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Katar - Sklavensystem light

Gastarbeiter aus Sri Lanka vor einem Hotel in Doha. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Das "Kafala"-System in den arabischen Golfländern war lange Zeit als Überbleibsel der Sklaverei verschrieen. Die Abschaffung dieser umstrittenen Praxis bezeichnete der katarische Arbeitsminister Issa bin Saad al-Dschafali al-Nuaimi jetzt als wichtigen Schritt, um die Rechte der Arbeiter im Emirat zu verbessern. Ein neues System soll deren prekäre Lage verbessern.

Die Reform hat ihren Grund in dem internationalen Druck, der weltweit auf dem Emirat lastet, das 2022 die Fußballweltmeisterschaft ausrichten will. Tausende Arbeiter kamen beim Bau der acht neuen Stadien ums Leben.

Erst vergangene Woche hatte der niederländische Gewerkschaftsbund FNV den Fußball-Weltverband Fifa wegen der schlechten Arbeitsbedingungen beim Bau der WM-Spielstätten verklagt. Auch Fifa-Großsponsoren, wie Coca-Cola und Visa, machten Druck auf den Fußball-Weltverband.


Aufatmen können die 2,1 Millionen Arbeitsmigranten in Katar trotzdem nicht, denn der Umgang mit ausländischen Minderheiten basiert auf einer tiefsitzenden Furcht der Golfaraber: Unter keinen Umständen wollen sie die Kontrolle über die ausländischen Arbeiter verlieren. Das kleine Emirat auf der arabischen Halbinsel hat 2,4 Millionen Einwohner, davon sind 2,1 Millionen Ausländer aus Südostasien und arabischen Ländern. Die etwa zwölf Prozent der Katarer arbeiten vor allem in Regierungsbehörden, niedrig qualifizierte Jobs werden Ausländern überlassen.

Bislang sorgte das "Kafala"-System dafür, dass diese Rangordnung eingehalten wird: Ein Einheimischer, "Kafil" genannt, besorgt den arbeitsuchenden Ausländern das nötige Einreisevisum. Die Ausländer, ("Makful"), sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Der Fremdarbeiter musste bisher seinen Pass abgeben und durfte seinen Job nicht wechseln. Häufig verlangten die Einheimischen hohe Ablösesummen, wenn Angestellte unzufrieden waren oder misshandelt wurden. Besonders schlimm traf es niedrig qualifizierte Arbeiter. Diese Ungerechtigkeiten wären mit der Abschaffung des "Kafala"-Systems aber nicht zu Ende. Das alte Denken der dominanten einheimischen Minderheit bleibt erhalten. Katar hat sich bisher nicht getraut, ernsthafte Zugeständnisse an die Arbeitsmigranten zu machen. Sie brauchen künftig zwar kein Ausreisevisum mehr, allerdings benötigen sie noch immer die Genehmigung des Arbeitgebers, wenn sie das Land verlassen wollen. Über Streitfälle soll künftig eine neue Behörde entscheiden, die allerdings häufig nur mit Einheimischen besetzt wird, und die entscheiden erfahrungsgemäß meist zu Gunsten ihrer Landsleute. Immerhin gibt es eine Verbesserung: Der Arbeitnehmer muss innerhalb weniger Tage Bescheid bekommen, ob ihm die Ausreise genehmigt wird oder nicht. Auch die neue Job-Flexibilität, die Arbeitsminister al-Nuaimi anpreist, ist eine Mogelpackung. Ein Jobwechsel wird auch in Zukunft nur möglich sein, wenn ein Arbeitnehmer konkrete Misshandlungen am Arbeitsplatz nachweisen kann. Im alten System war der Arbeitsmigrant auf die Gunst seines einheimischen Gönners angewiesen: eine Beziehung geprägt von Willkür. Heute besteht zumindest die Hoffnung, dass diese Behörde als dritte Institution und fairer Schlichter zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber tritt. Viele Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften halten die katarische Arbeitsreform für unzureichend. Amnesty International spricht sogar von einer Verschlimmerung der Lage, weil die Arbeitgeber in Zukunft künftig völlig legal die Reisepässe der Arbeitsmigranten einfach einbehalten können. Nicholas McGeehan von Human Rights Watch sagt der Süddeutschen Zeitung zu der Reform: "Im Grunde wurde nur der Name geändert, wirklich bedeutsame Verbesserungen gibt es nicht." Mit Blick auf die hierarchischen Rangordnung in der katarischen Gesellschaft kann das als ein Fortschritt gewertet werden. Zumindest namentlich ist das "Kafala"-System Geschichte. An das Wort "Arbeitnehmer" müssen sich viele im Emirat erst noch gewöhnen. Seit Jahren versuchen die Golfstaaten einer Überfremdung entgegenzuwirken durch Schritte, die "Katarisierung" oder "Kuwaitisierung" genannt werden. Sie wollen den Anteil der Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Allerdings sind sie auf die billigen Arbeitskräfte und Fachkräfte angewiesen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz der Region, dass Einheimische niedrig qualifizierte Arbeit nicht verrichten. Gleichzeitig setzt das Emirat auf Wachstum, feiert seine Rolle als WM-Gastgeber. Die Arbeitsmigranten bleiben ein Problem der katarischen Politik. Früher oder später kommt sie an echten Zugeständnisse nicht mehr vorbei.


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