Wie kam es zu Eurem privaten Hilfstreck nach Ungarn? Uns haben die Fernsehbilder immer mehr betroffen gemacht und irgendwann war klar, dass wir etwas tun müssen. Wir haben viel online recherchiert und sind auf die Welcomefeder gestoßen, die aktuell ein Crowdfunding laufen hat, um Lebensmittel und andere Spenden direkt in Ungarn an Flüchtlinge zu verteilen. Mit den Initiatoren habe ich mich getroffen - und dann ging es plötzlich ganz schnell. Wir haben einen Spendenaufruf gestartet und als wir eine halbe Stunde später an der Sammelstelle ankamen, stand schon ganz viel am Bürgersteig. Dann haben Helfer - Freunde und Leute, die sich online freiwillig gemeldet haben - nachts die Sachen in die Lieferwagen gepackt. Morgens um sechs Uhr sind wir dann losgefahren.
Wie war die Reise?
Der Plan war, direkt nach Budapest zu fahren. Während der Fahrt haben sich die Meldungen überschlagen. Am Grenzübergang haben wir einfach auf der Autobahn angehalten. Richtung Wien war sie komplett gesperrt aufgrund der Flüchtlinge, die zu Fuß unterwegs waren. Wir konnten uns Dank unseres arabisch sprechenden Freundes mit Flüchtlingen direkt unterhalten und sind so an entscheidende Informationen gekommen. In der Nähe von Györ gibt es ein Camp, von wo Flüchtlinge zu einem kleinen Bahnhof eskortiert werden. Obwohl ... eigentlich wurden sie übers Feld getrieben. Und da habt Ihr dann Spenden ausgegeben?
Ja, da haben wir dann das erste Mal den LKW aufgemacht. Es war windig, eiskalt, es hat geregnet. Wir haben gefroren, ich kann mir sehr gut vorstellen, wie es den Flüchtlingen ging. Die jüngsten, die kamen, waren vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, in kurzen Hosen, kaputten Schuhe, ohne Socken. Die Ausgabe war pures Chaos - alle haben geguckt, was passt. Aber trotz Chaos konnte man auch große Solidarität spüren. Es hieß dann, das können wir nicht mehr tragen. Hebt es für die auf, die noch kommen.
Wie haben die Ungarn und die Polizei auf euch reagiert?
Die Polizei hat uns einfach verteilen lassen. Wir haben Privatleute gesehen, die verletzte und müde Flüchtlinge in Privatautos direkt zur Grenze geshuttelt haben. Mit der Menge von Menschen und unseren Sprintern haben wir die Straße blockiert. Dann kamen viele vorbei, die uns ganz deutlich gesagt haben, dass sie weder uns noch die Flüchtlinge wollen. Ich denke, es ist wie bei uns: eine ganze Menge Leute wollen helfen und dann gibt es den rechtsorientierten Pöbel.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben uns mit den Flüchtlingen unterhalten, die uns ganz schlimme Geschichten erzählt haben. Die Menschen werden zum Teil zu Fuß in Gruppen stundenlang durch die Dörfer geführt und müssen sich auf die Straße setzen. Da sind Mütter mit Kindern dabei, Schwangere und Verletzte. Uns wurde berichtet, dass die Behandlung fürchterlich ist. Wir haben dann die Info bekommen, dass wir zu einem Camp fahren sollen. Der erste Transporter hat sich gleich auf den Weg gemacht, um die Lage vor Ort zu checken. Sie sollten dort alles in einem Raum abladen. Die Bewohner haben sich zwar gefreut, aber auch gesagt, dass das allerwenigste davon ihnen zu Gute kommen werde. Wir haben dort auch beobachtet, dass Flüchtlinge per Bus ankamen und dachten zunächst, sie kommen dort unter. Aber die mussten dann zu Fuß zurück ins zehn Kilometer entfernten Györ laufen. Reine Schikane! Daher beschlossen wir, die restlichen Hilfsmittel nicht ins Camp zu bringen, sondern direkt an die Menschen am Bus zu verteilen.
Hat aus Deiner Sicht diese Art von privater Hilfe Sinn?
Absolut. Die Situation in Ungarn ist katastrophal. Die Behörden sind ganz offensichtlich überfordert, beziehungsweise nicht gewillt, die Menschen würdig zu behandeln. Wir haben die allerschrecklichsten Geschichten aus den Camps gehört. Ich kann das natürlich nicht überprüfen, aber wenn nur ein Teil davon stimmt, kann man davon ausgehen, dass da Kinder sterben, dass es nicht genug Nahrung gibt und dass die Leute wie Vieh behandelt werden. Es ist furchtbar. Ich selbst habe Babys gesehen, die nur ein T-Shirt anhatten. Wenn man dann der Mutter einen Strampler geben kann: alleine dafür, hat es sich schon gelohnt. Wir haben zum Schluss sogar unsere eigenen Jacken verschenkt.
Wie hast Du die Flüchtlinge erlebt?
Ich habe selbst viel gelernt: es gibt ja nicht den einen Flüchtling, sondern ganz viel verschiedene Schicksale. Wir haben uns oft gefragt, wie wir so eine Lage aushalten könnten. Die Situation ist grausam. Aber die Menschen, die wir getroffen haben, sind sehr gefasst. Sie sind ganz offensichtlich extrem erschöpft und auch ängstlich. Unter ihnen herrscht die pure Gerüchteküche: Wir wurden zum Beispiel gefragt, ob sie überhaupt nach Deutschland gehen sollen? Die haben gehört, dass sie all ihr Geld abgeben müssen und nackt irgendwo hingebracht werden. Das muss man sich mal vorstellen! Aber sie haben alle Hoffnung in den Augen, sodass sie ihre letzte Energie mobilisieren. Die Leute waren für unsere Hilfe extrem dankbar.
In der Berichterstattung gab es über das Wochenende viel Begeisterung über den Empfang in München. Was empfindest Du dabei?
Ich finde es super, dass die Bevölkerung jetzt so motiviert ist. Aber es muss klar sein: diejenigen, die es bislang geschafft haben sind nur der Anfang. In Serbien sitzen noch Tausende, die alle kommen werden. Dort ist es Spätsommer und noch warm. Sie alle brauchen schon vor Ort Winterklamotten, Schuhe, Socken - alles was warm hält für ihre Reise zu uns. Das ist für die nächsten Konvois wichtig. Essen können sich die Leute selber kaufen. Und es ist nicht damit getan, die Leute hier zu begrüßen und den Kindern einen weiteren Kinderriegel in die Hand zu stecken. Es geht jetzt neben der schnellen Hilfe um die kommenden Monate; um einen schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt und eine nachhaltige Integration.