Man müsste schon ein sehr unsensibler Mensch sein, wenn man bei der Szene keinen Kloß im Hals bekäme, in der Henrys Ureche Epiayu die Tränen unter der dunklen Sonnenbrille herunterkullern. Sein herzzerreißendes Schluchzen durchdringt den Van, der ihn in seine neue Heimat fährt. Henrys altes Dorf Tamaquito in Nordkolumbien wird es schon bald nicht mehr geben, denn es steht El Cerrejón, dem weltweit größten Steinkohle-Tagebau, im Weg.
Nun sind Umsiedlungen wegen Kohleabbaus keine Einzelschicksale. Im Gegenteil: jedes Jahr verlieren weltweit hunderttausende Menschen ihre Heimat deswegen. In Deutschland kämpfen aktuell mehrere hundert Dorfbewohner im Braunkohleabbaugebiet Lausitz um ihre Rechte. Die Probleme im Kampf gegen Konzerninteressen sind denen der Wayúu durchaus ähnlich, sagt Regisseur Jens Schanze, der auch die Prozesse in Ostdeutschland bereits filmisch dokumentiert hat.
Unerschütterlicher Glaube an Wachstum vs. Harmonie mit der NaturDoch in seinem neuen Film „ La Buena Vida" kollidieren auf sehr anschauliche Weise zwei Denkarten miteinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die kapitalistischen Welt und ihrem unerschütterlichen Glaube an Fortschritt und Wachstum mit der Idee vom "guten Leben", die die indigenen Völker entlang der Anden praktizieren. In weitest gehender Harmonie mit der Natur leben sie ein einfaches, aber glückliches Leben. Dieses „gute Leben" sind die Wayúu nun gezwungen aufzugeben, weil die benachbarte Kohlemine sich immer näher an ihr Territorium in den Wald hineinfräst. Die Bilder, wie der grüne Dschungel von der staubigen Mine mit ihren riesigen Baggern aufgefressen wird, gleichen den Bildern aus dem Hollywood-Film „Avatar" - nur dass diese die Realität abbilden. Die Wayúu sind realistisch. Hier werden sie nicht bleiben können. Nach langen, zähen Verhandlungen willigen sie der Umsiedlung ein. Schanze sagt, das Besondere an Tamaquito sei die intakte Dorfgemeinschaft, die sich nicht durch den Druck des Konzerns oder Geldangebote auseinander dividieren ließ. Sondern hart um die Bedingungen der Umsiedlung verhandelt - so hart man eben verhandeln kann, als kleine indigene Gemeinschaft, die einem multinationalem Bergbaukonzern wie Cerrejón gegenüber steht.
Konzern sind Abmachungen egalTatsächlich hätte die Umsiedlung von Tamaquito sogar eine Art Vorzeigeprojekt sein können. Und so lässt es Regisseur Jens Schanze und den Zuschauer einigermaßen fassungslos zurück, wie der Betreiber der Mine, hinter dem Rohstoffkonzerne wie Glencore, Anglo American und BHP Billiton stehen - trotz Beobachtung durch ein Filmteam - den hart erarbeiteten Prozess vollkommen vor die Wand fährt. Denn die wichtigste der vertraglich zugesicherten Leistungen hält Cerrejón nicht ein. In Neu-Tamaquito gibt es bei Abschluss der Dreharbeiten Ende 2013 keine zuverlässige Wasserversorgung. Dieser Zustand hält bis heute an.
Die Wayúu mussten ihr sorgloses Leben im Grünen mit sicherer Nahrungsversorgung gegen elektrifizierte Häuser aus Stein auf trockenem, staubigem Land eintauschen. Die Möglichkeit eigenständig für ihr Überleben zu sorgen, bleibt ihnen verwehrt.
Sie geben ihr gutes Leben für unser gutes Leben auf. Denn die Kohle aus El Cerrejón wird zu einem sehr großen Teil nach Deutschland verkauft, um hier Kohlekraftwerke zu befeuern. Kraftwerke, die gar nicht mehr ans Netz hätten gehen dürfen, würde man die beschlossene Energiewende tatsächlich in allen Konsequenzen ernst nehmen. Nachdem man den Film angesehen hat, bleibt neben einem sehr schalen Gefühl auch die Frage, was man selbst tun kann. Regisseur Jens Schanze sagt, jeder könne seine eigene Rolle hinterfragen: „Woher kommt mein Strom? Bei welcher Bank habe ich ein Konto?" Denn die großen deutschen Banken sind allesamt Kreditgeber für die Konzerne in Südamerika. Und dann geht es natürlich um den eigenen Lebensstil, bei dem man sich fragen kann, ob es mit ein bisschen weniger nicht auch gut geht? Der ungleiche Kampf der Wayúu geht weiter. Vielleicht kann ihnen der Film ein kleines Druckmittel bescheren. Schanze sagt, jetzt zum Filmstart habe die Konzernzentrale die DVD bestellt.
Am 14. Mai 2015 startet der Film LA BUENA VIDA - DAS GUTE LEBEN in den deutschen Kinos.