Dietmar Braun

Fachjournalist, Hochschuldozent, Heilbronn

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Ethik, Moral, Witze und Gesundheit

Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht. Auf dem PKV-Forum 2018 scherzte der Ex-Politiker Bosbach über Gesundheit und Prof. Dr. Woopen, Expertin für Ethik, warnte vor Risiken und Nebenwirkungen.


(db finanzwelt) Auf dem PKV-Forum des Versicherungsverbund Continentale am 11. November 2018 in Köln stand das deutsche Gesundheitssystem im Fokus. Ein Ex-Politiker, Experten, Funktionäre und Wissenschaftler diskutierten Fragen von Gerechtigkeit und Solidarität im noch dual organisierten deutschen System aus gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Vorsorge (PKV).


„Die Menschen sind sensibel, wenn es um die Gerechtigkeit oder die Zukunft im Gesundheitssystem geht", begrüßte Dr. Christoph Helmich, Vorstandsvorsitzender Continentale, die Gäste und das Fachpublikum im bis auf den letzten Platz gefüllten und ausgebuchten Forum.


Die 1.300 Teilnehmer des 18. PKV-Forums waren im Anschluss amüsiert über die vielen Witze und Anekdoten von Wolfgang Bosbach (CDU), der so als Hauptredner die Tagung eröffnete. Bosbach betonte, dass Gerechtigkeit jeweils anders empfunden werde. Deshalb könne es eine absolute Gerechtigkeit gar nicht geben. Im Hinblick auf die Diskussion zur Bürgerversicherung warnte er: „Wer glaubt, dass mit der Bürgerversicherung alles entfalle, was es an Problemen im Gesundheits-System gebe, der täusche sich."


Gesundheit, Werte und Ethik

Auf Bosbach folgte die Expertin Dr. Christiane Woopen, die nach dem humoristischen Beitrag des prominenten Ex-Politikers darauf verwies, dass es nun, wie oft im Leben, an einer Frau liege den Ernst der Sache und des Themas zu erhellen. Im Sektor Gesundheit und Krankenversicherung gehe es im Kern um gesellschaftliche Herausforderungen wie die Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit. Die Ressourcen seien begrenzt und müssten von der Politik und dem Gesetzgeber entsprechend verteilt werden. Was dabei gerecht oder ungerecht sei, sei schwer zu beurteilen und müsse einer ethischen Debatte folgen.


„Gesundheit ist ein fundamentales Gut, das uns als Mensch ermöglicht, nach Wertvorstellungen und Lebenszielen zu leben. Deshalb legen Menschen beim Thema Gesundheit besonderen Wert auf Gerechtigkeit", sagte Dr. Christiane Woopen, Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Uni Köln.

Organ-Spende und Ethik

Das Dilemma zeige sich, so Woopen, etwa bei der lebenserhaltenden Organspende. Priorisiert würde dort nach Dringlichkeit für den Patienten und nach Erfolgsaussichten für die Haltbarkeitsdauer. Beide Ziele widersprechen sich in der Praxis, denn wer ein Organ dringend brauche, sei schon sehr krank und die Erfolgsaussicht der Organspende würde dadurch deutlich geringer. Der Gesetzgeber sei jetzt angehalten, den richtigen Rahmen zu setzen und die Richtlinien nicht allein den Selbstverwaltungen oder Ärzten und Kliniken zu überlassen.


Woopen warnte vor rein an digitalen Daten orientierten Systemen in der GKV und PKV, es gehe dabei nicht nur um die Frage „ob 10.000 Schritte am Tag oder eine Stunde Meditation gesundheitsfördernd seien", sondern im Sinne von Solidarität und Gerechtigkeit um etwas völlig anderes. Die Solidarität gehe bei verhaltensbezogenen Tarifen und Bemessung von Zugang zu Leistungen verloren. Solidarität kenne kein Belohnungs- und kein Bestrafungssystem, sondern bedeute, füreinander einzustehen, um jedem den Zugang zur Gesundheit zu ermöglichen, so die Expertin für Ethik.


Ethik ist keine Kassen-Leistung

Die Gerechtigkeit im deutschen Gesundheitswesen zeige sich nicht im oberflächlichen Wettbewerb der PKV zur GKV, sondern liege viel tiefer verborgen. Das duale System in Deutschland habe eines der besten Gesundheitssysteme der Welt über einen Wettbewerb der Systeme geschaffen, so der Tenor in der Podiumsdiskussion.


„Die Diskussion um Wartezeiten beim Arzt komme nicht an den Kern des Problems. Diese Diskussion sei keine Gerechtigkeitsfrage, sondern es sei schlicht und ergreifend ein Versorgungsproblem. Es habe wenig damit zu tun, ob ein Patient PKV- oder GKV-versichert sei", so Dr. Christoph Straub, Barmer Ersatzkasse.


„Die PKV sei genauso solidarisch wie die GKV. Die Frage nach der Gerechtigkeit sei in beiden Systemen schwer zu beantworten. Die Versicherten der PKV würden sogar indirekt die in der GKV kostenfrei versicherten Familienmitglieder finanzieren", so Dr. Marcus Kremer, Vorstandsmitglied der Continentale. Da konterte Straub prompt: „Ohne die zu 90 Prozent gesetzlich Versicherten gäbe es keine Infrastruktur an Krankenhäusern und Versorgung, welche auch die zu zehn Prozent PKV-Versicherten nutzen würden."


„Wie in der GKV stünden auch in den Kollektiven der PKV die Gesunden für die Kranken solidarisch einstehen. Zudem trügen die PKV-Versicherten über ihre Steuern zusätzlich zur Finanzierung des Gesundheitssystems bei, das heute zu einem Drittel aus Steuergeldern finanziert werde", meinte Dr. Florian Reuther vom PKV-Verband.


Gut gedacht ist oft schlecht gemacht

Im Podium wurden auch Stärken und Schwächen von Reformen der Politik in den Strukturen des deutschen Gesundheitswesens kritisch beleuchtet.


„Die PKV und GKV bleiben die konstituierenden Pfeiler für das deutsche Gesundheitssystem. Die neue Herausforderung liege in der Versorgungs-Gerechtigkeit, etwa der mangelnden Ärzteversorgung auf dem Land", warnte Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. „Bei nur einem verfügbaren Landarzt im Umkreis von mehreren hundert Kilometern sei selbst für die privat Versicherten die freie Wahl des Arztes eingeschränkt", so Montgomery weiter.


„Solidarität und Gerechtigkeit passiert in den Herzen und Köpfen der Menschen. Und alles was dort passiere, sei auch das, was dann tatsächlich passiere", warnte Professorin Dr. Woopen am Ende der Podiumsdiskussion vor Risiken und Nebenwirkungen im Thema Gesundheit.


Ethik und Gesundheitspolitik

Auch das 18. PKV-Forum leistete wieder einen kontroversen Beitrag zur Werte-Diskussion über die politische Verantwortung bei den Themen Gesundheit und Pflege. Der Versicherungsverbund Continentale hat die Tradition von ethischen Beiträgen in vergangenen PKV-Foren, wie die von Richard David Precht oder Samuel Koch, fortgesetzt. Die neue Höchstmarke an Fachbesuchern unterstrich die Bedeutung des PKV-Forums für die Branche.


Dietmar Braun (db)

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