Im »Obstkorb Südafrikas« wachsen unsere Birnen. Aber seit Jahren regnet es dort kaum noch. Ihre Not macht die Farmer erfinderisch.
Gespenstisch still hier unten. Alles ist so weit weg: Die aus der Ferne zwitschernden Vögel, meine Reporterkollegen an der Straße, der stahlblaue Himmel sowieso. Durch meine Sohlen spüre ich die Schollen des hellen, lehmigen Sandbodens, von der afrikanische Sonne festgebacken und zerrissen. Aus den Furchen recken sich vereinzelt grüne Grastriebe, hier und da liegen Kieselsteine. Ich stehe inmitten eines Sees, der bis auf einen kümmerlichen Rest vollkommen ausgetrocknet ist. Die sanft ansteigenden Flanken in alle Richtungen um mich herum lassen erahnen, wie viel Wasser hier hineinpassen würde.
Eine Plage wie im Alten Testament
Trockenen Fußes über einen See zu laufen, das ist eine Geschichte aus dem Neuen Testament. Aber die Plage, mit der die Westkap-Region in Südafrika derzeit zu kämpfen hat, ist schon eher alt-testamentarischen Ausmaßes: 3 Winter in Folge hat es kaum geregnet. Und der nächste Winter, der auf der Südhalbkugel gerade beginnt, bringt bislang auch kaum Wasser mit sich.
Für die Bauern hier bei Ceres, eine gute Autostunde nördlich von Kapstadt, ist die endliche Ressource Wasser unverzichtbar fürs wirtschaftliche Überleben. Ceres, benannt nach der römischen Göttin des Ackerbaus, wird auch der »Obstkorb Südafrikas« genannt. Die Früchte mit den »Südafrika«-Etiketten, die die nächsten Monate über in unseren Supermärkten liegen, sind größtenteils hier gereift. Damit sie auch in der nächsten Saison Früchte zum Exportieren haben, ziehen die Bauern jetzt alle Register.
Die Krise am Kap
Schon seit gut einem Jahr ist Kapstadt im Wasser-Notstands-Modus. Im Januar machte die Stadt mit einer ungewöhnlichen Maßnahme auch internationale Schlagzeilen: Sie errechnete einen »Day Zero«, einen Tag Null im April, an dem die letzten Vorräte aufgebraucht sein würden. Die Füllstände der 6 Trinkwasser-Reservoirs der Stadt waren den vergangenen Sommer über in den kritischen Bereich gesunken, liegen weiter nur um die 23% (unter 13% Füllhöhe lässt sich kein Wasser mehr abzapfen) und warten auch im Mai weiter auf den großen Regen, der die Pegel wieder steigen lässt.
Ob diese Extremlage auf den Klimawandel zurückzuführen ist, auf das Klimaphänomen El Niño, den Einfluss des Menschen oder auf alle 3 zusammen, ist schwer zu sagen. Für die Kapstädter steht jedoch eine ganz andere Frage im Vordergrund: Wie können wir möglichst viel Wasser sparen?
Desinfektionsmittel statt Händewaschen
In Kapstadt gilt aktuell Wasserspar-Level 6B. Das heißt, dass jeder Bürger maximal 50 Liter am Tag verbrauchen darf; Rasen sprengen, Pools füllen und Autos waschen ist verboten. Auf unserer Reise ist der Wassermangel überall dabei: Schon die Wasserhähne am internationalen Flughafen sind abgestellt, und auch auf den meisten anderen öffentlichen Toiletten in der Stadt gibt es statt Wasser nur noch Desinfektionsmittel. In den Duschen unseres Hostels fangen große Wannen das kostbare Gut auf; lange laufen lassen will man als Gast sowieso nicht. Und als wir die Westkap-Premierministerin Helen Zille bei einem Interviewtermin fotografieren, entschuldigt sie sich: Sie habe ihre Haare heute nicht gewaschen, weil sie Wasser spare wie jeder andere auch.
Geht das Wasser zur Neige, trifft das die Ärmsten besonders
In Südafrika gibt es eine kostenlose Trinkwasser-Grundversorgung von etwa 50 Litern Wasser pro Kopf. 50 Liter müssen reichen – jetzt auch für die Reichen
In den Townships, den einstigen Ghettos, in die die schwarze Bevölkerungsmehrheit während der Apartheid zwangsweise umgesiedelt wurde, leben viele Menschen seit Jahren mit nur 50 Litern aus dem öffentlichen Wasserhahn. Dass nun auch die Besitzer der großen Villen mit einer ähnlichen Wassermenge auskommen müssen, sorgt durchaus für Genugtuung bei manchen Township-Bewohnern.
Sonntag ist Waschtag: Dieser Bewohner des Townships Langa wäscht seine Wäsche sparsam von Hand.
Oh leck: Wenn wie hier im Township Langa eine Wasserleitung leck ist, können Bürger der städtischen Wasser-Managerin per WhatsApp den Standort mitteilen. Auch deshalb geht in Kapstadt nur 14% des Leitungswassers durch Lecks verloren – der niedrigste Wert im ganzen Land (Durchschnitt: 36%).
Blitzblank: Dieser Autowäscher im Township Langa muss hoffen, dass es weiter Wasser gibt – und Kunden.
Öffentlicher Hahn: Bewohnern von Townships, wie hier in Khayelitsha, steht kostenfreies Wasser in der Nähe der Wohnung zur Verfügung.
Gleichzeitig lassen die Wohlhabenderen jedoch auch den SUV in der Garage stehen, anstatt ihn im Township waschen zu lassen – weshalb die oftmals armen Autowäscher, die auf ihre Kundschaft angewiesen sind, eben doch als Erste unter der Krise leiden. Die Regierung schätzte schon im Oktober, dass die Jobs von 50.000 Menschen wegen der Wasserkrise auf dem Spiel stehen.Zudem stellt sich Südafrika auf teurere Lebensmittel ein: So wurden in der Agrarregion um Ceres nur halb so viele Zwiebeln und Kartoffeln gepflanzt wie sonst üblich.
Bevor der nächste Sommer kommt, will Kapstadt sich zumindest ein bisschen unabhängiger von den Regenfällen machen und nutzt dazu das Wasser, das in rauen Mengen vorhanden ist: Meerwasser. Kapstadt ist die einzige Metropole mit Zugang zu 2 Weltmeeren, dem Atlantik und dem Indischem Ozean. Die erste Entsalzungsanlage ist seit ein paar Tagen in Betrieb
Erst Ende Mai ging die erste Entsalzungsanlage in Betrieb, die dem Meer täglich 3 Millionen Liter Trinkwasser abtrotzt.Diese Anlage ist ein schnell zusammengezimmertes Provisorium, wie die städtische Wasser-Managerin Xanthea Limberg sagt, »um uns etwas Zeit zu kaufen«. Sie soll den Engpass überbrücken, bis 3 größere Anlagen fertiggestellt sind, die derzeit gebaut werden. Ein gleichwertiger Ersatz fürs Regenwasser ist das allerdings nicht: Denn das Wasser aus den Entsalzungsanlagen ist wegen des Energieaufwandes etwa 8-mal so teuer und auch aus Umweltgründen im Nachteil gegenüber dem herkömmlichen Wasser aus den Reservoirs.
Weiter im Landesinneren, in Ceres, ist entsalztes Meerwasser ohnehin keine Option mehr. Aber die Farmer nutzen andere Techniken, um auch noch den letzten Tropfen aus jeder Regenwolke herauszuholen.
Natur schützen heißt Pflanzen töten
Steven Versfeld beschäftigt auf seiner Farm in Ceres zur Hochsaison rund 150 Mitarbeiter, seine Birnen landen hauptsächlich in Europa. Er zeigt mir ein 9 Sekunden kurzes Handyvideo: Darin steht er im Karohemd an einem Berghang und fährt mit der Motorsäge durch den massiven Stamm einer Pinie. Er hastet ein paar Schritte zurück. Im Hintergrund jubelt jemand, als der etwa 15 Meter hohe Baum zu Boden geht.
Pinien stammen eigentlich aus Mittel- und Südeuropa – in Südafrika sind sie eine invasive Pflanze, die heimische Gewächse verdrängt. Die Nadelbäume nehmen bei Regenwetter viel Wasser auf, das dann gar nicht mehr im Fluss oder im Grundwasser ankommt – und das den Farmern so verloren geht. Pinien aus Europa machen in Südafrika Probleme
Südafrikanische Biologen haben in der Nähe von Ceres dokumentiert, wie Pinien bei einem Fluss binnen 2 Jahrzehnten den Wasserfluss um 55% verringerten – in einem anderen Fall reichten 12 Jahre, um einen Fluss sogar komplett auszutrocknen.
Steven Versfelds Handyvideo zeigt nicht etwa ein Ceres Chainsaw Massacreauf eigene Faust, sondern eine Aktion, die Teil eines größeren Programms ist. Vor 5 Jahren hat der World Wildlife Fund (WWF) in der Westkap-Provinz gemeinsam mit Farmern sein erstes »Wasser-Verantwortungs-Programm«aufgelegt. Daraus ist mittlerweile eine intensive Zusammenarbeit erwachsen, in der es immer stärker darum geht, invasive Pflanzen mit hohem Wasserverbrauch zurückzudrängen.
Neben Pinien und Eukalyptusbäumen betrifft das noch einige andere Bäume und Sträucher, die in den Talsohlen und in Flussnähe stehen. Weil Regen vorausgesagt war, ist Peter Rooi nicht bei der Arbeit, sondern hat Zeit, uns zu erklären, was er normalerweise macht: Im Team mit seinen Kollegen sägt er die invasiven Pflanzen ab und bestreicht die übrig gebliebenen Stummel mit einem Pflanzengift. Stattdessen sollen endemische Pflanzen wie Palmietgras wieder angesiedelt werden. Palmietgras wächst vor allem in Flussnähe und bildet mit seinen Wurzeln eine Art unterirdisches Netz, das die Hänge und die bei Regen überfluteten Bereiche vor Erosion schützt. So soll das gezielte Abholz-Programm, an dem Steven Versfeld und andere Farmer beteiligt sind, das natürliche Gleichgewicht wiederherstellen – von dem letztendlich auch die Supermarktkunden in Deutschland profitieren.
Was die Bauern mit dem Grundwasser anstellen
Ein Kilogramm Birnen aus der Westkap-Provinz braucht zum Reifen rund 320 Liter Wasser – und ist damit sogar sparsamer als die weltweite Durchschnitts-Birne. Aber auch dieses Wasser muss erst einmal vom Himmel fallen. Im vergangenen Winter, erzählt Steven Versfeld, habe er insgesamt nur 257 Millimeter Regen gemessen, normal wären 700. Also musste er teure Maßnahmen ergreifen, um einen existenzbedrohenden Ernteausfall zu verhindern.
Er ließ ein Bohrloch in die Erde treiben, um ein Grundwasser-Reservoir anzuzapfen – jedoch war an der Stelle, zu der Geologen geraten hatten, nichts zu holen. Also musste ein zweiter Tiefbrunnen gebohrt werden, diesmal mit Erfolg. Insgesamt kostete Steven Versfeld die Aktion 170.000 Rand, umgerechnet knapp 12.000 Euro.
Wo das Grundwasser zu finden ist, hängt von der Beschaffenheit des Untergrunds ab. In sandigen Böden versickert das Wasser, härtere Gesteinsschichten halten es auf – man spricht von sogenannten Grundwasserleitern, im Englischen »Aquifer«. In hügeligen Gegenden wie bei Ceres sind auch solche Gesteinsschichten zerklüftet. Deshalb bilden sie mancherorts unterirdische Wannen, die von allen Seiten von Gestein umschlossen sind. Diese »confined aquifers«, wie Steven Versfeld sie nennt, sind für die Farmer besonders interessant, denn hier läuft das versickerte Regenwasser zusammen wie in einem unterirdischen See. Gelegentlich, erzählt er, laden die Farmer von Ceres diese Wannen auf wie einen Akku: Wenn nach einem Regenguss die Bergbäche viel Wasser führen, leiten sie sie um, damit das Wasser an den richtigen Stellen versickert und in die Wanne läuft. Dort ist das Wasser – im Gegensatz zu oberirdischen Speicherbecken – vor dem Verdunsten geschützt.
Droht dem Eukalyptus die Kettensäge?
Am verkümmerten Wasserloch habe ich mittlerweile meinen Rückweg zu meinen Kollegen angetreten. Oben, wo früher das Ufer war, fällt mir ein kleines ummauertes Grundstück mit Gartenstühlen auf, auf dem ein großer Eukalyptusbaum Schatten spendet. Ein anderer Farmer habe sich diesen Ort angelegt, meint Steven Versfeld. Ein Eukalyptus dieser Größe ziehe mit seinen Wurzeln etwa 500 Liter Wasser aus dem Boden – pro Tag. Wenn es nicht bald regnet, droht dem Baum ein Besuch mit der Kettensäge.
Die Vor-Ort-Recherche zu diesem Artikel ist auf einer Reise des Vereins journalists.network entstanden. Unterstützt wurde die Recherchereise vom New Venture Fund, von Braun, Bayer, der Welttierschutzstiftung und Studiosus.
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