David Graaff

Journalist, Bogotá / Medellín

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Willkommenspräsent für den Papst (neues deutschland)

Wunder verbringt ein katholischer Papst bekanntlich keine. Doch die Kolumbienreise, die Franziskus am Mittwoch beginnt, hat bereits jetzt zu einer historischen Entscheidung beigetragen. Nach mehr als einem halben Jahr Verhandlungen einigten sich die Delegationen der Guerilla des Nationalen Befreiungsheers (ELN) und der Regierung von Präsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos in Ecuadors Hauptstadt Quito auf einen vorläufigen Waffenstillstand. Er soll am 1. Oktober beginnen und Anfang Januar kommenden Jahres enden. Über die Einhaltung wachen die beteiligten Akteure, die UNO und die katholische Kirche.

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts vor mehr als 50 Jahren hat es eine derart lange Feuerpause mit dem heute 1500 Mann und Frau umfassenden ELN nicht gegeben. Nun sollen nicht nur die gegenseitigen Angriffe vorerst enden. Das 1964 von Studenten mit Unterstützung Kubas gegründete und von der Befreiungstheologie beeinflusste ELN verpflichtet sich zudem, die Entführungen ebenso einzustellen wie die Angriffe auf die Erdölinfrastruktur und die Rekrutierung Minderjähriger. Die Regierung ihrerseits sagte zu, die Haftbedingungen der im Gefängnis sitzenden Guerilleros zu verbessern, gesetzliche Normen aufzuheben, die soziale Proteste unter Strafe stellen und das Frühwarnsystem zum Schutz sozialer Aktivisten und Menschenrechtsverteidigern zu verbessern. In den vergangenen Monaten waren vermehrt Aktivisten inhaftiert worden. Mehr als 50 Personen sind zudem seit Jahresbeginn ermordet worden. Hinter den Tötungen vermuten Analysten Paramilitärs und wirtschaftliche Interessen von Agrar- und Bergbauunternehmen.

Das primäre Ziel der Vereinbarung sei es, hieß es in der gemeinsamen Erklärung, die humanitäre Situation der Bevölkerung zu verbessern. Die UN-Mission in Kolumbien begrüßte die Vereinbarung als einen konkreten Schritt hin zu vollem Respekt und der Umsetzung des Humanitären Völkerrechts, die dabei helfen werde, Vertrauen im Friedensprozess aufzubauen. Carlos Velandia, ehemaliger ELN-Kommandant und von der Regierung ernannter Friedensvermittler sagte dem "nd", der Waffenstillstand sei nach dem Ende des Kampfes der FARC ein wichtiger Teil im "Puzzle des vollständigen Friedens".

Kritiker werfen der ELN-Guerilla vor, trotz Friedensgesprächen militärisch eher noch in die Offensive gegangen zu sein, um die Kontrolle über Territorien zu übernehmen, aus denen sich die FARC-Guerilla mit ihrer Demobilisierung zurückgezogen hat. Auch die Entführungen von Zivilisten, von den Rebellen als legitime Maßnahme zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes verstanden, ist alles andere als populär.

ELN-Verhandlungsführer Pablo Beltrán betonte in einem Interview mit der Tageszeitung "El Espectador" erneut, über diese werde man erst zu einem späteren Verhandlungszeitpunkt diskutieren. Er sagte zudem, dass viele vom Staat vernachlässigte Regionen nach der FARC-Demobilisierung einer "Lawine des Paramilitarismus" gegenüberstünden, die allein vom ELN bekämpft werde, während die Armee wegschaue. Besonders intensive Kämpfe gab es zuletzt in der Pazifikregion. Laut Angaben der Nationalen Ombudsstelle für Menschenrechte wurden allein im Department Chocó im laufenden Jahr bereits 15 000 Menschen durch Kämpfe zwischen Paramilitärs, dem ELN und dem Militär vertrieben.

Die Vereinbarung ist der erste große Durchbruch der Gespräche, die zuletzt an einem toten Punkt angelangt waren. Substanzielle Fortschritte in der fünf Punkte umfassenden Verhandlungsagenda hatte es seit Beginn im Februar dieses Jahres nicht gegeben, wofür sich beide Verhandlungsseiten gegenseitig die Verantwortung gaben.

Hoffnungen in die neue Situation am Verhandlungstisch in Quito setzen auch die sozialen Bewegungen. Nicht nur, dass sie sich von dem Waffenstillstand und den mit ihm einhergehenden Maßnahmen eine Verbesserung ihrer Situation erhoffen, auch wollen sie mit Mobilisierungen auf die in der Verhandlungsagenda vorgesehene breite Beteiligung der Zivilgesellschaft hinwirken. Die beiden Verhandlungsparteien müssten unverzüglich die Mechanismen und Szenarien für die Beteiligung der Zivilgesellschaft festlegen, damit deren Vorschläge Teil der Verhandlungsagenda werden können, schrieb der linke Senatsabgeordnete Alberto Castilla, der dem Dachverband sozialer Organisationen Congreso de los Pueblos nahesteht, in einer Stellungnahme. "Jetzt kann es weder vom Establishment noch von den Armen keine Ausreden mehr geben, nicht an den Gesprächen teilzunehmen", sagte der Friedensvermittler Velandia.

Der Waffenstillstand ist zudem eine Feuertaufe für die Einheit der anders als die FARC eher föderal organisierten ELN-Guerilla. Sollten alle Einheiten die Vereinbarung einhalten, wäre dies ein deutliches Zeichen für den oft bezweifelten Friedenswillen der Guerilla und die Maßnahmen könnten laut Präsident Santos verlängert werden. Ganz ohne päpstliche Beihilfe.

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