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Blind Date mit dem Leben (der Mensch dahinter)

Hamburg. Das Leben von Saliya Kahawatte ist seit 25 Jahren ein einziges trotziges Aufbäumen gegen die Schläge des Schicksals: Mit 15 verliert er 80 Prozent seiner Sehkraft, aber weder den Ehrgeiz noch den Mut. Mit 24 erkrankt er an Hodenkrebs. Er übersteht ihn. Noch heute trägt er freiwillig eine Glatze als Andenken an die Chemotherapie. Das andere Andenken: Das künstliche Hüftgelenk, das nächsten Sommer erneuert werden muss. Am Nikolaustag ist Saliya Kahawatte 40 Jahre alt geworden.

Groß gefeiert hat er nicht, er wollte am nächsten Tag früh ins Büro zurück. Sein Geschäft ist zugleich seine Mission: Motivation und Krisenbewältigung. Kahawatte berät Führungskräfte und Unternehmen, er redet Tacheles mit jungen, wie er sagt, „überpädagogisierten" Hartz-IV-Empfängern, er spricht im Kloster vor traumatisierten Frauen, auf Einladung der katholischen Kirche. Viele Schwache und Schwächelnde erreicht er schon dadurch, dass seine eigene Leidensgeschichte ihre in den Schatten stellt.

Dabei war auch er mal am Ende: Selbstmordversuch mit 33. Aber er ist immer noch da, und wie: 100 Prozent schwerbehindert, 100 Prozent Lebenslust. „Ich bin ein reicher Mensch, ich genieße jeden Tag", sagt er. Als Erfolgsmensch im Beruf, im Privatleben als gepflegter Mann mit Charisma, der bei Frauen gut ankommt. „Vieles von dem, wovor ich einmal Angst hatte, habe ich ja nun bewältigt."

So mit sich selbst im Reinen war er nicht immer. Die akute Netzhautablösung in der neunten Klasse, als deren Folge er fast vollständig erblindete, zwang ihn lange in ein Dilemma: Er wollte sich selbst beweisen, dass er es weiterbrachte als in die Behinderteneinrichtungen, die ihm von der „Spezialistin für die Beschulung Sehbehinderter" empfohlen wurden. Also begann er, seine fortschreitende Blindheit zu verschweigen, damit er trotzdem Karriere in edlen Restaurants und Hotels machen konnte. Geschwiegen hat er, „weil es keine Sau interessiert", sagt er hart - keine Sau interessiert, ob die Lebensträume eines jungen Behinderten platzen, wenn man ihm eine Absage schickt.

Auch sein Gehör ist außergewöhnlich gut: Sein Computer liest ihm die E-Mails vor, dreimal so schnell wie bei einem durchschnittlichen Menschen. „Wenn jemand beim Reden gar nicht aus dem Quark kommt, muss ich ihn antreiben, sonst nervt mich das Zuhören." An der Stimme hört er, ob jemand lügt oder Unsicherheiten überspielt.

Kahawatte machte Karriere „im Wettbewerb mit den Sehenden": Er stieg auf bis zum Restaurantleiter, arbeitete in Fünf-Sterne-Hotels, ohne dass Chefs oder Gäste wussten, wie schlecht er sah. Um die Fassade aufrecht zu erhalten, musste er so viel schuften, so viel lügen, dass er beinahe unter dem Druck zerbrach. „Ohne Arbeit konnte ich nicht leben, aber die Arbeit hat mich krank gemacht."

Wie man sich fast blind als sehender Kellner ausgibt? Indem man Speisen, Getränke und ihre Buchungsnummern für die Kasse auswendig lernt, nachdem man heimlich alles mit der Lupe gelesen hat. Indem man sich Nacht für Nacht in den Keller schleicht und die 350 Weinsorten so sortiert, dass man sie am nächsten Morgen findet. Indem man den eingeweihten Freunden und Partnerinnen so viel Hilfe abverlangt, dass man es kaum noch vor sich selbst rechtfertigen kann. Schließlich musste er den Traum doch aufgeben. Mit 32. Mehr konnte er seinem Körper nicht mehr zumuten.

Auch sein neues Berufsleben fordert viel. Aber es hilft, dass jetzt alle Kollegen und Kunden von seiner Augenkrankheit wissen. Kahawatte ist Berater, Personal Trainer, Dozent. Frei zu reden hat er trainiert, weil er sich nie Notizen machen konnte.

Schrift muss sich Kahawatte um das 25-bis 30-Fache vergrößern. Unerwartete Wörter wie „Stehimbiss" mitten im Satz lassen ihn trotzdem noch stocken. Das wird ihm auf der Lesereise ab Januar so wohl nicht passieren, denn mit seinen fünf Prozent Sehkraft wird er natürlich nicht ablesen, sondern frei vortragen. Aus seiner Biografie „Mein Blind Date mit dem Leben".

Von diesem Buch hätten ihm eigentlich alle abgeraten, erinnert er sich. Aber gut gemeinte Ratschläge, die befolgt ein Saliya Kahawatte schon lange nicht mehr.

Dirk Nordhoff

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