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Fünf Jahre "Generation Praktikum": Happy Birthday, liebes Uni-Prekariat - SPIEGEL ONLINE

Fünf Jahre "Generation Praktikum": Happy Birthday, liebes Uni-Prekariat

Von Dirk Nordhoff

Just hat sie ihren fünften Geburtstag, in Büchern und Filmen gibt es sie gewiss - aber auch im richtigen Leben? "Generation Praktikum" ist ein einprägsames Etikett. Viele schimpfen über Ausbeutung junger Akademiker, andere preisen die Vielfalt beim Berufsstart. War da was, ist da was? Eine Inventur.

Sie schien tot zu sein, bevor sie recht geboren war. Wissenschaftler haben sie mehrfach zur Erfindung erklärt. Die nach ihr benannten Internetseiten in Österreich und Deutschland wirken wie ein Echo aus der Vergangenheit. Erst vor ziemlich genau fünf Jahren bekam sie ihren Namen: die "Generation Praktikum".

Es war die Überschrift über einem Artikel der Wochenzeitung "Die Zeit". Darin beklagte der Autor Matthias Stolz am 31. März 2005, dass junge Menschen nach dem Studium systematisch in Praktika abgedrängt und als billige Arbeitskräfte missbraucht würden. Das Phänomen war nicht neu, aber das Etikett schien so schön zu passen, dass eine rege Debatte losbrach.

Jahrelang wurde über die Zukunftschancen der Jugend und über Probleme für Berufseinsteiger diskutiert; der SPIEGEL nahm die "Generation Praktikum" auf den Titel. Selbst die Bundesregierung gab eine eigene Studie in Auftrag - doch die damit betrauten Hochschulforscher sprachen der Generation ihre Existenz glatt ab.

"Prekär" - oder alles so schön bunt und "vielfältig"?

Heute, ein paar Jahre, viele Hiobsbotschaften und eine Weltwirtschaftskrise später, hat die "Generation Praktikum" zwei neue Namen, die sich stark widersprechen: "Generation Prekär" sagt, wer weiter glaubt, dass unfaire Praktika weit verbreitet sind und junge Menschen ohne echte Perspektive systematisch von bösen Arbeitgebern über den Tisch gezogen werden. Optimistisch von einer "Generation Vielfalt" spricht dagegen, wer die Klagen über Ausbeutung für hysterisch-übertrieben hält.

Erfinder der "Generation Vielfalt" ist Harald Schomburg. Der Kasseler Hochschulforscher untersucht unter anderem, wie junge Akademiker den Berufseinstieg meistern. Im Herbst 2009 veröffentlichte er das Ergebnis einer Befragung von 30.000 Absolventen. "Generation Praktikum ade", urteilte der Soziologe: Praktika nach dem Studium seien "kein Massenphänomen", und von "dauerhaft prekärer Beschäftigung" könne bei der Mehrheit des untersuchten Jahrgangs von 2007 keine Rede sein.

Na klar, sagen Praktikanten, die lautstark über Ausbeutung klagen. Ja, sagt auch der DGB: 56 Prozent der Hochschulabsolventen gehören dazu. Die entsprechende Studie stützt sich aber auf Angaben von lediglich 89 Teilnehmern. Karl-Heinz Minks vom Hochschul-Informations-System (HIS) dagegen sagt: "Das ist wohl eher das Gefühl einer Generation."

An einer HIS-Umfrage nahmen 10.000 Hochschulabsolventen des Jahres 2005 aus verschiedenen Fachrichtungen teil. Ihre Antworten fallen weit positiver aus, als es das Getöse um die "Generation Praktikum" vermuten lässt. Demnach arbeitet jeder siebte Uni- und jeder achte FH-Absolvent nach dem Studium als Praktikant. HIS-Experte Kolja Briedis sagt: In technischen Berufen oder den Naturwissenschaften seien Praktika nach Studienende eine Ausnahme, in den Sozialwissenschaften komme es häufiger zu Kettenpraktika.

Laut HIS ist die Praktikumsdauer in den "meisten Fällen auf einen überschaubaren Zeitraum beschränkt": Die Hälfte der Praktikanten absolviert nach dem Studium Praktika von maximal drei Monaten, ein Drittel von maximal sechs Monaten, nur wenige noch mehr. Die Mehrheit zeigte sich zufrieden mit Inhalten und Nutzen des Praktikums. Geld bekamen 66 Prozent der Uni-Absolventen und 83 Prozent der FH-Absolventen (wie viel genau, wurde nicht erfasst). Das HIS-Fazit: Kettenpraktika oder Praktikumskarrieren seien eine Randerscheinung, kein Massenphänomen. In der Zeit danach gelinge vielen der Sprung in die Erwerbstätigkeit.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte ein anderer Forscher die "Generation Praktikum" zum Mythos erklärt: Kolja Briedis vom Hochschul-Informations-System kam 2007 per Absolventenbefragung zu ähnlichen Thesen wie Schomburg. Bis heute ist er überzeugt, ein vermeintliches Unrecht empirisch widerlegt zu haben: "'Generation Praktikum' war nie ein Begriff, der Geltung hatte", so Briedis.

Claudia Behm sieht das ganz anders. Sie gehört zum Verein fairwork, der schon 2004 unfaire Praktika anprangerte, ehe Medien auf das Thema so richtig ansprangen. Behm sagt: "Die Situation für Praktikanten hat sich seit unserer Gründung nicht verbessert." Zwar seien die Absolventen mittlerweile sensibilisiert, aber viele Arbeitgeber hätten ruchlos auf die öffentliche Debatte reagiert - nämlich mit Etikettenschwindel.

Allzeit bereit zur Selbstausbeutung

"Unfaire Angebote werden jetzt zum Beispiel Volontariat, Hospitanz oder Trainee genannt", so Behm. Weil die Bezeichnungen nicht rechtlich definiert seien, hätten schwarze Schafe es leicht: Statt Weiterbildungen, Mentoring oder einen Ausbildungsplan zu erhalten, würden die Berufsanfänger "einfach als billige Arbeitskräfte eingesetzt". Und häufig danach flink auf die Straße gesetzt, weil das Unternehmen sie angeblich nicht einstellen könne - wohl aber den nächsten Rutsch an Volontären oder Trainees.

Verglichen damit war die Ausschreibung eines großen Hamburger Verlags entwaffnend ehrlich: Das Unternehmen suchte zehn Praktikanten mit abgeschlossenem Studium oder abgeschlossener Ausbildung für sechs bis zwölf Monate, für 500 Euro. Dafür gab fairwork dem Verlag den Schmähpreis "Goldene Raffzähne 2009".

Gewerkschafterin Jessica Heyser, 32, sagt, der Hang zur Selbstverzwergung sei bei jungen Menschen heute noch stärker als vor fünf Jahren. Bei den Krisenkindern, wie sie der SPIEGEL nannte, wachse der Druck und die Angst vor Arbeitslosigkeit: Einstellungsverbote und Personalabbau träfen die Jungen zuerst.

Heyser warnt davor, Praktika isoliert vom übrigen Arbeitsmarkt zu sehen, auf dem die Hartz-Reformen mit mehr Leiharbeit und Minijobs sowohl Ausbeutung als auch Selbstausbeutungsneigung der Berufseinsteiger gefördert hätten. "Generation Prekär" sei die richtigere Bezeichnung. In Italien und Spanien hat sich dafür das Schlagwort der "Generation 1000 Euro" durchgesetzt - die 1000 Euro stehen für den monatlichen Nettolohn, über den es viele jahrelang nicht hinaus schaffen, trotz Vollzeitstelle.

Schuftest du noch, oder verdienst du schon? Haben Praktikanten Rechte? Welche Zeugnisfloskel ist fies verstecktes Gift - und wer ist eigentlich die deutsche Monica Lewinsky? Testen Sie, was Sie über das akademische Prekariat wissen im Quiz zur "Generation Praktikum" !

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