnenten
Artikel

Filmen und sterben lassen

Aus Angst vor der Chefin abgestürzt: Die Äthiopierin im Krankenhaus.

Der menschenverachtende Umgang einer reichen kuwaitischen Hausherrin mit ihrem äthiopischen Dienstmädchen sorgt für Empörung.


Die blanke Panik spricht aus den Augen des äthiopischen Hausmädchens, das sich mit nur einer Hand von außen an der Balkonfestung festkrallt, sieben Stockwerke über dem Erdboden. Sie blickt nach unten, ruft: "Halt mich fest, halt mich fest!" Doch niemand eilt ihr zu Hilfe, stattdessen wird sie von ihrer kuwaitischen Chefin gefilmt. Diese sagt auf Arabisch nur: "Komm doch her, du Verrückte!" Dann fällt die Frau, die Chefin hält weiter drauf, geht sogar mit, als wäre es ein routinierter Live-Stunt und kein Menschenleben, welches gerade unmittelbar bedroht ist. Dann ist ein lauter Aufprall zu hören. Zusammengekrümmt liegt das Mädchen auf dem Dach eines Nebengebäudes. Wie durch ein Wunder hat es den Sturz überlebt.

Dieses erst wenige Tage alte, zwölf Sekunden kurze Video aus Kuwait kursierte erst auf Twitter unter dem arabischen Hashtag "Der Sturz der Äthiopierin" und wurde dann von zahlreichen Nachrichtenportalen aufgegriffen. Anfangs hieß es auf einigen arabischen Seiten, etwa in Saudi-Arabien, dass das Hausmädchen Selbstmord begehen wollte - ohne dabei die Quellen für diese Annahme zu nennen. Doch die Frau überlebte den Sturz und meldete sich nun aus dem Krankenhaus zu Wort. Einen Selbstmordversuch bestritt die Äthiopierin, die seit mehreren Jahren im Golfemirat arbeitet. In einem Video erzählt sie, wie es zu dem Vorfall kam: Sie sei ins Bad geflüchtet - ihre Chefin habe sie umbringen wollen. Als die Frau immer näher kam, sei sie vor lauter Panik aus dem Fenster geklettert. Anschließend habe sie sich bei dem Sturz den linken Arm gebrochen.

Die Chefin wurde jetzt wegen unterlassener Hilfeleistung festgenommen, schon steht sie vor Gericht.

Die kuwaitische Zeitung Al-Anba schreibt nun, die Hausherrin sagte aus, sie habe die Szene gefilmt, um später ein Beweismittel zu haben, dass das Mädchen und nicht sie die Schuld an dem Absturz trage. Auch habe sie nur deshalb nicht geholfen, weil sie das Gewicht ihrer Angestellten niemals hätte stemmen können. "Ich hatte Angst, dass sie mich mit in den Tod ziehen wird."

Fälle wie dieser sind keine Seltenheit in Kuwait. "Wenn das keine Debatte über unseren Umgang mit Dienstpersonal auslöst, dann weiß ich nicht was sonst", sagt die Journalistin Jenan Moussa. Etwa 70 Prozent der vier Millionen Einwohner sind Arbeitsmigranten in dem Land. Etwa 600 000 von ihnen arbeiten als Dienstpersonal, meist stammen sie aus asiatischen Ländern. Die Kuwaiter leben wesentlich privilegierter als ihre Angestellten, doch der Umgang der reichen Hausherren mit ihrem schlecht bezahlten Personal ist meist alles andere als menschenfreundlich. Seit Jahren berichtet Human Rights Watch über Misshandlungen, von denen ehemalige Bedienstete berichten. Jährlich fliehen Hunderte Hausangestellte und suchen Hilfe bei ihren jeweiligen Botschaften. Auch die Äthiopierin aus dem Video soll Polizeiberichten zufolge bereits 2014 vor einer ehemaligen Arbeitgeberin geflohen sein, die jetzige Chefin habe sie von einem illegalen Rekrutierungsbüro für Dienstpersonal angeworben. Dass die Kuwaiterin sich nun vor Gericht verantworten muss, zeigt den Druck, der durch die sozialen Netzwerke in letzter Zeit auf die Behörden entstanden ist. Früher wurden ähnliche Fälle nicht selten still unter den Teppich gekehrt.

Das Arbeitsverhältnis in den Golfstaaten zwischen Bürgern und Migranten ist als "Kafala"-System bekannt. Menschenrechtler kritisieren es als moderne Sklaverei. Der Einheimische, "Kafil" genannt, soll für den Arbeitnehmer offiziell "bürgen", kann damit aber letztlich auch über ihn bestimmen. So müssen die Bediensteten ihre Reisepässe abgeben und können weder das Land verlassen noch ihren Job ohne Weiteres wechseln. Freizeit oder gar Urlaub werden ihnen kaum gewährt.

Immerhin: Seit Juli 2016 haben Arbeitsmigranten in Kuwait das Recht auf einen Mindestlohn. Mindestens 180 Euro im Monat sollen sie bekommen, wie Al-Anbaa berichtet. Des Weiteren beriet ein Regierungskomitee erst im Februar über eine mögliche Änderung des Kafala-Systems im Golfemirat. Vorbild soll die Arbeitsreform in Katar sein. Doch die wird von Kritikern nur als oberflächliche, folgenlose Umbenennung eines alten, ausbeuterischen Systems angesehen.

Zum Original