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Die Sonne trägt am weitesten

Probeflug über Abu Dhabi. Foto: Solar Impulse, Revillard, Rezo.ch

Einmal ging die Sache mit dem Fliegen und der Sonne ganz schlimm schief. Um von der Insel Minos zu entkommen, baute Dädalus Flügel für sich und seinen Sohn Ikarus. Dazu befestigte er Federn mit Wachs an einem Gestänge. Ikarus hörte leider nicht auf seinen Vater, flog zu hoch, die Hitze der Sonne schmolz das Wachs und er stürzte ins Meer - soweit zumindest die griechische Mythologie. In der Realität sind im März zwei Piloten aufgebrochen, die beweisen: Solarenergie und Fliegen sind eine ganz wunderbare Kombination.

Einer der beiden ist Bertrand Piccard, dem das Abenteuer in den Genen zu liegen scheint. Sein Großvater, Auguste, fuhr bereits 1932 mit einem Heißluftballon fast 17 Kilometer hoch in die Stratosphäre. Sein Vater brach im Marianengraben den damaligen Tiefseetauchweltrekord. Und Bertrand selbst gelang gemeinsam mit dem Engländer Brian Jones die erste Nonstop-Weltumrundung in einem Heißluftballon. Es war der längste, je in der Geschichte der Luftfahrt aufgezeichnete Flug, sowohl hinsichtlich Dauer als auch, was die Entfernung angeht. Auf der Rekordreise wurde ihm klar: Limitiert wird der Flug vor allem durch den verfügbaren Treibstoff. Piccard, eigentlich ausgebildeter Mediziner, fand die nächste Grenze, die er überwinden wollte. Eine Weltumrundung in einem Flugzeug, das ohne einen Tropfen Treibstoff auskommt.

Im Jahr 2003 tat sich Piccard mit dem Piloten und Ingenieur André Borschberg zusammen. Sieben Jahre lang betrieben die beiden Studien, trieben Gelder auf, und begeisterten Wissenschaftler und Ingenieure aus der ganzen Welt für ihr Projekt. Im Jahr 2010 trägt all die Planung, die Berechnungen, monatelange Simulationen und schließlich die Konstruktion Früchte. Ein Ultraleichtflugzeug, dessen Flügel komplett mit Solarzellen bestückt ist, hebt ab und fliegt anderthalb Stunden bis auf eine Höhe von 1.600 Metern - ohne einen Tropfen Benzin und klimaschädliche Emissionen. Nur wenige Wochen später absolviert Borschberg den ersten solaren Nachtflug der Geschichte. Die notwenige Energie stammt aus den Solarzellen, gespeichert in Batterien an Bord der Flugzeugs. Seither sind André Borschberg und Bertrand Piccard sozusagen Handlungsreisende in Sachen Solar. Zwischen 2011 und 2013 saßen sie immer wieder abwechselnd am Steuer des einsitzigen Cockpits von „Solar Impulse" und überquerten Europa, Marokko und die Vereinigten Staaten. Wo sie Halt machten, begeisterten sie die Menschen und rührten die Werbetrommel für das ungeheure Potenzial der erneuerbaren Energien. „Das Abenteuer des 21. Jahrhunderts besteht darin, menschliche Kreativität und Pioniergeist zu nutzen, um die Lebensqualität der derzeitigen und zukünftigen Generationen zu verbessern," meint Piccard.

Eine strapaziöse Reise

Anfang März haben sie nun das ultimative Ziel ihres Projektes in Angriff genommen: die erste Weltumrundung in einem Solarflugzeug. Dazu wurde die „ Solar Impulse 2" noch einmal optimiert. Die Flügelspannweite ist mit 72 Metern größer als bei einem Jumbojet. Die Größe muss sein, damit über 17.000 Solarzellen darauf Platz haben, um genügend Energie zu erzeugen. Angetrieben wird das Flugzeug von vier Elektromotoren mit einer maximalen Leistung von je 15 Kilowatt. Das Flugzeug, hergestellt aus den leichtesten verfügbaren Materialien, ist durch und durch auf Effizienz getrimmt. Insgesamt wiegt es nur 2,3 Tonnen. Borschberg und Piccard wechseln sich bei den Etappen ab. Nur ein Pilot passt in das 3,8 Kubikmeter große Cockpit, das kaum größer ist als der Kofferraum eines Autos. Während der eine fliegt, erholt sich der andere am Boden. Denn es wird eine strapaziöse Reise. Weil keine Heizung vorhanden ist, muss der Pilot einen speziellen Schutzanzug tragen. Der Sitz des Piloten ist multifunktional: In seiner Lehne verbergen sich Fallschirm und ein Rettungsboot, der Sitz selbst dient als Toilette, in ausgeklappter als Form als Schlafkoje als Platz und zur körperlichen Ertüchtigung. In dem winzigen Raum ist der jeweilige Pilot zum Teil mehrere Tage allein. Um fit und konzentriert zu bleiben wenden die beiden Mediation- und Hypnosetechniken an und üben Yoga. Eine sensorische Überwachung schlägt Alarm, sobald sich einer der überwachten Parameter außerhalb der normalen Zone bewegt.

Verzögerung wegen fehlender Papiere

Bislang hat die Mission aber auch mit ganz irdischen Problemen zu kämpfen. Erst verzögerte sich der Start in Abu Dhabi wegen widrigen Wetters, dann konnte Borschberg in Ahmedabad, Indien, nur mit Verspätung abheben, weil die Behörden auf ein fehlendes Zolldokument beharrten und die Mühlen der indischen Bürokratie besonders langsam mahlen. In Myanmar wurde der Abenteurer dafür umso begeisterter empfangen, wie Piccard und Borschberg auf Twitter mitteilten. Die Landung dort hat eben den Symbolcharakter, den die Flugpioniere immer wieder beschwören. 70 Prozent der Bevölkerung des Landes hat keinen Zugang zu Elektrizität. Welchen Unterschied könnte eine dezentrale Versorgung durch erneuerbare Energien in Kombination mit Speichern machen! „Die „Solarimpulse" wurde nicht dafür konstruiert, um Passagiere zu transportieren, sondern eine Botschaft", twitterte Piccard. Von Myanmar geht es nun weiter nach China, über den Pazifischen Ozean, in die Vereinigten Staaten, über den Atlantischen Ozean und von dort aus nach Europa und Nordafrika und wieder zum Ausgangspunkt in der Golfregion. Bei jeder Station gibt es Veranstaltungen, bei denen die beiden Piloten ihre Mission erklären und für die Förderung erneuerbarer Energien werben. Zur Begleitung des Projekts wurde auch die Internet-Plattform „ Future is clean" gestartet. Die Umweltbewegung kann sich kaum einen anderen Fürsprecher wünschen, denn Piccard ist ein begnadeter Redner, der sowohl technische Aspekte als auch seine Bemühungen für den Klima- und Umweltschutz mitreißend vortragen kann.

Im Dezember wird er bei der Weltklima-Konferenz in Paris sprechen. Bis dahin wird er noch kurz die Welt umrunden.

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