Nach dem Aufstieg in die Dünen bietet sich mir fast immer der gleiche Anblick: oben grauer Himmel, unten graue Nordsee. Selbst der Sand am Strand wirkt grau, kilometerweit in beide Richtungen. Manchmal sehe ich weit entfernt noch ein oder zwei andere Spaziergänger, die es an diesem Nachmittag ebenfalls an die dänische Nordsee verschlagen hat. Ansonsten höchstens ein paar Möwen oder Regenpfeifer.
Diese Wochen sind die beste Reisezeit für die dänische Nordseeküste, und das ist nicht nur eine Geschmacksfrage. Der Sommer ist mir zu voll, zu hektisch und mit ständiger Furcht vor schlechtem Wetter überladen. Die Zeit um Weihnachten und Neujahr zu sehr auf "hyggelig" ausgerichtet, diese viel beschworene Gemütlichkeit, die sich aber ohne Schnee nur selten einstellt. Und April/Mai oder September/Oktober sind als klassische Nebensaison mit niedrigeren Preisen fast noch voller als der Sommer.
Erholsamen Urlaub machen kann ich dort nur jetzt. Wenn sich der eigene Rhythmus dem der Umgebung anpasst. Und der ist sehr, sehr langsam. Wenn der Morgennebel noch bis zum Vormittag in den Dünengräsern rund ums Haus hängt, dauern Aufstehen und Frühstücken einfach länger. Der Strandspaziergang ist der Höhepunkt des Tages, nach der Rückkehr stellt sich die spannende Frage: Tee trinken oder erst mal ein spontanes Nickerchen auf der Couch? Sollte irgendwann mal jemand eine offizielle Skala für Erholung aufstellen, der Höchstwert wäre schon nach spätestens zwei Tagen erreicht.
Saison G wie günstig
Was natürlich auch mit den Ferienhäusern zu tun hat, in denen ich wohne. Halbe Paläste, meist nur ein paar Jahre alt, mit zwei Schlafzimmern pro Person, riesigen Glasfronten, und Sauna, Whirlpool und Kamin sind sowieso dabei. Kein Vergleich mehr zu den Hütten von früher, in denen es schon im Spätsommer manchmal empfindlich zog. Derzeit ist bei den Ferienhausanbietern Saison G, heißt: Eigentlich bucht kein Mensch, und selbst Luxushäuser sind extrem günstig. Klar könnte ich auch in die Schwimmhalle fahren, zum Kerzengießen oder zum Bowling. Muss ich aber nicht.
Manchmal geht es dann doch in den nächsten Ort, um Holz zu kaufen oder zu bummeln. In Outdoor-Klamottengeschäfte etwa, denn andere Läden öffnen nur noch am Wochenende oder schreiben gleich dran: "Geschlossen bis Weihnachten". Die Lichter im Restaurant leuchten zwar, aber ich sehe nie jemanden dort speisen. Und auch beim Bäcker ist von der sommerlichen Warteschlange nichts zu sehen.
Überhaupt lässt sich an den "Attraktionen" der Umgebung wunderbar der Kreislauf eines Ferienortes beobachten. Die kleinen Gokarts neben der Bowlinghalle stehen so einsam herum, als wäre nie ein Kind auf ihnen gefahren. Das letzte Abenteuer beim "Adventure Golf" ist auch schon eine Weile her, und die Tennisplätze sehen wegen des Windes ja auch im Sommer kaum einen Ball. Ja, das ist trist, aber es gibt keine schönere Tristesse als die der Neben-Nebensaison.
Pfeifender Wind, rauschende Nordsee
Denn es ist gerade die Abwesenheit von lockenden Freizeitaktivitäten, die einen Urlaub in Dänemark derzeit so einzigartig erholsam macht. Es gibt nichts, was ich unbedingt sehen muss. Nichts, wo ich unbedingt hin muss, nichts, was ich irgendwie verpassen könnte. Aber auf den Kanaren sind doch jetzt 23 Grad und die Sonne scheint, werden jetzt einige einwenden. Kann sein. Aber dann "muss" man ja auf jeden Fall raus an den Strand und in die Sonne. Stattdessen lerne ich in Dänemark Müßiggang der allerfeinsten Sorte mit völliger Abwesenheit von Alltag.
Und deshalb genieße ich meinen tristen, grauen Lieblingsurlaub. Genieße es, wenn man abends vor der Tür des Ferienhauses steht und nur ein paar Lichter im Umkreis von ein paar Kilometern zu sehen sind, und einer davon ist ein Leuchtturm. Genieße es, in die Stille zu lauschen, die höchstens vom Pfeifen des Windes oder dem Rauschen der Nordsee unterbrochen wird. Und kann mir nach ein paar Tagen gar keine andere Lieblingsfarbe mehr vorstellen als das Grau der Wolken und der See.
Beim letzten Urlaub bin ich aber überrascht, ja fast enttäuscht worden. An zwei Tagen war der Himmel so blau und die Sonne so grell, dass ich dachte, ich wäre aus Versehen auf Teneriffa gelandet. Und das Ende November!
Aber das Wetter hatte sich schnell wieder beruhigt, schon am nächsten Morgen zog wieder dichter Nebel auf. Und es war klar: Ich komme nächstes Jahr wieder und verbringe hier meinen tristen, grauen Lieblingsurlaub. Wenn sonst kein anderer hin will, in der Neben-Nebensaison.