Dirk Kunde

Technologie-Journalist, Hamburg

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Nio EL 7: Ein Technik-Paket der Oberklasse

Nio EL 7 in der Hamburger Speicherstadt

Nio präsentiert in Hamburg seinen EL 7. Damit hat der chinesische Hersteller hierzulande einen SUV und eine große Limousine im Angebot. Eine Testfahrt im Hamburger Umland.

Den Komfortanspruch eines Oberklasse-SUV stellt der Nio EL 7 direkt bei Abfahrt in der Hamburger Speicherstadt unter Beweis. Die Straßen bestehen aus Kopfsteinpflaster. Mit seiner Luftfederung nimmt der Wagen jede Unebenheit und gleitet sanft in Richtung Elbbrücken und raus aus der Stadt. Auf der Autobahn senkt sich die Karosserie ab, um Verwirbelungen zu reduzieren. Insgesamt 90 mm in fünf Positionen kennt die Luftfederung. Später beim Ausladen des Kofferraums neigt sich das Heck nach unten, so dass ich es mit dem Gepäck einfacher habe.


Das Fahrerdisplay, die Knöpfe am Lenkrad und das große Display in der Mitte kommen einem bekannt vor. So sieht das auch in der großen Limousine ET 7 aus, mit der Nio im Herbst 2022 in Deutschland gestartet ist. Zu Ostern folgt die kleinere Limousine ET 5, dann ist das Trio komplett.


Wechseln oder Laden?

Materialität und Verarbeitung lassen im SUV keinen Zweifel daran, dass sich Nio in die Riege der Premium-Anbieter einreiht. Doch bevor es um die Ausstattung geht, sollte man auf die Dinge eingehen, die der chinesische Anbieter anders macht: Batteriewechsel und Preismodell. Man kann seine leere 75 oder 100 kWh Batterie in Wechselstationen gegen eine volle Batterie tauschen. Das dauert, wie mein damaliger Test in Berlin zeigt, knapp fünf Minuten. Die Station in der Motor World in Spandau soll demnächst eine Genehmigung für den dauerhaften Betrieb erhalten. Tauschen kann man noch im Sortimo Innovationspark in Zusmarshausen bei Augsburg und am Autobahnkreuz Hilden bei Seed & Greed in NRW.

Weitere Standorte sind geplant, zusammen mit EnBW will man 20 Schnellladeparks mit Tauschstationen ausstatten. „Wir benötigen einen Netzanschluss, einen Trafo und eine Baugenehmigung", sagt Nio-Deutschland-Geschäftsführer Ralph Kranz im Gespräch. Die ersten beiden Dinge dauern oft lange, das dritte stellt viele Gemeinden vor noch größere Hürden. Weil eine Batteriewechselstation neu ist, wissen die Beamten nicht, ob das als Waschanlage, Werkstatt oder Montagehalle zu genehmigen ist. Eine genaue Zahl der geplanten Stationen in Deutschland mag Kranz nicht nennen. Doch bis Ende 2023 sollen es mehr als 100 in den europäischen Ländern sein, in denen Nio vertreten ist.

Abo, Kauf oder Miete

Eigentlich wollte der Autohersteller seine E-Autos ausschließlich über ein Abo-Modell vertreiben. Ein monatlicher Preis für Auto, Batteriewechsel, Wartung, Service und Versicherung. Doch der Aufschrei der Interessenten nach einer Kaufoption war groß, so dass Nio nun sämtliche Formen anbietet: Man kann das Auto ohne Batterie kaufen (73.900 Euro). Die Batterie mietet man (169 Euro für 75 kWh, 289 Euro für 100 kWh) oder kauft sie (12.000 Euro / 21.000 Euro). Doch wer kauft, kann seine Batterie nicht tauschen.

Das Abo-Modell teilt sich in fixe Monatsraten bei fester Laufzeit und sinkende Monatsbeiträge bei flexibler Laufzeit. Leasing über externe Anbieter ist ebenfalls möglich. Die Batteriewechsel sind noch bis Ende März kostenlos. Laut Kranz könnte das eventuell verlängert werden. Danach werde man sich am Preismodell in Norwegen orientieren. Dort sind im Abo-Modell zwei Wechsel pro Monat auf eine volle Batterie inklusive. Jeder weitere Wechsel kostet umgerechnet zehn Euro plus den Preis pro Kilowattstunde Energie.

Unterschiedliche Ladegeschwindigkeiten

Natürlich kann man den EL 7 auch mit einem Typ 2- oder CCS-Stecker per Kabel aufladen. Die Ladeklappe befindet sich vorn rechts. Die Schlüsselkarte für das Fahrzeug ist gleichzeitig eine Plugsurfing-Ladekarte. An Wechselstromanschlüssen wird dreiphasig mit 11 kW und am Schnelllader mit 140 kW Gleichstrom geladen.

Die 100 kWh Batterie lädt allerdings nur mit 126 kW am Schnelllader. Das ist erstaunlich, lässt sich aber anhand der Zellchemie erklären. Die 75 kWh Batterie besteht aus Lithium-Eisenphosphat (LFP). Das ist günstiger und etwas robuster beim Laden. Die große Batterie nutzt eine Mischung aus Nickel-Mangan-Kobalt (NMC) als Aktivmaterialien. Sie ist deutlich teurer und wird beim Laden schonender behandelt.

Auf absehbare Zeit will Nio noch eine 150 kWh Semi-Solid-State Batterie anbieten. „Ich sehe unser Batterietauschangebot als gute Alternative für vielfahrende Handelsvertreter, die aufgrund der Ladezeiten noch nicht auf ein E-Auto umsteigen mögen", sagt Kranz. Er sieht den Batteriewechsel in erster Linie als Option für Langstreckenfahrten.

Zellchemie

Der SUV kommt mit der kleinen Batterie 391 und mit der großen 509 Kilometer weit. Der Verbrauch wird mit 21,4 bis 23,1 kWh (WLTP) auf 100 km angegeben. Die Werte überraschen nicht für einen 4,91 Meter langen, 1,99 Meter breiten und 1,72 Meter hohen Wagen. Das Gewicht liegt bei 2.346 Kilogramm. Die große Batterie fügt dem lediglich 20 Kilogramm hinzu. Der cW-Wert liegt bei 0,26.

Der EL 7 beschleunigt aus dem Stand in 3,9 Sekunden auf 100 km/h. Schluss ist bei Tempo 200. Die beiden E-Motoren bieten eine Systemleistung von 480 kW oder 859 Nm Drehmoment. In der Front arbeitet ein 180 kW starker permanenterregter Synchronmotor. Er leistet die Hauptarbeit. Der EL 7 ist also ein Fronttriebler. Für den freien Lauf (Segeln) gibt es keine Trennungseinheit. Nio nimmt die Schleppverluste in Kauf. Muss es mal schneller gehen oder der Untergrund ist feucht, greift der 300 kW Induktionsmotor im Heck ein.

Beim Wechselrichter setzt Nio auf Siliziumkarbid-Halbleiter. Das ist etwas teurer, schaltet aber schneller, ist effizienter und erzeugt weniger Wärme. Im Stadtverkehr, wo ich laufend zwischen Beschleunigung und Rekuperation wechsle, spart der Frontmotor laut Hersteller damit vier bis sechs Prozent der benötigten Energie.

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