Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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E-Cargo-Bikes: Wachstumsmarkt für Automobilzulieferer

Emissionsfreie Warenlieferung in Innenstadtbereichen mit elektrischen Cargo-Bikes

Warenlieferungen mit dem Pedelec sind ein großer Trend. Fahrer benötigen keinen Führerschein, kommen auf dem Radweg schneller ans Ziel und sind emissionsfrei unterwegs. Entsprechend viele Anbieter tummeln sich auf dem lukrativen Markt für E-Cargo-Bikes.

„Ihr Fahrer ist noch drei Stopps entfernt" heißt es in der App, doch bis das Paket tatsächlich abgegeben wird, dauert es noch Stunden. Kurier-Express-Paket-Fahrer stehen im Stau oder sind der Stau. Sobald ein Lieferfahrzeug am Fahrbahnrand hält, ist die Fahrspur für alle anderen Verkehrsteilnehmer gesperrt. Dabei nimmt der Lieferverkehr in den kommenden Jahren weiter zu - vor allem in den dicht besiedelten Innenstädten.

Als „Amazonisierung" beschreiben Experten die veränderte Erwartungshaltung privater als auch gewerblicher Kunden: Lebensmittel, Getränke und andere Waren sollen innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten nach der Bestellung im Internet an der Haustür abgegeben werden. Lieferdienste wie Getir, Flink und Gorillas haben diesen Trend beschleunigt.


Mit dem klassischen Transporter ist das nicht mehr zu schaffen. Fahrten vom Verteilzentrum vor den Toren der Stadt zum Empfänger dauern zu lange. Die Durchschnittsgeschwindigkeit in großen Städten wie Hamburg und Berlin liegen bei 20,3 und 17,7 km/h in der Hauptverkehrszeit.

„Der klassische Transportfahrer sucht sich für sein Fahrzeug einen Stellplatz, meistens in zweiter Reihe, belädt seine Sackkarre mit Sendungen und läuft damit acht bis zehn Häuser ab. Das ist anstrengend, blockiert den übrigen Verkehr und dauert einfach lange", fasst Dr. Stefan Cuber die aktuelle Situation zusammen. Er ist Geschäftsführer der Business Unit Micromobility bei Mubea. Das Unternehmen hat eine lange Geschichte als Zulieferer in der Automobilindustrie. Doch die Sparte Mubea U-Mobility konzentriert sich auf Last Mile-Logistik. Die E-Cargo-Bikes werden in Deutschland gefertigt.


Autozulieferer entdecken das Cargo-Bike für sich

Es ist ein stark wachsender Markt: 2021 wurden mit Lastenrädern weltweit 630 Millionen US-Dollar umgesetzt. Bis 2032 wächst dieser Markt laut Persistence Market Research auf 2,14 Milliarden US-Dollar. Entsprechend groß ist das Angebot. Es gibt Cargo-Bikes mit zwei, drei und vier Rädern. Manche nutzen Anhänger oder den Gepäckträger. Die meisten gewerblichen Angebote setzen allerdings auf verschließbare Ladebehälter mit Nutzlasten. Die Bundesregierung fördert den Umstieg auf E-Cargo-Bikes. Gewerbliche Nutzer erhalten für den Warentransport bis zu 25 Prozent (maximal 2.500 Euro) des Anschaffungspreises pro Fahrrad als Förderung.


Entsprechend viele Unternehmen tummeln sich auf dem Markt. Darunter sind auffallend viele Automobilzulieferer. „Wenn das E-Cargo-Bike etwas über 200 kg wiegt und noch mal 200 kg Zuladung transportiert, können sie das nicht mit klassischen Fahrradbauteilen konstruieren. Reifen, Bremsen, Ketten sind für derartige Belastungen nicht ausgelegt", sagt Cuber. So hat Mubea U-Mobility das E-Cargo-Bike neu gedacht und für den Lastentransport konzipiert. Das Herzstück, der Mittelmotor, stammt von Valeo, einem weiteren Automobilzulieferer.

Wie komplex der Markt für Quereinsteiger ist, zeigt das Beispiel Volkswagen. Der Autohersteller hatte ein Lastenrad mit Frontladefläche für 210 kg Nutzlast entwickelt. Die Kritiken nach ersten Probefahrten fielen negativ aus. Das Dreirad neigte in Kurven zum Kippen. Letztendlich nahm Volkswagen das Lastenrad Ende 2022 vom Markt.


„Der Fahrer muss sich sicher fühlen, auch bei voller Beladung. Komfort und Sicherheit sind zwei wichtige Aspekte", fasst Stefan Räth seine Erfahrung zusammen. Er ist Geschäftsführers von Citkar in Berlin. DHL in den Niederlanden, Alnatura, der Lebensmittellieferant Alpakas und Amazon zählen zu seinen Kunden. Bei seinen E-Cargo-Bikes sitzt der Fahrer wettergeschützt in einer Kabine. Blinker, Rückspiegel und Bremswippen verleihen dem 98 cm breiten Gefährt eher das Aussehen eines klassischen Nutzfahrzeugs.

„Neben dem Fahrzeug ist es wichtig, ein funktionierendes Ökosystem aufzubauen", sagt Räth. Die Unternehmen können sich Ausfallzeiten nicht leisten. Ersatzteile, Service und einen Ansprechpartner bei Problemen seien wichtig.


Fahren ohne Führerschein.
Aus seiner Erfahrung haben klassische Transportunternehmen zunehmend Schwierigkeiten, Fahrer mit Führerschein zu finden. Entweder haben die Bewerber nie einen gemacht oder sie besitzen ihn nicht mehr. So sind E-Cargo-Bikes eine gute Alternative: Jeder darf sie fahren.


Dabei müsste man von Pedelcs (Pedal Electric Cycle) statt E-Bikes sprechen. Unterstützung leistet der E-Motor nur, wenn der Fahrer in die Pedalen tritt. Diese Unterstützung endet bei 25 km/h. Pedelecs benötigen keine Fahrerlaubnis oder ein Versicherungskennzeichen und sie dürfen Radwege nutzen. Das macht sie in Innenstädten deutlich schneller. Mit ihnen lässt sich neben jeder Haustür parken und man kommt in enge Hinterhöfe. Zudem ist es deutlich günstiger. Räth rechnet vor, dass man im Vergleich zu einem VW Caddy über drei Jahre und 30.000 km rund 57 Prozent günstiger mit seinem E-Cargo-Bike unterwegs ist.

Natürlich fällt die Nutzlast pro Fahrt geringer aus. Doch wenn man nicht warten muss, bis ein klassisches Lieferfahrzeug ausreichend befüllt ist, kommt die Ware mit den kleineren E-Cargo-Bikes schneller zum Empfänger.

„Reichweite ist kein Thema", sagt Benjamin Morliere, e-Bike Plattform Direktor bei Valeo. Die durchschnittliche Tourenlänge liegt bei 40 km. Das sei mit einer Batterieladung zu schaffen. Valeo liefert seinen 130 Nm starken Mittelmotor Cyclee neben Mubea an über 20 Fahrradhersteller.


Das Besondere an dem Sieben-Gang-Automatikmotor ist laut Morliere ein Rückwärtsgang. „Damit kommt man auch mit einem beladenen Cargo-Bike eine Parkrampe hinauf", sagt der Valeo-Manager. Das ist vor allem für die Sofort-Lieferdienste wichtig. Sie richten ihre Mikro-Hubs vermehrt in Parkhäusern oder Tiefgaragen ein. Die Fahrer müssen mit den E-Cargo-Bikes gut rangieren und Rampen bewältigen können. Die meisten Anbieter setzen auf einen Rangier-Modus. Bis sechs km/h darf der Motor das Gefährt bewegen, ohne dass die Pedalen bewegt werden müssen.


Ganz ohne Kette oder Riemen

Konkurrenz fördert Innovationen. Der Standard beim E-Bike ist noch der Mittelmotor, der über einen Riemen oder Kette seine Kraft auf die Hinterräder überträgt. Doch mechanische Antriebskomponenten wie Zahnkränze, Ritzel, Riemen und Ketten verschleißen.

Darum verzichtet Schaeffler bei seinem Free Drive auf die genannten Bauteile. „Wir schaffen ein kettenähnliches Fahrgefühl mit einem Bike-by-Wire Antrieb", sagt Patrick Kraus, Sales Manager E-Mobility bei Schaeffler. Da, wo sonst der Mittelmotor sitzt, befindet sich nun ein Pedalgenerator. Tritt der Fahrer in die Pedalen, wird diese Information als auch die entstehende Energie per Kabelverbindung an einen Nabenmotor im Hinterrad übertragen. Eine Software übersetzt die Trittstärke in die entsprechende Unterstützung, die in Form von Energie aus der Batterie beigesteuert wird.


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