Von einer Anhöhe späht sie durch den Feldstecher: „Ah, das Fohlen kann erst wenige Tage alt sein." Gisela Vierling kneift die Augen zusammen. „Und Carl versucht es schon wieder bei einer Stute, allerdings erfolglos", schmunzelt die 66-Jährige und marschiert weiter ins Herz der Geltinger Birk, einer naturgeschützten Halbinsel im nordöstlichsten Winkel Schleswig-Holsteins. „Man weiß nie, wo die Herde sich aufhält", erzählt die veterinärmedizinische Assistentin. Oft müsse man lange nach ihnen suchen, in der Hitze aber blieben sie gern auf offenen Flächen, dort gehe mehr Wind. Im Wald würden sie die Mücken quälen.
Rundherum schweift der Blick hinweg über unendliches Grün und Blau. Es duftet nach Gras, feuchter Erde, Sommer. Umrahmt von Seegrasdünen ragt die Birk ins Meer, Dänemark in greifbarer Nähe. Über 700 Hektar, groß wie Hunderte Fußballfelder, dehnt sich das Idyll aus, in dem Vierling regelmäßig nach dem Rechten schaut: Sie ist Vorsitzende des Geltinger Wildpferdevereins und Hüterin der Koniks. „Seit die Pferde hier angesiedelt wurden, sind sie echte Besuchermagneten, ein positiver Nebeneffekt", erzählt die gebürtige Cuxhavenerin. Die Koniks gelten als Nachfahren der Tarpane, einer ausgestorbenen Wildpferderasse aus Osteuropa. „Kleine Pferde" bedeutet ihr Name. Sehr robust und genügsam sei diese Ponyrasse, erklärt Vierling, „und sie legen ziemlich schnell zu." Hier haben sie vor allem eine Aufgabe: Zusammen mit mehr als 100 Galloway-Rindern pflegen sie wie lebendige Rasenmäher die Weidelandschaft. Und davon profitieren wiederum viele andere Arten. Kraniche waten durch moorige Überschwemmungen, Ringelnattern züngeln durchs hohe Gras, Rotbauchunken laden zum Froschkonzert. „Wir wollen hier keine Exoten züchten, sondern heimische Arten schützen", betont Vierling. Dabei helfen die Pferde. Mit „wir" meint Vierling engagierte Naturschützer verschiedener Vereine und Verbände: etwa den Nabu Ostangeln, das Umwelt-Landesamt und die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, der diese Fläche gehört.
„So, nun geht's querfeldein, nur keine Angst", sagt Vierling und lächelt ermutigend. „Solange man nicht zwischen eine Keilerei gerät, passiert nichts, die Pferde sind friedlich." In Bögen geht es um Schlammlöcher und Binsenbüschel mitten hinein in die Herde: Gut 90 Pferdestärken mächtig ist sie samt Fohlen - 180 Huf-Paare, die sich in den Boden stemmen oder über den torfigen Boden trotten. Gruppen treiben auseinander und finden wie von selbst wieder zusammen.
Die Vierling zeigt auf eine junge Stute, die neugierig heran trottet: „Das ist der typische dunkle Aalstrich der Koniks." Der schmale Streifen zieht sich über den gesamten Rücken. Sie reckt ihren kurzen, kräftigen Hals und schnuppert an Vierlings Arm. Auch wenn es noch so schwer fällt, gilt: nicht streicheln, erst recht nicht füttern. Die Reste des struppigen Winterfells haben sich die Tiere schon vom Leib geknabbert. Unter ihrem nun kurzen Sommergewand lassen sie ihre Muskeln spielen. Die zweifarbige Mähne scheint wie frisch blondiert, die der Fohlen steht noch borstig ab, wie bei Zebras. Manche der kleinsten liegen flach auf der Seite und halten Siesta, alle viere von sich gestreckt. Andere schmiegen sich an ihre Mütter oder staksen ihnen unbeholfen hinterher, die Milchbar stets im Blick.
„Die 24 Stunden nach der Geburt sind die wichtigsten", erklärt Vierling. In der Zeit entstehe die Bindung und Stute und Fohlen prägen sich gegenseitig ihre Gerüche ein. Gerade die natürlichen Familienverbände seien das Besondere an dieser Herde. Das Sagen hat je ein älterer Hengst, der seinen „Harem" streng bewacht. Mit Carl und zehn Stuten hat vor 15 Jahren nämlich alles begonnen. Bis heute ist der 20-jährige Prachtkerl ein Boss der Truppe. Zwar muss er seine Damen nicht mit ihnen teilen, trotzdem weitere Leit-Hengste neben sich dulden, etwa Olko oder Salino. Die wilden Koniks sind weitestgehend sich selbst überlassen. Doch ohne ein gewisses Management würde es nicht funktionieren. Ihre Zahl stiege exponentiell und schnell gäbe es nicht mehr genug Futter für alle. Jedes Jahr im November treibt der Verein die Wildfänge daher zusammen. Junge Fohlen bekommen Namen und werden gechippt, Jährlinge werden verkauft oder in andere Naturparks überführt. Auch Vierlings Mann Karl schaut bei der Gelegenheit einmal als Tierarzt nach den Ponys und verpasst den kleinsten notfalls auch mal eine Wurmkur.
Das Projekt der Geltinger Birk schreitet voran - Vierling zeigt auf einen kleinen Wald: „Das war einst eine Insel, unter uns lag Meeresboden. Wenn Sie buddeln, finden Sie Muscheln." Das ehemalige Noor wurde vor fast 200 Jahren zur Landgewinnung entwässert. Nun läuft es andersherum. Die Weidelandschaft wird kontrolliert mit Meereswasser geflutet. Weite Weideflächen überfluten, Salzwiesen entstehen, auf denen wiederum viele Vogelarten Futter finden. „Und Sie sollten die Ponys mal sehen, wenn sie in den Überschwemmungen spielen", strahlt Gisela Vierling. Gern gibt sie ihr Wissen an Besucher weiter, die die Wildpferde hautnah erleben möchten. Mutprobe gefällig?
Anreise Am einfachsten mit dem Auto über die A 7 Richtung Flensburg, Abfahrten Büdelsdorf oder Schleswig/Schuby nehmen und über Bundesstraßen weiter nach Gelting. Mit dem Zug: Bis zum Bahnhof Süderbrarup, von dort mit dem Bus weiter über Kappeln nach Gelting. (www.bahn.de)
Unterkunft Familiär geführter, idyllischer Hof: Janbeck's Fairhaus in Gelting, je nach Saison Zimmer ab 60 Euro, Ferienwohnungen ab 70 Euro pro Nacht, Frühstück 11,50 Euro pro Person, www.janbecks.de. Neues Highlight am Strand von Pottloch: Schlafstrandkorb für zwei Personen unterm Sternenhimmel. Zu buchen über die Tourismuszentrale Gelting, 90 Euro pro Nacht, ohne Verpflegung, www.ferienlandostsee.de. Zauberhafte Wohnung in einer 200 Jahre alten Kate direkt am Wasser: Helenes Häuschen für 2 Personen ab 145 Euro (Folgenächte 120 Euro) ohne Verpflegung, direkt am Eingang zum Naturschutzgebiet an der Mühle Charlotte in Nieby, www.ferienhaeuser.schloss-gelting.de
Sehenswürdigkeiten und Ausflüge Bis einschließlich Oktober gibt es Führungen zu den Wildpferden. Termin: jeweils donnerstags um 14.30 Uhr. Treffen am Parkplatz (Kiosk) an der Mühle Charlotte. Circa drei Stunden dauert die Wanderung und ist bis zu 8 km lang. In der Integrierten Station (Sitz des Fördervereins) in Falshöft ist eine neue naturkundliche Ausstellung in Planung. Der Nabu bietet außerdem Vogeltouren an. Weitere Infos unter www.wildpferde-geltinger-birk.de oder www.geltinger-birk.de Von Gelting aus lohnen außerdem Ausflüge nach Kappeln, Maasholm und Arnis, der kleinsten Stadt Deutschlands. Alle drei Orte liegen an der Schlei, einem Ostseemeeresarm.
Was Sie tun und lassen sollten Auf jeden Fall festes Schuhwerk und lange Hosen als Insektenschutz mitnehmen. Hunde müssen angeleint bleiben. Auf keinen Fall außerhalb von Führungen die offiziellen Wanderwege verlassen.
Allgemeine Informationen Tourismuszentrale Geltinger Bucht, Tel. 0 46 43 / 777, www.ferienlandostsee.de