ZDF.de - Der Verlust von nutzbarem Boden wird weltweit zum Problem: Jedes Jahr geht eine Fläche verloren, die halb so groß ist wie die EU. Bis 2030 will die Uno diese "Verwüstung" stoppen.
So kann es gehen: Statt sich mit dem einst gerodeten Ödland abzufinden, suchen Bauern in Niger die noch vorhandenen unterirdischen Wurzeln und hauchen ihnen sozusagen neues Leben ein. Schösslinge, die bei Regen austreiben, werden gehegt und gepflegt, gezielt beschnitten und schließlich zu kräftigen neuen Bäumen herangezogen. Eine Methode, die nur auf den ersten Blick mühsam und zeitraubend erscheint.
Vom Grundgedanken her ist das FMNR (Farmer managed natural regeneration) genannte Verfahren nämlich uralt. Und dabei extrem effektiv. Denn dank der vorhandenen Wurzeln wächst der Baum vergleichsweise schnell. 20 bis 22 Millionen Hektar Land konnten so in Afrika seit den 1980er Jahren schon aufgeforstet werden, erklärt Dirk Bathe von der Hilfsorganisation "World Vision Deutschland". "Seit einigen Jahren steht FMNR ganz oben auf der Liste. Es wird anerkannt und hat sich durchgesetzt." In den aufgeforsteten Regionen wird der Boden vor Erosion geschützt und kann sogar wieder für die Landwirtschaft genutzt werden. Nebenbei liefern die Bäume Brenn- und Bauholz.
Der Haken: "Es ist ein guter Ansatz, aber es reicht bei Weitem nicht aus", so Bathe. Denn weltweit wird immer noch mehr Boden zerstört als wieder nutzbar gemacht. Landläufig ist in dem Zusammenhang oft von "Wüstenbildung" die Rede, obwohl das genau genommen der falsche Begriff ist. Gemeint ist nämlich nicht die natürliche Ausdehnung bestehender Wüsten (die oft selbst lebendige Ökosysteme sind), sondern die drastische Verschlechterung ehemals fruchtbaren Bodens. "Degradation" wird das genannt - ein sperriger Begriff für ein globales Problem, das sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verschärft hat.
Inzwischen hat der Mensch bereits 75 Prozent der Landfläche "signifikant verändert". So stand es kürzlich im Bericht des Weltbiodiversitätsrates. Und: Durch Degradation sei die Bodenfruchtbarkeit weltweit bereits um 23 Prozent gesunken - und das bei einer stetig wachsenden Weltbevölkerung. Die Folgen sind gravierend, nicht nur für die Ernährung und Lebensgrundlage der Menschen, auch für die Artenvielfalt und den Klimaschutz. Denn wo nichts wächst, leben keine Tiere, und es kann auch kein CO2 aufgenommen und gespeichert werden. Betroffen sind davon vor allem Regionen in Afrika und Asien, aber nicht nur. In den USA sind laut Uno 30 Prozent des Landes bedroht, in Spanien etwa 20 Prozent. Dort mussten in den letzten Jahrzehnten große Waldgebiete dem Bauboom vor allem in Touristengebieten und dem hoch industrialisierten Obst- und Gemüseanbau weichen. Dürren haben das Problem verschärft. Der Wissenschaftsdienst der EU-Kommission erklärte im vergangenen Jahr, acht Prozent des EU-Territoriums seien von Degradation betroffen, vor allem im Süden und Osten.
"Das lässt uns nicht viel Raum, für was auch immer wir mit unserer Zukunft vorhaben", warnt Barron Joseph Orr, Chefwissenschaftler des Büros der UN-Konvention zum Kampf gegen die Desertifikation (UNCCD). Die UNCCD sucht seit den 90er Jahren intensiv nach Auswegen, wenn auch mit relativ kleinem Budget. Das erklärte Ziel: Bis 2030 soll "Neutralität" erreicht sein, also der Punkt, an dem mehr Land wiederhergestellt wird als verloren geht. In über 100 Ländern gibt es dafür bereits UN-Projekte, dennoch: "Tatsächlich erhöhen die Menschen gerade ständig den Druck auf das Land und die Erträge, die es uns weltweit bringt", erklärt Orr im Gespräch mit heute.de.
Denn: In Entwicklungs- und Schwellenländern steigt mit dem Bevölkerungswachstum auch der Bedarf an landwirtschaftlicher Fläche. Noch größer sei aber das Problem nicht nachhaltiger Konsummuster vor allem in den reicheren Ländern. Orr: "Die Globalisierung, der Fluss von Produktion und Konsum kennt keine Grenzen." Um die Nachfrage zu befriedigen, werde deshalb überall auf der Welt abgeholzt, Wasser verschwendet, Boden falsch und zu intensiv bewirtschaftet oder überweidet. Er trocknet aus und wird unbrauchbar.
Welttag für die Bekämpfung der Wüstenbildung und der Dürre
Am heutigen 17. Juni ist der Welttag für die Bekämpfung der Wüstenbildung und Dürre. Der Aktionstag wurde 1994 in Ergänzung zu einem von 179 Staaten unterzeichneten Abkommen gegen das weitere Ausbreiten von Wüsten beschlossen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Ausbreitung bestehender Wüsten, sondern vor allem um die Verödung von Trockengebieten, welche durch zu intensive Landnutzung, falsche Bewässerung etc. austrocknen und ihre Fruchtbarkeit verlieren.
Der Wissenschaftler nennt diese Zusammenhänge den "Elefant im Zimmer", also etwas Großes, das gerne übersehen wird. Bisher werde der Blick immer nur auf das Problem im Kleinen geworfen, also etwa auf lokale Probleme. Landdegradation hänge aber eng mit dem globalen Fluss von Produktion und Konsum zusammen. "Bis jetzt sind diese beiden Welten nicht wirklich gut zusammengebracht worden - weder in der Wissenschaft noch in der Praxis", so Orr. Kurz gesagt: Es müsse sich überall etwas ändern, zum Beispiel auch im Verbraucherverhalten.
Die UNCCD setzt nun auch auf neue Technik, die es möglich macht, Daten zu sammeln, auszuwerten und anzubieten - solche Daten, die ein großräumiges Bild des Problems bieten. Orr erklärt das so: Breiten sich Städte aus, geht in der Regel landwirtschaftlicher Boden verloren. Die Landwirtschaft breite sich wiederum in die Natur aus - mit der Folge, dass Boden verloren gehe. Die Lösung sei, auf möglichst hoher Ebene die Planungen für Besiedlung, Landwirtschaft und Naturschutz an einen Tisch zu bringen. "Das zwingt uns, auf alles Land zur gleichen Zeit zu schauen. Es zwingt uns, unsere Entscheidungen über die Landnutzung zu verbessern - und zwar quer durch die Landschaft."
Laut UNCCD tut sich da inzwischen etwas: Immer mehr Länder haben die Notwendigkeit erkannt, die Degradation zu stoppen. Viel Geld werde in aufwendige Programme investiert. Aktiv ist zum Beispiel auch die Deutsche Gesellschaft für Zusammenarbeit (GIZ). Im Westen Kenias beteiligt sie sich daran, den Boden mit Pflanzen - etwa Hülsenfrüchten - zu bedecken, um die Feuchtigkeit zu halten und den Humus zu schützen. Bauern und Feldberater werden dazu ausgebildet.
Hoffnung mache auch Äthiopien, sagt Dirk Bathe von "World Vision". Die dortige Regierung habe ein gewaltiges Aufforstungsprogramm gestartet, das für viele afrikanische Staaten Vorbild sein könnte. Ein globales Problem, für das es nur eine globale Lösung geben kann, sagt Orr. Und ein drängendes Problem: "Wir müssen jetzt einen Gang hochschalten."